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Warum der #Flugverkehr nicht einfach grün werden kann.

Auf diesen @derStandardat-Artikel von mir gab es viele negative Reaktionen im Forum und hier: von persönlichen Angriffen bis zu Halbwissen über technische Lösungen.

Ein paar Klarstellungen. Thread 👇
derstandard.at/story/20001175…
1) Die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs wird allgemein unterschätzt.

Laut dt. @Umweltbundesamt beträgt sie mindestens 5 % der globalen THG-Emissionen, es könnten bis zu 8 % sein. Das ist viel.
Klimawirksam sind neben CO2 u. a. Stickoxide, Contrails und induzierte Bewölkung.
Bis zu Covid-19 war die Prognose der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation der Vereinten Nationen (ICAO), dass durch steigende Passagierzahlen die Emissionen des Flugverkehrs bis 2050 um rund 300% gegenüber 2005 steigen könnten.
2) Flugverkehrs-Emissionen sind unzureichend reguliert

CO2 des Flugverkehrs macht ca. 2,5 % der glob. CO2-Emissionen aus. Nur dieses wird überhaupt in Klimaplänen berücksichtigt, alle anderen Emissionen werden von Politik und Industrie komplett ignoriert. transportenvironment.org/sites/te/files…
Global sollen Flug-Emissionen durch das Kompensations-Programm CORSIA reduziert werden.
Auf EU-Ebene werden inneneuropäische Flüge vom EU-Emissionshandelssystem abgedeckt.

Beide Systeme haben ihre Probleme.
Und nochmal: Beide adressieren nicht die Emissionen neben dem CO2.
CORSIA ist ein Offsetting-Programm zum "CO2-neutralen Wachstum" des Flugverkehrs.

Offsetting bedeutet Emissionen sollen durch die Finanzierung von Kompensationsprojekten (Waldschutz, erneuerbare Energie …) ausgeglichen werden.
Das birgt einige Probleme.
carbonbrief.org/corsia-un-plan…
CORSIA:
- adressiert nur das Wachstum der Emissionen
- ist weitgehend freiwillig für Airlines
- berücksichtigt keine Nicht-CO2-Emissionen
- endet voraussichtlich im Jahr 2035

Damit deckt es nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Emissionen des Flugverkehrs ab (hier hellrosa).
Gerade lobbyiert die Flugindustrie dafür, CORSIA weiter abzuschwächen u argumentiert dafür mit den Folgen von Covid-19: Die Baseline für Kompensation soll auf 2019 (statt 19 u 20) gelegt werden.

Ergebnis wäre lt. @oekoinstitut eine Abschwächung um 25-75%.
oeko.de/publikationen/…
Zudem ist Offsetting generell problematisch. Kompensationsprojekte führen oft zu sozialen Konflikten und der Vertreibung lokaler Bevölkerung von ihrem Land.
Die Wirkung ist zweifelhaft: z.B. hat nur ein Bruchteil der Projekte des CDM wahrscheinlich wirklich Emissionen eingespart.
Innereuropäische Flüge sind vom EU Emissionshandelssystem (ETS) erfasst.
Doch während die Emissionen anderer Sektoren im ETS (zu langsam) sinken, stiegen die Flugemissionen laut Zahlen von @transenv seit 2013 um 27,6 % an. transportenvironment.org/state-aviation…
3) Technische Lösungen sind nur theoretisch möglich, in der Praxis gibt es viele Hindernisse.

Technologische Lösungen, um die Emissionen des Flugverkehrs zu reduzieren sind im Groben:
- Effizienzsteigerung
- Bio/Agrartreibstoffe
- Synthetische Treibstoffe
- Elektrisches Fliegen
Allgemein: Wir müssen unsere Emissionen bis 2050 auf Null reduzieren. Aus heutiger Sicht wird keiner der technischen Ansätze dazu in ausreichendem Umfang beitragen.
Gründe sind u. a. Realisierbarkeit, Skalierbarkeit, Wirtschaftlichkeit, soziale Hürden.
green-alliance.org.uk/resources/The_…
Effizienzsteigerung: Flugzeugflotten werden ständig mit treibstoffeffizienteren Modellen erneuert. Schätzungen über den Umfang der Treibstoffeinsparung dadurch liegen im Bereich von 0,9 – 1,4 % pro Jahr. Dies wird durch gesteigerte Passagierzahlen weitaus überkompensiert.
Bio/Agrartreibstoffe: Kerosin durch Treibstoff aus Biomasse ersetzen, z. B. aus Pflanzenölen oder Abfallprodukten.
Hier sind Kosten und Rohstoff-Potenziale eine große Hürde. Rohstoffe stehen oft in Konkurrenz zum Lebensmittel-Anbau, tlw. könnte sogar Palmöl (!) genutzt werden.
Insgesamt (lifecycle) können mit Biofuels etwa 20 bis 95 % der CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin eingespart werden.

Allerdings lassen sich die restlichen Klimaeffekte damit nicht bzw. kaum verringern: weitere THG, Zirruswolken etc.
imperial.ac.uk/media/imperial…
Synthetische Treibstoffe (E-Fuels): Sehr energieintensiv in der Herstellung und enorm teuer. Das wird (auch bei Weiterentwicklung) voraussichtlich noch lange so bleiben.

Um den Flugverkehr Stand 2019 mit E-Fuels zu betreiben, bräuchte es die gesamte globale EE-Produktion.
Batteriebetriebene Flugzeuge: theoretisch eine Möglichkeit zur Dekarbonisierung, vorausgesetzt, sie laufen mit erneuerbarem Strom. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Technologie die Reichweiten- und Kapazitätsanforderungen von Langstreckenflügen erfüllen kann.
Ein ganz grundsätzliches Problem ist der Lock-in-Effekt: Jedes Flugzeug, das heute neu in Betrieb genommen wird (z. B. weil es effizienter als ein altes ist), wird ca 20-30 Jahre genutzt werden.
Also etwa so lange, bis wir global bei Nullemissionen sein müssen.
Jetzt können wir natürlich auch sagen, wir reduzieren nichts und setzen auf Negativemissionstechnologien. Am prominentesten darunter ist BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage).
Leider ist auch das eine gefährliche Scheinlösung, siehe:
fern.org/de/ressourcen/…
4) Der Flugverkehr bringt aber auch andere Probleme mit sich.
Das wissen lärmgeplagte Anrainer von Flughäfen, Menschen, die für neue Pisten von ihrem Land gejagt werden oder Indigene, die wegen Offset-Projekten ("Waldschutz") ihren Lebensraum verlieren.
stay-grounded.org/more-than-300-…
Unterm Strich – und weil wir jedes Zehntelgrad Erhitzung verhindern müssen – braucht es eine deutliche Reduktion des Flugverkehrs. Alles andere ist riskant, ungerecht, unverantwortlich.

Wie das gehen kann, haben wir mit @StayGroundedNet hier skizziert: stay-grounded.org/report-degrowt…
Das Gute daran: Wir werden in Zukunft (hoffentlich) seltener Fernreisen machen, dafür aber längere und sie bewusster erleben.

Ermöglichen werden das andere Veränderungen, die ebenfalls nötig sind, um die Gesellschaft klimagerecht umgestalten, z. B. eine Arbeitszeitverkürzung.
Achtung: Dieser Thread enthält (nicht nur Spuren von) #SystemChangeNotClimateChange!
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