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Andreas Kollross, Bgm. von Trumau und NAbg. stellte gestern folgende Fragen:
Erinnert ihr euch noch, als die österreichische Medienlandschaft noch Journalismus betrieb? Wann genau sind aus den Redaktionen PR Abteilungen geworden?
*
Mein Versuch einer (persönlichen) Antwort:
Mein Start in den Journalismus erfolgte 1981 (Kleine Zeitung, Graz). Für mich lag die Arbeit von Beginn an immer im Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeit in Recherche und Berichterstattung und den Interessen von Politik, Wirtschaft aber auch dem Lokalgeschehen mit allen Facetten.
Wir waren ein bunter Haufen. Menschen unterschiedlichster Herkunft, Interessen und Überzeugungen, trafen aufeinander. Es wurde oft und viel diskutiert. Letztlich waren wir uns aber immer einig, dass man für seine Themen kämpfen musste - auch gegen versuchten Widerstand von außen.
Seinerzeit gab es auch noch echte Parteizeitungen. Diese waren durchaus geschätzt. Auch wenn man in manchen Bereichen anderer Meinung war; man wusste woran man war.
Keine Sorge: Ich bin nicht von der "früher war alles besser"-Fraktion. Es gab natürlich immer wieder Versuche, ...
... RedakteurInnen mundtot zu machen, das Erscheinen von Artikeln zu verhindern oder den Inhalt zu beeinflussen.
Der größte Unterschied damals war, dass in den Medien selbst die Controller und Business-Heinis noch nicht die Macht übernommen hatten - und draußen die Politik ...
... meist noch als Politik verstanden wurde, nicht als Marketingmaschinerie zum eigenen Machterhalt.
Um Kosten zu sparen, begann man in den 90ern, parallel zur Entwicklung in der Sachgüterproduktion, in Redaktionen massiv einzusparen. Aber die Erstellung von Inhalten lässt ...
... sich nicht einfach automatisieren. Und wenn, dann eben nur auf Kosten der Qualität. Weniger Leute mussten immer mehr Inhalt erstellen. Dazu kam dann das Internet, das in den Anfangszeiten medial von den PrintjournalistInnen mitbeackert wurde. Eine Lücke, die nur zu gerne ...
... von Marketingagenturen gefüllt wurde. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Marketingagenturen sind per se nichts Schlechtes. Noch wichtiger sind Nachrichtenagenturen wie APA & Co als Vermittler von internationalen Inhalten. Aber sie sind kein Ersatz für eigene Recherche.
Der Krebsschaden entstand auch nicht erst durch Social Media Plattformen wie Facebook oder Twitter, sondern durch das Privat TV. Er strahlte bald in die Printmedien aus. Die Folge: Die Unterschiede von Bericht, Reportage, Glosse, Kommentar gingen verloren. Ich bezweifle, dass ..
... ihn viele junge JournalistInnen heute kennen. Wir haben haufenweise Publizistik-AbsolventInnen, aber nur wenige, haben ein Gespür für den Beruf und für die Menschen.
Auch wenn es hier in erster Linie um Politik geht: Das Problem grassiert schon in ganz anderen Bereichen.
Etwa in den so genannten "Fachmedien", die bis auf wenige Ausnahmen zu PR-Druckmaschinen verkommen sind. Es setzt sich fort bei den Wirtschaftsmagazinen, deren Inhalte lächerlich unkritisch bis peinlich sind. Oder kann jemand bei gesundem Verstand erklären, was an der Kür ...
... zum "Manager des Jahres", zu "Fantasie in Börsenkursen" oder Outsorucing- und/oder Merger-Elogen journalistisch Korrekt sein soll? In diesem Bereich ist die Verhaberung zwischen denen über die berichtet wird und denen die Berichten, in einer Kakophonie der Beweihräucherung ..
... versumpft. Da werden Unsummen verbraten, um auf Redaktionen Einfluss zu nehmen. Und nach dem Motto "wer zahlt schafft an" kauft man sich ungeniert Platz in den Zeitungen.
Das setzt sich in der Politik nahtlos fort. Kurz & Konsorten beschäftigen im wahrsten Wortsinn nicht ...
... umsonst BeraterInnen und Agenturen. Ihnen geht es längst nicht mehr um Inhalte sondern um Selbstinszenierung. Und wenn es reinpasst nehmen viele PolitikerInnen auch gerne den Rückenwind des Stammtischs mit in die Diskussion und argumentieren entsprechend. Als RedakteurIn ...
... kämpft man damit gegen Interessen von Außen und gegen den internen Druck der Eigentümer. Dazu kommen personelle Rochaden die einen - wüsste man nicht welche Absicht dahintersteht - am gesunden Menschenverstand zweifeln ließen.
In meinen letzten Jahren als Chefredakteur...
... haben mich diese Dinge immer massiver gestört. Wenn dann noch dazu Medien, deren Inhalte ganz eindeutig in der medialen Gosse zu finden sind, auf Kosten der SteuerzahlerInnen subventioniert werden, braucht man sich über die gesellschaftlichen Auswirkungen nicht zu wundern.
Die Überzeugung vieler KonsumentInnen ist, dass in der "Alles" und eh überhaupt überall das gleiche drinnen steht. Das lässt einen zuweilen (ver)zweifeln und drängt den traurigen Gedanken auf, dass unsere Medienkompetenz schon längst in der medialen Pissrinne verendet ist.
Liebe LeserInnen! Vielen Dank für euer Interesse und die große Zustimmung zu meinem (sehr persönlichen) Tweet.
*
Da ich nach "Lösungen" gefragt wurde, eine Ergänzung bzw. eine unbequeme Antwort: Es sind nicht "die Medien", nicht "die Politiker", nicht "die Banken" schuld.
Wir alle sind der Souverän, der TÄGLICH durch seine autonomen Entscheidungen pro oder contra Qualität beim Medienkonsum, in der Politik, beim Einkauf, die Welt mitgestaltet. Wir wissen das!
Unser Problem ist also nicht der Mangel an Wissen, sondern der Mangel an Bildung.
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