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Journalisten versuchen gerade im Hinblick auf die Floyd-Unruhen eine Linie zu finden, irgendwo zwischen Ablehnung von Gewalt, Verständnis für das Anzünden von Polizeistationen und dem Verdammen von Plünderungen. Als ob der Zusammenbruch von Ordnung sich an Regeln halten müsste.
Dass mit Plünderungen und Zerstörung der eigenen Nachbarschaft niemandem geholfen sei, hört man, und es klingt vernünftig und besonnen - und geht am Kern des Problems vorbei. Menschen brauchen keinen Grund zum plündern, rauben und morden. Sie brauchen Gründe, es nicht zu tun.
Der beste Grund dafür ist Zukunft, für sich und für seine Kinder. Wer keine lebenswerte Zukunft vor sich sehen kann, hat auch keinen Grund, sich mit irgendwas zurückzuhalten, seine Impulse zu kontrollieren, zu sparen, sich zu bilden und etwas aufzubauen.
Stattdessen wird gelebt, als sei der jeder Tag der letzte, und vor allem für schwarze Männer in den USA ist das leider häufig genug Realität, dass sie Opfer von Polizeibrutalität, Rechtsextremisten, ungerechter Justiz oder Kriminellen und Gangs in ihrer Nachbarschaft werden.
Sozialer Aufstieg wird dadurch erschwert, dass sie oft in Vierteln aufwachsen, wo öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und (Sicherheits-)Behörden personell und materiell vergleichsweise schlecht ausgestattet sind. Von Chancengleichheit kann keine Rede sein.
Solange die USA nicht massiv Geld in die Hand nehmen, um die Infrastruktur in sozialen Brennpunkten aufzuwerten, wird sich nicht viel ändern. Dazu müsste in aber das Bewusstsein einkehren, dass das Leben kein Wettkampf ist, in dem sich die Verlierer nicht genug angestrengt haben.
Dieses Bewusstsein herrscht leider auch oft in den Köpfen der Unterprivilegierten vor. Wer von Kindheit an von der Mehrheitsgesellschaft behandelt wird, als seien er und seine Familie weniger wert, weil sie eine andere Hautfarbe haben, glaubt es leicht selbst.
Trevor Noah brachte den Gesellschaftsvertrag ins Spiel, der für Schwarze in den USA nicht funktioniert. Weil sie für ihr gesellschaftliches Wohlverhalten nicht fair entlohnt werden, fällt der Anreiz weg, sich im Sinne der Gemeinschaft zu verhalten.
Wenn jemand grundlos von der Polizei und Justiz gedemütigt, misshandelt, eingesperrt oder getötet werden kann, hat er auch keinen intrinschen Grund, sich sozial und zivilisiert zu verhalten.
Der Gesellschaftsvertrag von Hobbes, Locke und Rousseau ist aber eine Idealisierung, die in der Realität nicht vorkommt, und er war seinerzeit auch nur für weiße, steuerzahlende Männer gedacht. Frauen, Farbige und Arme galten damals nicht als vollwertige Menschen.
Das zeigte sich z.B. daran, dass ihnen lange das Wahlrecht verwehrt wurde. In Carole Patemens „The Sexual Contract“ von 1988 und Charles Mills „The Racial Contract“ von 1997 wird der Gedanke aufgeworfen, dass es für Frauen und Nichtweiße „Sonderverträge“ gibt.
In „The Racial Contract“ sagt Mills, dass man ja nicht hätte kolonisieren und versklaven können, wenn man Nichtweiße als gleichberechtigte Menschen im allgemeinen Gesellschaftsvertrag eingeschlossen hätte, so dass Nichtweiße einfach als Nichtmenschen definiert wurden.
Folgt man der Philosophie vom „Racial Contract“, herrschen Reste davon noch in vielen Köpfen vor. Es ist längst überfällig, diese Reste aus den Köpfen zu tilgen, und zwar aus weißen wie auch nichtweißen Köpfen, und nicht nur in den USA, sondern auch bei uns und uns selbst.
Die USA sind ein großes, vielfältiges und reiches Land, das mit Abstand reichste Land der Welt, reich auch an Kultur und Wissenschaft und großartigen Menschen, und es hat sich schon öfter neu erfunden, und das radikaler, als es bei uns möglich wäre.
Man sollte die USA also nicht unterschätzen oder vorzeitig abschreiben, aber es besteht jede Menge Grund zur Sorge. Marschiert die USA weiter in den Abgrund und zieht sich weiter aus der Welt zurück, wird es auf der Welt mehr Kriege und Auseinandersetzungen geben.
Das war immer so, wenn Imperien untergegangen sind und sich ein Machtvakuum aufgetan ab. Man kann sich leider darauf verlassen, dass ein solches Vakuum gefüllt wird, und in der Regel nicht von Akteuren, die Gutes im Schilde führen.
Hoffen wir also, dass es den USA gelingt, ihre Probleme in den Griff zu kriegen und sich vielleicht sogar als geläuterterter Akteur für Frieden und sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt einzusetzen. Ob man die USA mag oder nicht: Ohne sie wird es ungemütlich werden.
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