Thread by @selinafui2

Seit Wochen überlege ich, ob ich bestimmte Erfahrungen, die ich im #Coronasemster mache teilen soll. Da ich sie für wichtig halte und weiß, dass es nicht nur mich betrifft mache ich es. Es folgt ein ziemlich ehrlicher Thread: 1/

Eigentlich komme ich gut mit der #digitalenLehre zurecht. Ich bin technisch gut ausgestattet, kann mich gut motivieren und belege spannende Lehrveranstaltungen bei tollen Dozierenden. 2/

Aber ich habe mich in keinem anderen Semester so dumm gefühlt, wie in diesem. Ich studiere Theologie und das heißt viel lesen, vor allem dieses Semester. Bei mir ca. 200 Seiten pro Woche. Da viel Texte sehr anspruchsvoll sind verstehe ich oft 3/

beim ersten Lesen wenig. Daran bin ich noch nicht gewöhnt, denn in meinem ersten sozialwissenschaftlichen Studium hatte ich meist den Eindruck zumindest das meiste des Textes verstanden zu haben. Also saß und sitze ich dieses Semester nicht selten vor Texten und 4/

fühle mich blöd. Statt mich, wie in letztes Semester, in einer Bibpause mit anderen darüber aufzuregen, warum sich Ernst Fuchs nicht verständlicher ausgedrückt hat oder darüber zu reden, was Hans Jonas denn da gemeint haben könnte saß ich an machen Tagen daheim und weinte. 5/

4/5 Menschen, die ich momentan regelmäßig physisch treffe (meine Familie) haben nicht studiert. Wenn ich beim Lesen eines Textes mich aufrege, dass ich wenig verstehe sagen sie Sätze, wie "Du bist so schlau, wenn das einer versteht dann du!" Und wenn ich dann den Kopf schüttel 6/

deuten sie nicht selten an, dass ich das mit dem 2. Studium ja nicht machen müsste.
Ich begann immer mehr an mir zu Zweifeln. Zum Glück habe ich Leidenschaft für das Fach und Freunde, die ich irgendwann anrief und anschrieb und fragte: "Sagt mal, fühlt ihr euch im 7/

Theologiestudium auch oft so dumm?"
Ein Ja und lange Gespräche später waren die Studienzweifel geringer und seit dem geht es mir besser.
Ich merke dieses Semester, wie wichtig kleine Gespräche in der Bib oder in den 10 min vor Seminarbeginn sind, einfach weil sie fehlen. 8/

Ich merke, wie wertvoll es ist regelmäßig Menschen zu treffen, die ähnliches tun, wie man selbst, weil das jetzt seltener passiert.
Oder wie gut, das wissende Nicken von jemanden ist, der schon fertig mit dem Studium ist, wenn man von Herausforderungen im Studium spricht 9/

Ich hoffe, dass dieses Semester nicht dazu führen wird, dass mehr Studierende, als sonst ihr Studium abbrechen. Vor allem für #Arbeiterkinder in den ersten Semestern dürfte dieses Semester eine besonders große Herausforderung darstellen. 10/10