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Ich hab nun mehrfach Aufrufe gesehen, cis Personen mögen sich doch bitte zur uninformierten Art positionieren, auf die FAZ und Jungle World über diese Rowling-Sache berichtet haben. Ich habe zwar das Gefühl, es ist alles dazu gesagt worden, aber bitte sehr, meine 2 Cent. (Thread)
Das Perfide an Rowlings Position ist ihre Unterstellung, trans Personen oder überhaupt irgendjemand würde biologische Tatsachen leugnen oder wegreden wollen. Dass diese Behauptung nicht kontextualisiert und erklärt wird, finde ich unendlich befremdlich.
Sie lässt trans Personen und alle, die für sie argumentieren, aussehen wie irrationale Laien, die sich selbst kaum mit dem, was Geschlechtskategorien leisten können und müssen, auseinandergesetzt haben und in irgendeiner Phantasiewelt leben.
Dabei ist die Kritik am englischen Begriff "sex" für "biologisches Geschlecht", der m.W. in dieser strengen Bedeutung überhaupt erst in den 60ern als Gegenbegriff zu "gender" aufkam, leicht nachzulesen und nachzuvollziehen.

Das nicht zu tun ist schlicht böswilliges Desinteresse.
Es wird schnell offensichtlich, wie die Kategorie "sex" theoretisch zu leisten vermag, weil sie letztlich einen Natur-Kultur-Dualismus suggeriert, der so nicht trägt.

Was soll "sex" überhaupt beschreiben? Einen Phänotyp? Der kann angeglichen werden. Einen Genotyp? Okay.
Wenn wir "sex" im Sinne von "biologisches Geschlecht" strikt auf Chromosomen beziehen, verliert der Begriff jegliche lebensweltliche Gültigkeit. Ich hab meine Chromosomen nie checken lassen, ihr eure wohl auch nicht, sie haben für uns wenig Aussagewert.
Hinzu kommt, dass "sex" suggeriert, er gäbe eine wissenschaftlich objektive Art, auf die wir über Geschlecht reden, die nicht kulturell und historisch beeinflusst wäre. Die gibt es aber nicht. Unsere Begriffe von "männlich" und "weiblich" sind immer Vorannahmen unterworfen.
Zu behaupten, es gäbe eine Wissenschaftssprache, die sich von ihren historischen und kulturellen Ort komplett befreien kann, ist naiv. Und kaum ein Thema ist so emotional überfrachtet und mit eigenen Wünschen und Vorstellungen vorbelastet, wie das Thema Geschlecht.
Entsprechend schleichen sich bei kaum einen Thema so viele Vorannahmen ein. Bereits der strenge Dualismus ist ja eine erste Vorannahme.

Entsprechend ist die Kategorie "sex"/"biologisches Geschlecht" in ihrem Nutzen stark eingeschränkt und muss quasi nie herangezogen werden.
Das alles geht diesem Rowling-Streit voraus. Trans Personen leugnen biologische Tatsachen nicht, im Gegenteil: trans Männer gehen wenn nötig - und wenn die Krankenkasse es ihnen erlaubt - zum Gyn, trans Frauen lassen ihre Prostata checken, same goes for enbys.
Umstritten ist dabei nur die Gültigkeit und Aussagekraft eines angeblich vorkulturellen biologischen Geschlechts (sex) und konkreter Körpermerkmale für unseren gesellschaftlichen Umgang mit und unsere alltägliche Bezeichnung von Personen.

Rowlings Framing geht darauf nie ein.
Stattdessen klagt sie darüber, dass man bestimmte soziale Phänomene ohne die Kategorie "Frau" nicht behandeln könne.

Well, good news, JK: die soziale Kategorie steht gar nicht zur Debatte. Niemand sagt, es gebe keine Frauen. Wäre auch ein ziemlich merkwürdiger Move.
Rowlings absurder Ausgangsaufreger war dann die notwendige Kopplung des biologischen Umstands Menstruation an die soziale Kategorie weiblich. Der Artikel, auf den JK sich bezog, war ja gerade kein biologischer Fachartikel und verzichtete zurecht auf eine soziale Zuschreibung.
Rowling sah in der Formulierung "people who menstruate" ein Unsichtbarmachen von cis Frauen und der Kategorie "sex", weil sie den körperlichen Vorgang als 'biologisch weiblich' denkt. Das zeigt gut, weshalb "sex" so problematisch ist, denn für den Kontext war die Biologie egal.
Selbst, wenn man an einer strengen Sex-Gender-Unterscheidung festhält, meinte der Artikel Menschen, die menstruieren, und nicht einfach nur cis Frauen.

Es ist also in diesem Zusammenhang Rowling, die eine von ihr zum Schein verteidigte Terminologie stümperhaft anwendet.
Jede Berichterstattung, die das nicht aufdröselt und weiterhin so tut, als stehe Rowling gegen eine wirre "Trans-Lobby" und nicht gegen einen validen Theorieansatz, trägt zu einem boshaften Framing bei und macht trans Menschen das ohnehin schon anstrengende Leben schwer.
Das war es von mir. Glaubt mir nicht einfach, sondern folgt trans Menschen und hört ihnen zu und versucht, ihre Positionen nachzuvollziehen. Und ja, ggf. muss man dafür zwischendurch mal ein paar Texte lesen, wie bei jeder theorielastigen Debatte.
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