Ich habe zu Brett Kavanaugh nichts getwittert, denn ich finde es ermüdend und belastend und jeder andere Ausgang hätte mich sehr überrascht. Aber hier folgt ein kurzer Thread mit Gedanken zu Einvernehmlichkeit, die mich schon länger beschäftigen.
Mir sagte mal ein Mann, der recht spät angefangen hatte, sich mit feministischen Theorien auseinanderzusetzen, wenn er ganz ehrlich sei, könne er rückblickend nicht beschwören, dass er immer hundertprozentig einvernehmlichen Sex gehabt habe.
Sein gesteigertes Problembewusstsein (für das Frauen in seinem Umfeld sich zweifellos den Mund fusselig geredet haben) stand in extremem Widerspruch zu seiner absoluten Ahnungslosigkeit als Teenager/junger Mann, der vorgeschriebenen Handlungsmustern folgte.
Von Signalen, auf die er heute mit großer Selbstverständlichkeit achten würde, habe er damals gar keinen Begriff gehabt, und so könne er schlicht nicht sagen, ob sich eine Person damals unwohl/verpflichtet/gedrängt fühlte oder schlicht schüchtern war.
Ich habe diese rückblickende Selbsteinschätzung danach noch von mehreren Freunden gehört oder angedeutet bekommen, immer im Vertrauen, immer verbunden mit etwas, was vielleicht nicht direkt Angst, aber doch Sorge war.
Ich finde es unglaublich wichtig, dass Männer im Rahmen aktueller Debatten über Machtstrukturen und Einvernehmlichkeit bestimmte Situationen in ihrem Leben neu evaluieren (Frauen sollten das btw. auch tun). Aber verlangt den Leuten einiges ab.
Die Meinungen darüber, was einvernehmlich ist und was nicht, gehen extrem auseinander. Während wir uns gesellschaftlich zunehmend darüber einig werden, müssen Leute auf ihr Leben zurückblicken und sagen "Hm. Das war grenzwertig".
Da ist es natürlich viel leichter, sich gegen die ganze Debatte zu sperren und sie als hysterische Hexenjagd abzutun. So kommen wir aber nicht zu dem modernen gemeinsamen Begriff von Einvernehmlichkeit, den wir dringend brauchen.
Ich gehe davon aus, dass viele Männer und überraschend viele Frauen irgendwann eine Situation hatten, in der sie nicht auf Einvernehmlichkeit geachtet haben. Weil sie betrunken waren, fanden, Anrecht auf den Partner/die Partnerin zu haben, ihre Machtposition nicht gecheckt haben.
In den meisten Fällen (so steht es zumindest zu hoffen) wird die Situation vom Partner/der Partnerin rückblickend ebenfalls als einvernehmlich bewertet werden. Das hebt aber das Problem nicht auf, dass für jeden dieser Fälle die Möglichkeit im Raum steht, dass es nicht so war.
Hier liegt das Unbehagen jeder Einvernehmlichkeitsdebatte: Man weiß es im Nachhinein eben nicht und wenn man mit dem (nach meinem Empfinden überwiegend von Frauen geforderten) "emphatic consent" mitgeht, wirft einen das auf dieses Nichtwissen zurück.
Brett Kavanaugh ist für mich keiner dieser Grauzonenfälle (don't @ me, I guess). Aber ich glaube, viele die jammern, es könne ja immer einfach irgendeine Frau mit Anschuldigungen um die Ecke kommen, sind es. Eine omnipräsente Angst für eine gesamtgesellschaftliche Situation.
Klar spielt da die Angst rein, Präzedenzfälle zu schaffen. Was wenn sich dann plötzlich noch viel mehr Opfer sexueller Gewalt melden? Was, wenn sich rausstellt, dass man selbst... Und schwups, schon hat man sich innerlich mit den Weinsteins dieser Welt solidarisiert.
Klar kann man jetzt die Feuilletons vollschreiben, wie gruselig es ist, im Jahr 2018 ein Mann zu sein. Das hilft uns halt überhaupt nicht, mit diesem Diskurs voranzukommen und die gleichberechtigte sexpositive Gesellschaft mitzugestalten, die wir doch alle gerne hätten.
(Da dieser Thread längst nicht mehr kurz ist, hier ein persönlicher Einwurf: Wenn Du jemand bist, der aktuell die Feuilletons vollschreibt, wie gruselig es für Männer im Jahr 2018 ist: F*** Dich!

Verzeihung. Zurück zur Sache.)
Was können wir also tun, um auf die äußerst unangenehme Gesamtsituation zu reagieren? Zunächst müssen wir halt echt dieses Unbehagen sichtbarmachen, das die ganze Zeit knapp am Tabu vorbeischrabbt.
Das heißt zunächst ganz platt, dass Leute - vor allem Männer - über sich und ihr gegenwärtiges wie vergangenes Verhältnis zu Einvernehmlichkeit nachdenken müssen, auch wenn's anstrengend ist. Und danach müssen sie darüber reden. Und zwar vor allem mit anderen Männern.
Es fiel meinen Freunden superschwer, mit mir darüber zu sprechen, wie sie vergangenes Verhalten bewerten. Aber bei mir bringt diese Information halt auch nur so mäßig viel.
Queerfeminist*innen, LGBTAI+folks und PoC sind 2018 ziemlich auf und haben nicht mal Feuilletons, um sich darüber hinwegzutrösten. Außerdem besteht auch immer die Gefahr, dass man sich einer Person anvertraut, die selbst in einer Grauzonensituation zu ihren Ungunsten war.
Ich habe einen Heidenrespekt vor allen Männern, die sich überwunden haben und mit mir oder anderen Frauen über ihre retrospektive Angste gesprochen haben, aber wir wissen meist schon, dass das alles hochproblematisch und belastend ist. Ihr müsst >miteinander< reden.
Klar ist das nochmal schwieriger. Klar ist das mit noch größeren Ängsten verbunden. Klar besteht die Gefahr, dass sich eure Kumpels in dem Moment als totale Arschlöcher mit null Problembewusstsein entpuppen.
Aber wenn genug Leute mitmachen sind wir die Generation, die Einvernehmlichkeit neu verhandelt. Und das ist dringend nötig. Auch, damit irgendwann niemand mehr den Gedanken "Hat XY das damals auch so gewollt?" mit sich rumschleppen muss.
Das war's von mir. Entschuldigt den wildwuchernden Thread, ich wollte das schon länger mal loswerden. Seid gut zueinander und habt einen schönen Sonntag. <3

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