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Ich habe das Dokument der Kleruskongregation zur "pastoralen Umkehr" mit den Augen einer Exegetin gelesen (ogy.de/uzmg). Die Literarkritik zeigt: Es gibt offensichtliche Brüche und Spannungen, die auf unterschiedliche Autor:innen oder Autor:innengruppen hindeuten.
Es gibt einen grundsätzlichen Bruch zwischen dem 1. Teil, der eine Situationsanalyse, eine ganz kurze biblische Grundlegung und einen ebenso kurzen historischen Seitenblick enthält, sowie dem hinteren Abschnitt, in dem aktuelle Pfarreireformen besprochen und reguliert werden.
1–10.122–123a scheinen mir relativ homogen zu sein. Die Abschnitte scheint jemand verfasst zu haben, der Franziskus und seinen Anliegen nahe steht und besonders gern die Schlagworte "Charisma/Charismen", "Zusammenarbeit", "missionarisch", "Evangelisierung/evangelisieren",
"kreativ/Kreativität", "pulsierend", "Dynamik" "Umkehr" und "Papst Franziskus" verwendet. Kleriker werden immer zusammen mit den Lai:innen genannt.
Auch in 11–41 tauchen diese Schlagworte wieder auf. Es dominieren die Passagen, die in Duktus und theologischer Zielsetzung den Eingangs- und Schlusspassagen gleichen. Ich nennen diese Person "Volk-Gottes-Autor:in" (V).
Andererseits gibt es immer wieder Einschübe und Ergänzungen, die auf die Einhaltung des geltenden Rechts pochen (z. B. in 16) oder den Unterschied zwischen Lai:innen und Klerikern stark machen (z. B. 28, 33, 35). Ich nennen diese Person "Klerikalist:in" (K):
Interessant ist zum Beispiel die unterschiedliche Verwendung des Wortes "Beziehung". Autor:in V (Vertreter*in der Volk-Gottes-Theologie) bezeichnet damit das Zusammenwirken aller Gläubigen, Autor*in K (Klerikalist:in) das Zusammenwirken der Kleriker.
Hinzu kommen offensichtliche Einschübe einer dritten Person in Bezug auf die Wallfahrten (30.31). Weder vorher noch nachher wird das Thema je wieder aufgegriffen.
Einen großen Bruch gibt es ab 62. Nun überwiegen die K-Anteile. Die o. g. Schlüsselwörter tauchen gar nicht mehr auf oder nur in Passagen, die eindeutig V zuzuordnen sind. Dazu gehören 101–107 (über den Vermögensverwaltungsrat) und 115–117 (über a. Formen der Mitverantwortung).
Aus der unterschiedlichen Autorenschaft ergeben sich starke inhaltliche Brüche. Z. B. macht V die Veränderbarkeit der Pfarreigestaltung stark (3, 7, 10, 29 uvm.), K betont aber die Bindung der Gemeindemitglieder an die gewohnte Pfarreiform (bes. 36).
V orientiert sich an Charismen und einem fruchtbaren Zusammenwirken von Lai:innen und Klerikern (1, 39), K ist darauf bedacht, den Unterschied zwischen den Ständen sauber beizubehalten (90, 91, 96 uvm.)
V ist skeptisch gegenüber neuen Administrationsebenen, die dann "pastorale Einheit" (also in D "Pfarreiverbund", "Verantwortungsgemeinschaft", "Seelsorgegemeinschaft" usw.) heißen (44). K regelt aber genau das in 54–78 auf das Genaueste und legitimiert es damit prinzipiell.
V betont das allgemeine Priestertum aller Getauften und Gefirmten (109), K betont die Vorrechte und vorrangigen Pflichten der geweihten Priester (33, 39, 91, 117).
Interessant ist z. B. 112 über den Pastoralrat (in D auch: Pfarrgemeinderat, Gemeinderat, …): Laut K ist er lediglich dazu da, unverbindlich seine "Meinung" kundzutun. Laut V erarbeitet er "praktische Lösungen für die pastoralen und karitativen Initiativen der Pfarrei".
In 112 steht darüber hinaus, er solle die Gemeinde repräsentieren und lediglich beratend tätig sein (K). Laut 114 soll der Pastoralrat jedoch vor allem aus denen bestehen, die in der Pastoral der Pfarrei wirkliche Verantwortung tragen oder in ihr konkret engagiert sind (V).
Wozu das Ganze? Was nehme ich aus dieser Analyse mit? 1. Es gibt in der Kleruskongregation, ebenso wie in der gesamten röm.-katholischen Kirche, zwei große Strömungen, Ansichten und Stoßrichtungen, die sich beide im Dokument widerspiegeln.
2. Es ist nicht ausgemacht, wie sich das Zusammentreffen beider Strömungen weiter entwickelt.
3. Gefährlich wird es für Bischöfe und ihre Strukturreformen, wenn sich beide Strömungen ausnahmsweise einig sind. Bei der Pfarreireform in Trier scheint dies der Fall gewesen zu sein. In dem Dokument sind die unterschiedlichen Motive dafür schön aufgeführt:
V kritisiert die Lebensferne, die Bürokratieaffinität der großen Einheiten und die Schreibtischmentalität, in der sie entworfen worden sind. K kritisiert, dass die Leitungsgewalt nicht eindeutig bei den Pfarrern liegt.
4. Aus diesen Antagonismen lassen sich Spielräume entwickeln. Offensichtlich ist es besser, eine Pfarrei unbesetzt zu lassen und die Leitung dem Pfarrer einer a. Pfarrei zu übertragen, wofür zwangsläufig ein Teil der Verantwortung Lai:innen übergeben werden müsste (v. a. 117).
Und zum Schluss noch mein Hauptkritikpunkt: Wer und was fällt unter den Tisch? Pastorale Mitarbeiter*innen mit besonderer theologischer und pastoraler Ausbildung, die Handlungsspielräume von Frauen, Kinder,
Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die ihre spezifische Erfahrung in eine missionarische Pastoral einspeisen können, überhaupt Menschen mit außergewöhnlichen Lebenserfahrungen, die eher als Objekt denn als Subjekt einer missionarischen Pastoral verstanden werden.
Was das Dokument speziell für das Forum III des Synodalen Wegs bedeutet (Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche), dazu später vielleicht mehr.
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