Thread by @Selma_Jahic_

Als wir im August 1995 aus Srebrenica nach Österreich kamen, war ich 7 Jahre alt mein Bruder 6. Wir wurden gleich eingeschult. Meine Mutter sprach kein Wort Deutsch. Mein Vater nur gebrochen. Wir kamen als zwei kriegstraumtisierte Kinder in die 1. Klasse Volksschule.

Meine Eltern haben mit allen Mitteln versucht, dass mein Bruder und ich zur Nachmittagsbetreung kommen um Deutsch zu lernen und Hausaufhaben zu machen. Wurde nicht erlaubt, weil meine Mama arbeitetslos war.

Meine Mama hat nur die Pflichtschule abgeschlossen mein Papa kam mit Matura nach Österreich. Beide hatten keine Ahnung von österreichischem Schulsystem. Wir hatten größere Probleme. Vor allem Geld für Essen, Miete und für die Verlängerung des Visums. Arbeit zu finden war schwer.

Ständig war die Angst da abgeschoben zu werden. Meine Eltern gingen einen schweren Weg. Sie haben sich entschlossen keine Hilfe bei Staat zu beantragen. Weil sie Angst hatten. Angst ins Kriegsgebiet zurückgeschickt zu werden.

Mein Bruder wurde ein Jahr zurück gestuft. In die Vorschule.Ich hab mich sehr verloren gefühlt.Alleine in der 1.Klasse.Keiner spricht deine Sprache.Lehrer hatten kein Einfühlungsvermögen für Kriegsflüchtlige.Ich habe Deutschförderuntericht bekommen, als andere Französich lernten.

Nach der 2. Volkschulklasse war ich schon die Klassenbeste. Ja sogar in Deutsch. Warum ich mich so angestrengt habe? Aus Angst. Angst wieder dorthin zu müssen woher ich kam. Ich hab zuhause immer weniger gesprochen. Kein Deutsch und auch kein Bosnisch.

Ich war vollkommen traumatisiert und keiner hat es mitbekommen. Ich wollte immer die Beste sein um nicht Abgeschoben zu werden. Ich hab jede Minute mit lernen verbracht. Habe dadurch wenige Freunde gehabt.
Meine Eltern hatten kein Geld für neue Kleidung.

Humana war die Shopping destination meiner Mama. Und falls es dort nichts gab, hab ich die Kleidung meiner Cousinen bekommen. Ich hab sehr früh verstanden, dass wir kaum Geld haben und hab deswegen nie was verlangt. Ich war das schon duch die Kriegszeit gewohnt.

Das schönste Geschenk, dass ich je erhalten habe, waren eine Packung Buntstifte und ein Zeichenblock. Ich hab sehr gerne gemalt. Vieles vom Krieg, manches was ich so im Alltag erlebt habe. Es war sehr therapeutische für mich.

Schulausflüge waren problematisch. Mein Bruder und ich konnten nie beide teilnehmen. Entweder er oder ich. Finanziell war das sehr schwierig. Meine Mama ging sehr oft bei älteren Damen putzen, damit sie uns zum Schulstart Schulsachen kaufen konnte.

Sie hat 6 Jahre warten müssen, bis sie eine Arbeitsbewilligung bekommen hat. Reinigungsfirmen wollten sie einstellen, aber der Gesetzgeber hat es nicht erlaubt. Meine Mama hat Tränen geweint, als sie endlich offiziell als Reinigungskraft arbeiten konnte.

Wir konnten uns endlich mehr leisten. Meine Eltern sind aber bis heute Sparfüchse geblieben. Jeder Euro wird zweimal umgedreht. Weil die Angst noch immer da ist, irgendwann kein Geld für das nötigste zu haben.

Meine Eltern konnten uns nie in der Schule helfen aber waren immer stolz auf uns. Wir haben das immer gespührt. Ich hatte das Glück, dass ich mit 11 gleich ins Gymnasium gekommen bin. Meine Professoren waren einfach die besten. Sie haben mich immer gefördert.

Mein Selbstbewußtsein ist dadurch gewachsen.Ich hab es nie zu spüren bekommen, dass ich jemand mit Migrationshintergrund bin.Ich war einfach eine Schülerin und war die schönste Zeit.Ich weiß,dass viele dieses Glück nicht hatten oder haben oder haben werden.Was extrem traurig ist.

Was meine Eltern heute noch traurig macht ist, dass sie meinem Bruder und mir nicht das geben konnten, was andere Kinder hier in Österreich hatten. Es macht sie traurig dass, wir als Kinder soviel alleine bewältigen mussten.Ich mache ihnen keinen Vorwurf.Sie haben alles gegeben.

Wir haben jetzt seit knapp 16 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft.
Meine Familie lebt ein tolles Leben. Uns fehlt es an nichts... aber.. meine Eltern fühlen sich trotzdem noch so als, ob sie jeden Tag abgeschoben werden können. Dank der derzeitigen Politik.