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Sep 15, 2020 20 tweets 4 min read Read on X
Ich erzähle euch heute mal eine kleine Geschichte vom Verloren gehen und Wiederfinden.
Vor sehr genau 10 Jahren war eine sehr verliebte, sehr gutgläubige Doktorandin sehr davon überzeugt, man könne alles im Leben haben. Man müsse halt hart dafür arbeiten.
In der ersten September-
woche 2010 verbrachte sie einen sehr romantischen Urlaub am Comer See und das frisch verliebte Paar war sich direkt einig, Kinder haben zu wollen. Also wann, wenn nicht jetzt. Am Ende gibt es ja doch keinen richtigen Zeitpunkt.
In der dritten Septemberwoche fing sie das
Spontankotzen an, als ihr Freund Scampi briet.
Sie plante, arbeitete wie besessen, baute ein Nest, heiratete im roten Rathaus zu Freiburg, bekam ein Kind, arbeitete sofort weiter, versuchte die beste Mutter zu sein, die beste Ehefrau und die beste Doktorandin.
Es gelang auch. Sie war wirklich gut. Es war nur egal, wie gut sie war. Als Mutter konnte sie es nicht recht machen, weil sie viel arbeitete. Als Ehefrau war sie bald nur noch die Putze und als Wissenschaftlerin wurde sie direkt abgeschrieben, weil war halt ein schlechter
Zeitpunkt, so sagte man ihr von offizieller Stelle.
Da war die junge Frau nun, schwanger mit dem 2. Kind, nicht mehr wert genug unterstützt zu werden, nicht geliebt genug in der Schwangerschaft begleitet zu werden, ängstlich als Mutter nicht gut genug zu sein.
Die Familie zog um, das 2. Kind kam, die Depressionen auch, die Hilfe nicht. Bis dahin hatte die junge Frau keinen offensichtlichen Fehler gemacht, außer denen zu vertrauen, denen sie sich in privater und beruflicher Hinsicht anvertraut hatte. Und sie wurde im Stich gelassen.
Drei lange Jahre redete sie nur noch ein paar wenige Sätze mit der Erzieherin im Kiga, kaum mit ihrem Mann, denn der beleidigte sie nur immer und kaum mit ihrer Mutter. Sie sprach nur noch mit ihren Kindern. Manchmal ein schüchternes Lächeln zu einer der Kitaeltern. Aber keine
engere Bekanntschaft. Aus Angst und aus Scham, denn sie war hässlich geworden, fand sie und sie hatte keinen Beruf und keine Perspektive und kein tolles Auto und kein Babyschwimmen und keine glückliche Ehe und einen dicken after Baby Body und stank permanent nach Milchkotze.
Sie bekam ein drittes Kind, ganz allein, nur für sich, weil sie es wollte, weil das dritte Kind sonst gefehlt hätte. Alle Versuche einen Job zu finden scheiterten. Ganz offen sagte man ihr, dass niemand eine Mutter mit drei kleinen Kindern will. Derweil machte der Ehemann seine
Traumkarriere. Er demütigte seine Frau, lachte sie aus, weil sie ja wertlos sei und er machen könne, was er wolle, sie könne eh nicht weg. Haste nix, dann bist nix. Die Frau hatte nur drei kleine Kinder am Rockzipfel. Und sie war sehr verzweifelt. Und einsam.
Noch immer gab es da keine Freunde. Nur die Erzieherin, die ihr Woche um Woche sagte, was für eine tolle Mutter sie sei. Und irgendwann, nach drei Jahren Jobsuche da fand sich ein Aushilfsjob, Bezahlung als Ungelernte, 50% bei Steuerklasse V. Lächerlich.
Und dort fand sich ein Freund, einfach so, der sagte ihr sie sei klug und stark und ein Segen, dass sie da sei. Und dann wurde sie plötzlich gefunden von einem Mann , der sagte, sie sei klug und humorvoll und irgendwann nannte er sie hübsch. Und nach 3 Monaten im Aushilfsjob und
und einem Unbekannten von Twitter, nahm sie allen Mut zusammen und alle Wut, die sie aufbringen konnte und verließ den blöden Ehemann. Sie bekam immer mehr Zuspruch von Fremden, die ihre Geschichte verfolgten. Sie kämpfte einen Rosenkrieg gegen einen Exmann, der sich gegen
jeden Schritt der Scheidung verbissen wehrte. Sie saß mit dem Typen von Twitter am Meer und lief tagelang Stunde um Stunde den Strand auf und ab und redete endlich. Und er hörte zu. Und sie hatte bei der Arbeit einen Freund, der ihr sagte, er beschütze sie. Und sie zog aus
und baute ihren Kindern ganz allein ein sicheres, gemütliches Zuhause. Und sie lernte all das Behördenzeug und sie trug all die Verantwortung für alles und war auf einmal eine andere Frau.
Eine erwachsene, gestandene Frau, die nicht mehr übersehen wurde, die Platz einnahm und
nicht mehr ängstlich zu Boden schaute. Auf einmal fiel ihr auf, dass ihr große, durchtrainierte 2-Meter-Typen auf der Straße auswichen, dass Wissenschaftler sie bei der Arbeit um ihre Meinung fragten und dass ihre Kinder mit tiefem Vertrauen auf sie und auf die kleine Familie
durchs Leben gingen und ihre Meinung vertreten konnten. Auf einmal fiel ihr auf, dass sie auf keinen Mann angewiesen war, sondern ihn aus freien Stücken wählte, weil er wunderbar war.
10 Jahre machten aus der jungen Frau, die immer alles und immer alles zugleich wollte,
eine Frau, die viele Stürme überstand und doch immer der unverrückbare Fels in der Brandung für ihre Familie blieb, die sich ein selbstbestimmtes Leben erstritten hatte und auf einmal das Selbstbewusstsein hatte, dieses Leben zu gestalten. Sie war frei von der Angst und wieder
voller Zuversicht und guter Hoffnung auch die kommenden Stürme zu überstehen.
So geht es manchmal den Menschen. Fast spült sie eine zu große Welle im Leben davon und dann halten sie ihr trotzig stand, angegriffen zwar, aber nicht gebrochen.
Was für ein großes Glück.
Einige von euch begleiten mich fast die ganzen 10 Jahre, viele die letzten 2-3. So manche sind sehr treu und sehr nah und ich weiß, dass sich viele von euch mit mir freuen über jeden kleinen Sieg. Ich sehe jeden einzelnen von euch.
Tausende Herzen für euch!
❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️❤️

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