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14 Oct, 29 tweets, 4 min read
Der Unfall auf der A3 bei Idstein ist eine Tragödie. Die politische Instrumentalisierung dennoch und gerade deshalb unangebracht. Hierzu ein paar strafrechtliche Bemerkungen, die etwas Klarheit in das Dickicht von „Aber sie haben doch den Stau verursacht!“ bringen sollen. THREAD.
Vorweggenommen sei, dass ich den konkreten Fall nicht abschließend beurteilen kann oder möchte. Dies ist den Gerichten vorbehalten.
Relevant für eine Strafbarkeit sind in solchen Fällen vor allem der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) und die Körperverletzungsdelikte (etwa § 223 oder § 229 StGB).
§ 315b StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. hiermit bestraft man die abstrakte Gefährlichkeit einer Tat, also dass bestimmte Verhaltensweisen erfahrungsgemäß, typischerweise (=abstrakt) gefährlich sind. Dazu muss es nicht zu einer konkreten Gefährdung kommen.
Konkret erfordert § 315b StGB, dass ein Hindernis für den Straßenverkehr bereitet wird (§ 315b Abs. 1 Nr. 2) und dadurch Leib und Leben anderer Personen gefährdet werden. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass nicht der gesamte Luftraum über einer Straße zum Straßenverkehr
gerechnet wird – klar irgendwann hört der räumliche Bereich des Straßenverkehrs auch nach obenhin auf. Diese Grenze kann man bei der vorgeschriebenen der Durchfahrtshöhe von Autobahnen (4,70m) ansetzen. Man kann also nicht mehr von einem Hindernis für den Straßenverkehr ausgehen,
wenn man sich höher befindet, einfach weil es den Straßenverkehr räumlich nicht mehr betrifft. Auch mit Blick auf den Wortlaut des § 315b StGB ergibt dies Sinn: Man kann wohl kaum von einem „Hindernis“ für den Verkehr sprechen, wenn man sich in einer Höhe befindet, in der
der Verkehr ohnehin nicht mehr stattfinden kann und darf.

Kommen wir von der abstrakten Gefährdung zu den eingetretenen Verletzungen, dem „Taterfolg“ – ja so wird das im Strafrecht bezeichnet. Die strafrechtliche Verantwortung für den Erfolg wird mehrstufig geprüft.
In einem ersten Schritt fragt man nach der Kausalität, dh der Ursächlichkeit des Tatbeitrages. Die ist in solchen Fällen meistens ohne Weiteres gegeben. Ohne Kletternde kein Stau, ohne Stau kein Auffahrunfall. Ursächlich sind aber auch die Menschen, die die Autobahn gebaut haben,
deren Eltern und deren Eltern, am Ende ziemlich viele Personen. Die Verantwortungzuweisung kann also nicht allein über den Nachweis der Kausalität erfolgen, es braucht noch ein weiteres Kriterium.
Dieses Kriterium ist die sog. objektive Zurechnung.
Man fragt sich hier ob der Taterfolg – also die eingetretene Verletzung – den Tätern auch objektiv zugerechnet werden kann. Die objektive Zurechnung ist eine Art normativer Filter, der der Frage nachgeht: War das wirklich "das Werk" der Täter*in.
Einfacher Fall: Obwohl auch Eltern kausal für einen durch ihr Kind begangenen Totschlag sind, ist die Tötung dennoch nicht "ihr Werk". Näherliegender Fall: Obwohl auch eine Baustellenbetreiberin kausal für einen Stau und den hierauf beruhenden Auffahrunfall ist,
ist dieser Auffahrunfall dennoch nicht "ihr Werk".

Etwas genauer: Eine Tat kann dann objektiv zugerechnet werden, wenn der Handelnde durch seine Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr für eine Rechtsgutsverletzung geschaffen hat, die sich im konkreten Erfolg realisiert hat.
Fiese Definition. Übersetzt auf eine solche Fallkonstellation heißt das: Das Abseilen von einer Autobahnbrücke müsste eine rechtl missbilligte Gefahr für die Verletzung von Straßenverkehrsteilnehmer*innen darstellen, die sich dann in einem Unfall und den Verletzungen realisiert.
Hier gibt es also zwei Komponenten: Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr und Realisierung eben dieser Gefahr durch den Erfolgseintritt.
Bereits die erste Voraussetzung ist in einem solchen Fall nicht erfüllt, wenn man der Argumentation zu § 315b StGB oben folgt.
Doch auch wenn wir diese (schwierige) Frage ausblenden und die Gefahrschaffung bejahen, scheitert es an der zweiten Voraussetzung, der Realisierung der Gefahr.
Denn der Zurechnungszusammenhang wird unterbrochen, wenn ein pflichtwidriges Dazwischentreten Dritter stattfindet oder
es sich um eine Selbstgefährdung des Opfers handelt. Dies ist kein victim-blaming, sondern einfache Strafrechtsdogmatik, die darum bemüht ist, Verantwortungskreise rational voneinander abzugrenzen.
Zum Pflichtwidrigen Dazwischentreten Dritter: Wenn ein*e Dritte*r sich pflichtwidrig verhält und in den Geschehensablauf eingreift, realisiert sich nicht mehr die ursprünglich geschaffene Gefahr, sondern die Gefahr, die der Dritte geschaffen hat.
Beispiel: Bremst eine LKW-Fahrer*in pflichtwidrig zu stark ab, wird dadurch eine neue Gefahr geschaffen. Kommt es dann zu einem Unfall realisiert sich eben diese Gefahr – scharfes Abbremsen – und nicht mehr die ursprünglich geschaffene Gefahr.
Dass der LKW insofern nur scharf abgebremst hat, weil es einen Stau betrifft wiederrum nur die Kausalität und spielt keine Rolle, er hätte ja auch vorschriftsgemäß abbremsen können.
Gleiches gilt für die Selbstgefährdung des Opfers: Werden Verkehrsregeln beim Heranfahren an einen Stau nicht beachtet und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat sich diese Gefahr – zu schnelles Heranfahren – und nicht mehr die ursprüngliche Gefahr realisiert.
Eine Zurechnung dieses Verhaltens an den Verursacher des Staus ist nicht zu rechtfertigen. Man überlege sich nur einmal der Stau wäre durch eine Baustelle entstanden. Würde man dann wirklich das zu schnelle Auffahren der Betreiberin zurechnen wollen und sagen
es sei trotzdem „ihr Werk“, ihre Tat und dementsprechend zu bestrafen? Wohl eher nicht.
Noch ein paar abschließende Bemerkungen:
1) Wir tun uns schwer damit, Unglücksfälle als das zu begreifen, was sie sind: Unglücksfälle. Die Neigung jemanden persönlich für ein Unglück verantwortlich machen zu können, sehen wir nicht nur in Verschwörungstheorien
(Corona, Gates & Co), sondern auch bei vielen Fahrlässigkeitsdelikten. Wir sollten uns trotzdem davor hüten, vorschnell Verantwortlichkeiten zu konstruieren, wenn diese einer genaueren Betrachtung nicht standhalten. Die Welt scheint leichter, wenn wir Unglücke konkreten Personen
zuweisen können; wahrer wird diese Sicht auf die Welt dadurch aber nicht.

2) Die vorgebrachten Überlegungen waren rein strafrechtlicher Art, moralisch kann man dies anders beurteilen. Allerdings bietet die ausgefeilte Strafrechtsdogmatik ein gut begründetes Instrumentarium, um
Verantwortungskreise rational voneinander abgrenzen zu können. Wer die Verantwortlichkeit anders verorten will, sollte dies argumentativ begründen und nicht pogromartig die große Schuld der Aktivisti proklamieren. Dies ist nichts mehr als politische Instrumentalisierung.
3) Eine politische Instrumentalisierung dieses Unfalls ist unanständig. Der Fall wird durch die Gerichte aufgeklärt werden, wir haben einen im Großen und Ganzen gut funktionierenden Rechtsstaat.
Das Einspannen für eine politische Agenda gegen Klimaschützerinnen lässt jeden Respekt für die Beteiligten dieses Unfalls vermissen.

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