Am kommenden Sonntag könnte es in Wiesbaden dank der @fdp eine Art BREXIT der Verkehrsplanung geben, wenn über den Bau einer Straßenbahn abgestimmt wird.
Eigentlich wollte ich euch diese Lokalposse ersparen, aber jetzt wird sogar überregional darüber berichtet, daher ein Thread:
Warum der Vergleich mit dem Brexit? Weil die Sache objektiv betrachtet recht klar ist. Alle anderen Städte dieser Größe haben längst ein schienengebundenes Verkehrsmittel, einzige Ausnahmen sind Münster und Mönchengladbach. (In Münster wird eben viel Rad gefahren).
In Wiesbaden werden für den ÖPNV hingegen nur Busse eingesetzt, was dazu führt, das hier unfassbare 48,5 Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens auf PKW entfallen. Und dementsprechend sieht es hier aus: Früher Weltkurstadt, heute eher ein großer Parkplatz mit Häusern dazwischen.
Wenn Touristen Fotos von den historischen Häuserzeilen machen, sollte das unterste Stockwerk lieber nicht auf dem Foto sein oder wie Prof. Knie bei einer der Veranstaltungen sagte: "Schöne Stadt haben sie da, man darf den Blick nur nicht unter das erste Stockwerk richten."
Diese Fixierung aufs Auto liegt auch daran, dass die Alternativen ziemlich unattraktiv sind: Das Radwegenetz wird gerade erst ausgebaut und der Betreiber des Busnetzes vermeldet jährlich neue Rekordzahlen. Entsprechend überfüllt, unpünktlich und unpraktisch sind die Busse.
Das System ist derartig am Anschlag, dass man nicht einfach noch mehr Busse reinkippen kann: Über zentrale Innenstadtzubringer fahren die heute schon im Minutentakt, so dass sie sich an den Haltestellen gegenseitig blockieren und die Verspätung noch mal zunimmt.
Der Vorteil einer Bahn ist recht simpel: Es passen viel mehr Leute rein. Selbst ein Doppelgelenkbus fasst realistischerweise nicht mehr als 100 Personen, eine Bahn in Doppeltraktion 400 Personen. Zudem fährt sie auf einem eigenen Gleiskörper, kommt also schneller durch den Stau.
Sie ist in der Regel leiser als Busse, fährt immer elektrisch, die Waggons halten im Schnitt 30 Jahre während Busse nach 10 Jahren ausgemustert werden. Laut Befragungen sind sie auch einfach komfortabler, besonders für Eltern mit Kinderwägen, Menschen mit Gehhilfen usw.
Wenig überraschend sprechen sich so ziemlich alle Expert:innen auf dem Gebiet ab einer bestimmten Stadtgröße für schienengebundenen Verkehr aus. Seit 2000 haben 114 Städte wieder Straßenbahnen eingeführt, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist wohl mit die größte Stärke.
Warum gibt es im reichen Wiesbaden also keine? Weil die FDP das seit den 90ern erfolgreich ausbremst. Zuletzt hat der hessische Wirtschaftsminister von der FDP sie gestoppt, was die Liberalen nicht daran hindert, jetzt plötzlich das Thema Mitbestimmung für sich zu entdecken.
Deswegen gibt es jetzt einen Bürgerentscheid. Finden viele toll, weil voll demokratisch und so, aber näher betrachtet ist das problematisch:
Der ÖPNV einer Großstadt hat Auswirkungen auf viel mehr Menschen als nur seine Einwohner:innen, so sind viele Vororte davon sehr abhängig.
Junge Menschen und Menschen ohne deutschen Pass dürfen nicht abstimmen, außer sie sind EU-Bürger:innen. Zudem sind ÖPNV-Projekte sehr komplex. Ich habe selbst am Entstehungsprozess des Mobilitätsleitbilds der Stadt teilgenommen und wow, was hat mir manchmal der Kopf geraucht.
Man kann dieses Thema eigentlich nicht vernünftig bewerten ohne eine Menge Zeit reinzustecken und abzuwägen, was die Alternativen können und kosten.
Als wenn das nicht schwierig genug wäre, fällt die @fdp nun unangenehm durch eine Desinformationskampagne auf.
Beispiel 1
Der Bau der Trasse kostet ca. 500 bis 600 Mio. Euro und wird zu 90% (!) vom Bund und vom Land Hessen finanziert. Der Jahreshaushalt der Stadt liegt bei 1,4 Milliarden, zudem sinken die Kosten für Fahrer:innen.
Trotzdem wird hier Angst vor einem Schuldenberg geschürt:
Beispiel 2
Unwissenschaftlicher Unsinn. Staus in Städten entstehen durch zu viele Autos.
Bahnen, Busse, Rad- und Fußwege sind die effizientesten Verkehrsformen und verringern nachweislich Stau:
Der Absurditätsgrad ist so hoch, dass die Linke kurzerhand die Plakate der FDP kopiert hat, und das "nein" durch ein "ja" ersetzt hat - und so dennoch die stimmigere Gesamtaussage erzielt.
Die mutmaßlich von der FDP mit unterstützen Bürgerinitiativen hängen einfach wahllos Plakate an Bäume, auf denen "DIESE BÄUME SOLLEN STERBEN FÜR DIE CITYBAHN" steht oder es wird behauptet, Rentner müssten ihre Autos abgeben (ja, kompletter Unfug).
Entsprechend emotional aufgeladen und amerikanisch ist die Debatte. Die Ebene der Sachargumente wurde längst verlassen, es geht bei vielen Gegner:innen primär um Emotionen und das Gefühl, dass die Linksgrünen Ökos ihnen ihre Autos wegnehmen wollen.
Und so ist der Ausgang völlig offen. Wie beim Brexit auch haben sich nur wenig darüber informiert, was passiert, wenn es wirklich zu einem nein kommt: Die Zweitbeste Lösung ist ein sogenanntes BRT-System: Das steht für Bus Rapid Transit, ist deutlich teurer und ineffektiver.
Wenn man die FDP fragt, wie wir die massiven Probleme denn in den Griff bekommen wollen, verweisen diese auf Innovationen, Busspuren und Radverkehr.
Die Position dieser als progressiv geltenden Partei ist zusammengeschrumpft auf eine Mischung aus Klientelpolitik für ein paar reiche Villenbesitzer in der Nähe der angedachten Strecke und einer Portion unwissenschaftlicher Verkehrsesoterik.
Ach so, für alle, die in der eigenen Stadt vor einer ähnlichen Herausforderung stehen: Die Bürgerinitiative FÜR die Bahn hat wertvolle Informationen zum Thema zusammengetragen, mit Quellen belegt und auch mal über den deutschen Tellerrand hinaus blickend: procitybahn.de
Update: Der Bau wurde heute mit 62 zu 38 Prozent abgelehnt, die Wahlbeteiligung war recht hoch.
Morgen kommt noch mal ein Update, welche Stadtteile wie abgestimmt haben und hoffentlich auch eine Analyse der Altersstruktur.
Aktuell sieht es nach mindestens 10 weiteren Jahren Bus-Chaos aus.
Wie man sich bettet...
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Abgesehen vom traurigen Niveau isses hier vor Allem ineffektiv geworden. Drüben bei bluhskai kann ich einfach einen Link zu meinem Artikel posten UND Leute bekommen ihn ausgespielt. UND ich muss danach nicht 2 Stunden lang moderieren.
1/5
Wer mich kennt, weiß: Ich komme sehr gut mit anderen Meinungen klar. Im Prinzip war das hier sogar lange der USP: Leute mit anderer Meinung verfechten sie mir gegenüber so, dass es eine echte Debatte gibt und ich meine danach ggf. ändere. Es WAR ein global townsquare.
2/5
Das sehe ich hier nicht mehr. Meinungen werden jetzt einfach künstlich verstärkt/abgeschwächt und es zählt nicht mehr die Stichhaltigkeit eines Arguments, sondern welches lauter in den townsqure gebrüllt wird.
Für die Kosten der Energiewende werden in dieser "Studie" Baukosten UND die Erlöse der Anlagen zusammenaddiert.
Als würde ich auf den Kaufpreis einer Wohnung die folgenden 20 Jahre Miete obendrauf addieren und sagen, diese Gesamtsumme wären die Kosten für die Wohnung?!
[2]
Dass diese Gaga-Rechnung nicht korrigiert, sondern weiterverbreitet wurde, fühlt sich nach genau der Ideologie an, die die @welt gerne bei anderen sieht.
Die Studie nimmt übrigens einfach chinesische Bauzeiten an, die auch das dortige, autoritäre Regime erst emöglicht.
[3]
Zustand der Bahn nach 3 Jahren FDP-Führung des Verkehrsministeriums. Nicht nur die Reservierungen werden nicht digital angezeigt, jetzt wird sogar die ganze Waggonnummer auf Papier geschrieben.
Durchsagen funktionieren nicht.
Klos sind defekt.
Es ist einfach peinlich.
Ja, der Vorwurf ist nicht 100% fair, weil @Wissing schon einen maroden Konzern geerbt hat.
Aber solange hier nichts gelöst wird und wir Bahn-Investitionen immer weiter verschleppen, um einem hübschen Kontostand zu frönen, wird das wohl schlimmer werden.
Ich sehe jetzt nicht, wie er das Problem löst, indem Geld von Schiene auf Straße umgelegt wird.
Darf ich vorstellen? Der weltgrößte Minenbagger für den Einsatz in einer kanadischen Kupfermine. Diesel? Hallo, wir haben 2024, das Ding aus deutscher Produktion läuft natürlich elektrisch. 😍🇩🇪⚡️
Die Motoren leisten 2 * 2.000 PS und heben damit pro Ladevorgang 42 m³ ...
1⃣
... Kupfererz in die ebenfalls elektrisch betriebenen Großmuldenkipper. Es wird somit ohne fossile Brennstoffe aus der Erde geholt, im Idealfall ohne fossile Brennstoffe raffiniert und kann dann genutzt werden, um noch mehr solcher Bagger oder E-Busse, Windkraftanlagen, ...
2⃣
Stromnetze, Wärmepumpen oder was auch immer herzustellen. Um damit dann noch mehr fossile Brennstoffe loszuwerden (!). Ist das Konzept jetzt langsam greifbar?
Hergestellt wird das Ding in Deutschland von Komatsu, dem Nachfolger der in Hannover bekannten Hanomag AG.
As the "BUT LITHIUM IS BAD" BS might work less and less, the @washingtonpost identified another metal framing it as EV misery metal: Aluminum.
Thing is: We used millions of tons of aluminum in our cars long before @Tesla even produced their first one.
1⃣
This must be one of the stupidest Anti EV story ever.
just from 2000 to 2014 global aluminum consumption doubled while in 2014 Tesla sold sth. tiny like 30.000 units.
What do you think aluminum ore came from back then? Right, from Guinea (among others).
2⃣
Seriously, we use aluminum (aluminium, aluminio in other languages) in nearly everything, bc it's lighter than steel but with a quite similar strength (in alloys) and bc its electrical conductivity.
Wenn linke Klimaschützer auf die Lithiumlüge rechter Fossillobnbies reingefallen sind, weißt Du: Deine Kampagne war erfolgreich. wow
Sie schreiben
"Die Gewinnung von Lithium – dem Hauptrohstoff für Batterien – richtet in den Abbaugebieten unglaubliche Zerstörung an. Ganze Landstriche und Ökosystem werden verwüstet"
Nein.
Der Hauptrohstoff ist mit großem Abstand Aluminium, und das ist für Mensch und Tier deutlich schädlicher. das wird seit Jahrzehnten in größten Fabrikhalle der Welt - der VW-Werk in Wolfsburg - in Verbrennerautos verbaut.
Und jetzt rennen diese Trottel aufs Tesla-Gelände. Irgendwo sitzen gerade ein paar Ölmagnaten und lachen sich komplett kaputt.
Tadzio Müller hat mir geantwortet mit der aufs Erste durchaus plausiblen Begrüdnung, dass auch GreenTech heute mit sehr viel fossiler Energie hergestellt wird und dadurch einen Klimaschaden verursacht. Ja, das tut sie. Aber:
[2]
Wir müssen alle (!) Sektoren dekarbonisieren. Das bedeutet in einer komplett fossilen Welt, dass im allerersten Schritt fossile Energie genutzt wird, um daraus E-Autos, Windkraft, Solarzellen, Wärmepumpen usw. herzustellen. Wo gehobelt wird, da fallen Spähne.