Hier kursiert heute mal wieder ein unsäglicher #faz-Artikel zur vermeintlichen #CancelCulture. Er soll sich klicken, indem er auf polemisch-provokante Weise die Ergebnisse eines wissenschaftlich schlechten Papers inszeniert.

Warum alles großer Unfug ist, hier ein kleiner THREAD
Zunächst einmal ordnet der Autor des Textes Thomas Thiel die Studie und ihr Design überhaupt nicht ein. Er nennt zu den großen Prozentwerten, mit denen er hantiert, keine einzige der in der Studie verwendeten Variable. Hier wird also bewusst verunklart.
Auch sonst ist der Redakteur sichtlich bemüht, jede wissenschaftliche Argumentation und Stringenz zu vermeiden. Ihm geht es um ein plattes Bashing falsch verstandener "Identitätspolitik" und den "Verfall kritischer Maßstäbe". Das passt ins polemische Schema der Debatte insgesamt.
Aber nicht nur Faz-Redakteur Thiel schreibt in seinem Artikel falschen und schlichtweg tendenziösen Unfug. Auch die zugrunde liegende Studie ist handwerklich grob stümperhaft bis offen tendenziös. Hier comes why:
Die beiden Autoren wollen messen, wie stark die Toleranz gegenüber kontroversen Ansichten an deutschen Universitäten ist - und besonders, wie es um die Toleranz der "Linken" steht. Was "kontrovers" ist, wird dabei nicht wissenschaftlich erfragt, sondern einfach selbst gesetzt.
Als „kontroverse Themen“ werden hier Gender, Migration, Islam und Homosexualität ausgesucht. Als Untersuchungsort dient die sozialwissenschaftliche Fakultät der Uni Frankfurt, weil diese angeblich der deutsche Ort sei, an dem man am wahrscheinlichsten liberale Ansichten findet.
Als "kontroverse" Ansichten verstehen die Autoren: dass es biologische Gründe für die Fähigkeiten von Männern & Frauen gebe, dass jede Migration abzulehnen sei, dass ‚der Islam‘ inkompatibel mit ‚dem westlichen Lebensstil‘ sei und dass Homosexualität unmoralisch & gefährlich sei. Image
Zu diesen "Haltungen" sollen sich die Studierenden verhalten. Die Autoren selbst nehmen keine Beurteilung dieser Aussagen und ihrer demokratischer Duldbarkeit oder Menschenfeindlichkeit vor, sondern sagen einfach, dass sie "kontrovers" seien – was auch immer das heißen soll.
Die Autoren finden nun heraus, dass die große Mehrheit der Studierenden denkt, Vertreterinnen dieser Ansichten sollten an der Uni vortragen und ihre Bücher in den Bibliotheken stehen dürfen. Mindestens zwei Drittel denken, dass diese Personen nicht an der Uni lehren sollten. Image
Die Autoren wollen dabei gerne über die Menschen reden, die die "kontroversen" Ansichten kritisieren, und unterstreichen, dass es besorgen sollte, dass 30-83 % der Gefragten finden, dass Menschen, die die „kontroversen“ Ansichten vertreten, nicht an der Uni lehren sollten. ImageImage
Ob es aus demokratischer Sicht falsch sein könnte, diese Aussagen zu dulden, ob sie überhaupt "Meinungen" und nicht vielmehr Formen von (menschenrechtsfeindlicher) Diskriminierung darstellen, spielt für die Autoren keine Rolle. Gesagt werden können muss für sie erst einmal alles. Image
Auch ob die Universität als Raum eines rationalen und wissenschaftlichen Diskurses allen "Meinungen" Raum bieten muss, wird hier nicht gefragt. Die Universität und die dortige Debatte wird per se als gleichbedeutend mit der Raum der demokratischen Meinungsäußerung gesetzt.
Der Hauptgeniestreich besteht dann darin, die befragten Studierenden in 'tendenziell linke' und 'tendenziell rechte' Studierende einzuteilen. Dabei finden die Autoren heraus, dass rechte Studierende toleranter gegenüber den oben genannten „kontroversen“ Ansichten sind als linke. Image
Das ist natürlich überhaupt verwunderlich, weil es nunmal rechtskonservative bis rechtsradikale Ansichten sind, die hier als "kontrovers" gelabelt wurden. Aber es lässt sich gut als totalitäre Tendenz der Linken inszenieren, wenn man nicht genau auf die Variablen schaut.
Genauso könnte man im Gegenzug fragen, wieso viele Rechte damit kein Problem damit haben, wenn derartige Ansichten an der Universität geäußert werden. Man könnte auch fragen, ob sich diese Ansichten überhaupt wissenschaftlich sind. Aber das ist nicht das Interesse des Papers.
Die Autoren wissen, dass ihr „Toleranzmaß auf unfaire Weise voreingenommen gegen linke Befindlichkeiten ist“, dass sie nur sehr wenige, vollständig nicht-repräsentative Daten haben (n=501!) und sie über andere Fachbereiche und andere Institute eigentlich nichts sagen können. Image
Dieses Design genügt im Ganzen keinem Bachelorarbeitsniveau. Es reicht vielleicht für eine Seminararbeit, in der Methodenkenntnis bewiesen werden sollen, aber nicht für ein wissenschaftliches Paper. Wie das durch ein peer review-Verfahren gehen konnte, ist mir völlig unklar.
Es pass aber irgendwie ins Bild: Um die wissenschaftliche Integrität und Stringenz scheint es insgesamt nicht zu gehen. Es geht um die diskursive Unterfütterung eines empörten Geraunes. Hier treffen sich dann auch die Studie und das, was T. Thiel in seinem Faz-Text daraus macht.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Florian Rosen

Florian Rosen Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!