Thread by @NilsAlthaus

Ich konnte es im März irgendwie verstehen. Niemand von uns hatte je eine Pandemie erlebt. Das Leben einzufrieren schien surreal, wer würde das verstehen? Irgendwann hat die Welt (und am Ende schliesslich auch der Bundesrat) es doch noch getan. Glücklicherweise. (1/15)

Weil absehbar war, was sonst kommen würde.
Was jetzt geschieht, kann ich nicht mehr verstehen. Jeder von uns hat bereits eine Pandemie erlebt. Wir hatten fast ein Jahr Zeit zu lernen, Rezepte zu finden, die funktionieren (Taiwan, Südkorea, Neuseeland, Taiwan, Taiwan, (2/15)

Taiwan), uns bei den Epidemiologinnen zu entschuldigen, die von Anfang an gewarnt hatten (@C_Althaus , @EckerleIsabella u.a.) und uns auf weitere Entwicklungen vorzubereiten. Und diesmal verpassen wir es auf noch fatalere Weise. Dabei ist wieder absehbar, (3/15)

was kommen wird.
Halb England ist seit dem 19. Dezember unter einem strikten Lockdown und die Neuinfektionen steigen unbeirrbar weiter, die Spitäler bersten langsam und es ist kein Ende in Sicht. Der Impfstoff kommt, aber nicht schnell genug, (4/15)

um die Kurve herunterzudrücken. Die neue Virusvariante B1.1.7 ist fast überall auf der Welt angekommen und in wenigen Wochen, (wenn wir Glück haben vielleicht erst in wenigen Monaten), wird hier dasselbe geschehen wie in England. (5/15)

Die meisten Epidemiologen fordern seit Tagen radikale Massnahmen und wieder hört der Bundesrat nicht hin. Wirtschaftsexpertinnen fordern es seit langem. Pandemieplanung ist Reagieren auf mögliche zukünftige Entwicklungen. Wir reagieren stattdessen auf Entwicklungen, (6/15)

die bereits eingetreten sind – wieder und wieder und wieder. Das Ausmass, in dem die Wissenschaft hier ignoriert wird, macht mich sprachlos.
Ich bin kein Epidemiologe und auch kein Virologe, (7/15)

aber ein paar Grundregeln habe ich in meinem Biochemiestudium gelernt: Wenn sich ein Virus in unseren Zellen repliziert, gibt es Kopierfehler in seiner Erbsubstanz (Mutationen). Je öfter sich das Virus repliziert, desto mehr Kopierfehler gibt es. (8/15)

Je mehr Kopierfehler es gibt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein paar davon für das Virus von Vorteil sind oder das Virus so verändern, dass ein Impfstoff wirkungslos wird. Der Rest ist natürliche Selektion.
Wir wären so nahe dran. (9/15)

Jetzt (eigentlich vorvorvorgestern) müsste alles eingefroren werden, die Kurven so stark wie möglich gedrückt und dann so schnell wie möglich geimpft werden. Die Pandemie wäre vermutlich in wenigen Monaten beendet. (10/15)

Was stattdessen passiert: Wir lassen eine Virusvariante zirkulieren, die sich vielleicht nicht mehr bremsen lässt. Nicht nur werden die Opferzahlen massiv steigen und die wirtschaftlichen Kosten weiter zunehmen, sondern das Virus repliziert sich so oft, (11/15)

dass die Wahrscheinlichkeit einer impfresistenten Variante in die Höhe schnellt. Wenn das passiert, sind wir (fast) wieder auf Feld 1 und haben bereits ein Massaker hinter uns.
Dass all dies eintreten wird, ist nicht sicher, (12/15)

aber ich halte es für wahrscheinlich und jeden Tag für wahrscheinlicher, an dem der Bundesrat (und der Rest der Welt, insbesondere Europa) zögert. Das ist mehr als Grund genug, um zu reagieren. Keiner von uns steigt in ein Flugzeug, (13/15)

wenn es nur mit 50%-iger Sicherheit anstatt mit 100%-iger Sicherheit abstürzt. Und es gibt auch kein Abwägen zwischen Gesundheit und Wirtschaft, es gibt nur das globale Projekt, diese Pandemie so rasch wie möglich zu beenden.
Wir wüssten, was zu tun ist.
P.S. Sorry, (14/15)

dass ich keine Quellenangaben gemacht habe. Ich musste mir das einfach vom Leib schreiben.
(15/15)