Experimente wie das #Saarlandmodell sind im Prinzip zweifach wissenschaftsfeindlich. Es geht dabei nämlich nicht nur um Epidemiologie und Virologie, sondern um das gesamte Spektrum inkl. Geistes- und Sozialwissenschaft und darum, wie damit umgegangen wird:
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„Hört auf die Wissenschaft“ ist richtig, aber etwas simpel. Alle wissen längst: „die Wissenschaft“ gibt es nicht. Erkenntnisse direkt über die Pandemie ändern sich schnell, Ergebnisse und Bewertungen sind widersprüchlich oder komplex. Das zu berücksichtigen ist vernünftig, nur:
Das nutzen immer mehr Verantwortliche in der Politik als offenes Tor zu freihändig selektiver Wahrnehmung der Erkenntnisse: Was zum Erwünschten passt, wird angeführt, auch wenn es unvollständig, veraltet oder widerlegt ist. Das ist unseriöser Umgang mit der wandelbaren Forschung.
So entgeht man der Pflicht, die Abwägung zwischen unterschiedlichen Entscheidungsgrundlagen offenzulegen. Platt gesagt: Warum lässt A sich von Streeck überzeugen, B aber von Drosten? Selten erfährt man es. Das ist Problem 1, es betrifft v.a. Epidemiologie und Virologie an sich.
Dazu kommt das Argument, man schaue eben zugleich auch auf soziale oder ökonomische Folgen. Sehr wichtig, das ist absolut notwendig. Nur: Eigentlich tut man das gar nicht. Man behauptet es lediglich, um damit Wunschentscheidungen zu legitimieren. Warum funktioniert das?
Die Forschung in diesem Bereich ist oft langsam, viele Erkenntnisse fehlen noch. Manche Konsequenzen werden wir erst viel später verstehen. Wir wissen aber schon sehr klar: Kurze, harte Einschnitte sind in den meisten Fällen verträglicher als halbseidene, sich lang hinziehende.
Dieses Grundprinzip müsste sich in ausdifferenziert in den Maßnahmen niederschlagen, die zum Abmildern gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Folgen taugen sollen. Es ist quasi die breite Konstante der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung zur Pandemie.
Dass man sich so wenig Mühe macht, für die wichtige Berücksichtigung sozialer oder ökonomischer Faktoren eine solide Grundlage zu bringen, ist Problem 2. Es verrät viel über die Wahrnehmung geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung, die dafür zentral wäre:
Sie gelten als „weiche Gefühlsforschung“. Was sie herausfinden und wie man soziale Folgen berücksichtigt, glaubt man sowieso längst zu wissen. Man weiß doch wohl, wie die Menschen sich fühlen. So will man die vermeintlich zu harte Haltung der Naturwissenschaften ausgleichen.
Nur: Fachleute wie @BrinkmannLab, @CiesekSandra, @c_drosten, @ViolaPriesemann & Co. berücksichtigen in ihren Ratschlägen längst die Ergebnisse anderer Disziplinen, die sich abzeichnen. Natur-, Geistes-, Sozialwissenschaften sind hier keine gegnerischen Fronten, im Gegenteil:
Sie sind sich relativ einig, wie Pandemieschutz wirksam umgesetzt werden sollte, um Infektionen zu verringern, Maßnahmen zu kommunizieren und zugleich die sozialen Folgen zu bremsen. Der vermeintliche Konflikt zwischen „gnadenlosem“ Infektionsschutz und "Seelenbalsam" ist keiner.
Man weicht den starken Indizien der Naturwissenschaft aus, indem man sich aufs Terrain der Geistes- und Sozialwissenschaften begibt, weil man glaubt, dass man dort nicht gestellt werden kann. Das ist ein Irrtum und es zeigt Geringachtung gegenüber diesen Forschungsrichtungen.
Es geht also gar nicht darum, eine vermeintlich eindeutige Wahrheit einfach nur in Politik umzusetzen. Niemand verlangt das, schon gar nicht Wissenschaftler*innen selbst. Es geht darum, seriös, transparent und verantwortlich mit wissenschaftsbasierten Ratschlägen umzugehen.
Deren Gewichtung ist Aufgabe der Politik, niemand bezweifelt das. Selbstverständlich spielen dabei weitere Faktoren eine Rolle, z.B. ethische Abwägungen.
Aber auch hier sollte man nicht so tun, als stünden die der Forschung entgegen. Sie sind miteinander in aller Regel vereinbar.
"Auf die Wissenschaft hören" heißt also auch, die Wandelbarkeit der Erkenntnisse nicht dazu zu missbrauchen, ihnen komplett zu entkommen und nützliche Gegensätze zu konstruieren, wo sie gering sind. Denn: Wir Forschenden merken das, und es kommt bei uns wirklich nicht gut an.
Exakt 1 Tag vor dem Start spricht man nun über wissenschaftliche Begleitung. Offenkundig war das Sammeln valider Erkenntnisse nie Ziel des Modells. Die Variablen sind vage, zu zahlreich, ändern sich ständig. Ein Experiment ohne Studiendesign ist wertlos.

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