Wirtschaftskrise, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise: Wir sind im Dauerkrisenmodus. Altbewährt ist in Zeiten der Krise zunächst mal gar nichts. Wenn sich das Alte bewährt hätte, gäbe es keine Krise. Das einzige was an diesem Begriff stimmt, ist: alt. THREAD
Politisch und medial wurde und wird im Mainstream auf die Krise meist mit dem Ruf nach „Stabilität“ reagiert. Nicht ohne Eigennutz, denn wenn sich das Alte eben nicht bewährt hat, bildet sich neue Konkurrenz, die reflexartig bekämpft, belächelt oder gekauft wird.
Der Begriff „Stabilität“ ist in diesen Zeiten ein Trugschluss. Ein System zu stabilisieren, das in die Krise geführt hat, verstärkt die Krise noch mehr. Folgen: Polarisierung und der Aufstieg extremer Parteien. In den reicheren Ländern waren das vor allem extrem rechte Parteien.
Große Medien geben gerne vor, sich nicht zu positionieren. Durch Scheinneutralität tun sie es aber doch. Dadurch hat man den Aufstieg der extrem rechten Parteien begünstigt. Man gab ihnen Sendezeit, aber hütete sich vor Einordnung und scharfer Kritik gegen Demokratiefeinde.
Jetzt, wo sich während der Coronakrise wieder zeigt, wie gefährlich diese Kräfte sind, ist es einfach, erhaben und vermeintlich systemerhaltend, gegen sie auszuteilen. Aber sie sind da und sie werden wieder größer, wenn man die Ursachen der Krise nicht begreift.
Dazu sollten Etablierte zunächst bei sich selbst anfangen. Warum gibt es immer mehr neue Bewegungen, Parteien und Medien? Weil es offensichtlich einen beträchtlichen Teil der Gesellschaft gibt, der sich durch Vortäuschen von Normalität im Angesicht der Krise verarscht fühlt.
Der Kanzler weiß das und reagiert darauf bekannt: er kapert den Populismus von extrem rechts, hält sich dadurch die FPÖ vom Hals. Da die ÖVP in den Augen derjenigen, deren Jobs vielfach direkt oder indirekt von ihr abhängen, nicht ganz so böse ist, darf Kurz mehr als Kickl.
Das wird als „Stabilität“ verkauft. Wenn’s die ÖVP zerbröselt, steigt die FPÖ, so die Logik. Wer so viel Angst vor der Wut der Bevölkerung hat, macht etwas falsch, in Politik wie Medien gleichermaßen. Und verkennt nebenbei, dass der Kanzler die Wut genauso schürt wie die FPÖ.
Er schürt sie gegen politische Gegner, die Justiz, MigrantInnen, Medien. Wie reagieren etablierte Medien? Sie kritisieren nur dann, wenn es offensichtlich ist (Chats). Sie solidarisieren sich mit sich selbst (bei Angriffen), aber immer in Abgrenzung zu neuen Konkurrenten.
Neue Konkurrenten kanzeln sie als bissig und zu wenig „journalistisch“ ab. Letzteres setzen sie gleich mit „He said, she said“-Neutralität (siehe oben). Sie führt dazu, dass größere PR-Maschinen wie die des Kanzlers immer besser wegkommen, weil sie schneller Statements raushauen.
Das wird übernommen und bleibt erstmal so stehen. Sie nennen es „Journalismus“ – ohne Einordnung, Kontext, Gegenpositionen. Das kommt alles erst im Nachhinein, doch dann pickt die Message der PR-Maschine schon. Man macht sich mit ihr gemein.
Das ist das exakte Gegenteil von „Neutralität“ und ein Verstärker der Polarisierung, die man vorgibt zu bekämpfen. Polarisierung, das sind die anderen, die neuen. Das führt zu einer Spaltung in der Medienlandschaft, die dem Geschmack des Kanzlers entspricht.
Die Lösung ist nicht künstliche Harmonie unter „KollegInnen“. Sondern ein ehrlicher und in der Sache hart geführter Diskurs über die Zukunft der vierten Gewalt. Es geht um viel: Orbanisierung ist ein schleichender Prozess. Man sieht das Ergebnis erst spät - zu spät.

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