Es haben in Österreich wahrscheinlich noch nie so viele junge Menschen über die Ozeane und das Essen von 🐠🐟🐡 geredet wie jetzt gerade. Der Grund ist eine Netflix-Doku. Ich habe mich in den vergangenen Wochen in die Probleme der Meere eingelesen: sie sind riesig! Thread.
Auf den Film im Detail einzugehen spare ich mir: Das hat der Meeresbiologe Daniel Pauly (is.gd/bAhBnm) kritisch getan. Wichtig ist aber: Den Ozeanen geht es sehr schlecht & alles, was auf die missliche Lage vieler Arten und Ökosysteme dort aufmerksam macht, hilft.
Wie auch am Land sorgen Wirtschaft und Politik, die an heute statt an morgen und an sich statt an alle denken, für Probleme. Viele Meere sind überfischt, mit Plastikmüll verschmutzt, übersäuert und voller Dünger, der zu Totzonen ohne Sauerstoff führt, geplagt von Hitzewellen ...
Dabei sind die Lösungen für viele Probleme klar: Keine davon ist, dass Netflix-Abonnent*innen auf Fisch verzichten. Wenn ordentlich gefischt wird, können die Umweltfolgen von Fisch relativ gering sein – in einer Welt mit künftig zehn Milliarden Menschen nicht unbedeutend.
Wer die Zahlen liest, muss aber schlucken: Große Raubfische wie Lachs, Thunfisch oder Haie sind in den vergangenen 100 Jahren um 90 Prozent weniger geworden. Ihre Biomasse in der Nordsee: -97 Prozent. Im Nordatlantik: -89 Prozent. Am Golf von Bohai in China: minus 99 Prozent.
Der Grund hinter diesen erschreckenden Zahlen heißt in der Ökonomie die Tragödie der Allmende: Der Fisch im Meer gehört eigentlich niemandem. Alle fischen so viel und schnell wie möglich, bevor der Fisch ausgeht. Schon jetzt müssen Schiffe immer weiter hinaus und tiefer hinab.
Das ist ein Problem, weil der Fisch ausgeht, Arten sterben – etwa 25% der Haiarten gelten als gefährdet – und weil die Ökosysteme des Ozeans gestört werden, die komplex miteinander verwoben sind. Lösungen: Fangquoten, temporäre Fangstopps und eine Ausweitung von Schutzgebieten.
Der Hering in der Nordsee – bei Deutschen beliebt als Matjes – wird nachhaltig befischt, das heißt, das nicht mehr entnommen wird, als nachwächst. Für das erste Quartal 2021 dürfen deutsche Fischer 9.851 Tonnen Hering fischen. Bei einzelnen Arten funktioniert das.
Auch beim Thunfisch im westlichen Mittelmeer, sagt der Meeresbiologe Gerhard Herndl von der Uni Wien. Wenn man Fische in Ruhe lässt, erholen sie sich oft schnell. So hat sich die Population der Grundfische wegen der beiden Weltkriege in der Nordsee verzwei- bis vervierfacht.
Bessere Regeln halfen auch in den USA: Dort waren 2015 nur mehr 16 Prozent der Bestände überfischt, 2000 waren es 38 Prozent. Die Zahl gefährdeter Meeresarten ist global seither ebenfalls gesunken, weil es mehr Schutz gibt, von 18 auf 11,5%. Der Buckelwal war kurz vor dem ...
... Aussterben und ist von ein paar hundert auf über 40.000 gewachsen. Viele Schildkrötenpopulationen gelten als gefährdet, sie wachsen aber ebenso. Seit den 90er Jahren ist der Fischfang in den Weltmeeren sogar etwas gesunken, heute kommt mehr als die 1/2 aus Aquakulturen.
Statt Wildfang gibt es also quasi mehr "Landwirtschaft" in den Meeren. Das nimmt Druck von Beständen, ist aber nicht automatisch nachhaltig. Noch wird oft Fischmehl und -öl verfüttert, das wiederum aus Wildfang besteht. Als nachhaltigeren Ersatz schlagen Forscher Seetang vor.
Das Kot der Fische, die in großen Massen auf einem Fleck sind, sammelt sich am Boden als Faulschlamm. In Österreich gibt es Süßwasser-Aquakulturen, wo sich das Kot im Bach verdünnt, das sei die nachhaltigste Variante, so der Biologe Herndl.
Auch bei den Meeresschutzgebieten gibt es Fortschritte. Derzeit ist 2,7% des Meeres Schutzgebiet, 7% sind in Summe bereits als solche bestimmt. Das ist relativ neu: Im Jahr 2000 waren es nur 0,003%. Eine Gruppe an Staaten hat zum Ziel, 30% des Meeres bis 2030 zu schützen.
Die Lösungen für das Überfischungsproblem gibt es also bereits heute, sie müssen nur stark ausgeweitet werden: etwa Fangquoten, massiv mehr Schutzgebiete, noch mehr Artenschutz und eine nachhaltigere Aquakultur.
Neben der Überfischung ist das wohl bekannteste Problem der Ozeane die Verschmutzung mit Plastik. Etwa acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich im Meer. Öffentlich weniger bekannt ist, woher das Plastik großteils kommt ...
Vor allem Länder des globalen Südens mit mangelnder oder nicht vorhandener Abfallwirtschaft sind dafür verantwortlich. 71 Prozent des Plastikmülls kommen aus Asien, 17 Prozent aus Afrika und dem Nahen Osten.
Plastikstrohhalme in einem Kaffeehaus in Wien sind auch nicht nachhaltig, sie sind aber nicht für das Plastikproblem der Weltmeere verantwortlich. Reiche Länder wie die USA oder Deutschland exportieren aber einen Teil ihres Plastikmülls. Bis China die Einfuhr verbot, haben ...
die USA knapp eine Million Tonnen exportiert. Im Vergleich ist das wenig: Insgesamt fallen etwa 100 Millionen Tonnen Plastikmüll in Küstennähe an, die für das Meer relevant sind. Um das Problem zu lösen, braucht es also bessere Abfallwirtschaft in ärmeren Ländern.
Auch mehr Kläranlagen im globalen Süden, aber auch anderen Staaten, wären dringend notwendig. Denn immer mehr Gebiete im Meer werden zu Totzonen, wo kein Leben mehr existiert: Stickstoff und Phosphor sorgen nicht nur in der Landwirtschaft für mehr Ernte, sie kurbeln auch das...
Wachstum von Algen im Meer an, wenn sie über Flüsse dorthin gelangen. Die Algen werden von Bakterien zersetzt, die dabei Sauerstoff verbrauchen, der dann fehlt. Es gab 2008 bereits 405 solcher Totzonen im Meer, in der keine Muscheln, Seesterne oder Fische mehr leben können.
In der Ostsee gehen 14% des Abwassers unbehandelt ins Meer. Im Mittelmeer sind es 53% und in Südasien 85%. In Deutschland wurde der Eintrag stark gesenkt, trotzdem befindet sich in der Ostsee die größte Totzone des Weltmeeres mit einer Fläche von 84.000 Quadratkilometern.
Dazu kommt noch der Klimawandel: 90% der Erwärmung der Erde findet im Meer statt. Korallenriffe halten aber kein Wasser über 30 Grad aus, viele sterben deshalb ab. Fische wandern wegen der steigenden Temperaturen Richtung Norden, wo sie nicht an die Bedingungen angepasst sind.
Das Meer ist wegen der CO2-Emmiss. gerade dabei, zu versauern. Das ist für viele Organismen wie Schnecken, Muscheln, teilweise auch Fische schlecht, die Kalkschalen bilden. Weil warmes Wasser weniger Gase halten kann, führt die Erwärmung dazu, dass weniger Sauerstoff im Meer ist.
Unter dem Strich ist das Meer also gerade dabei, zu einem ziemlich unwirtlichen Ort zu werden. Auch der wichtige Golfstrom schwächt sich stark ab. Darunter versteht man riesige Mengen Wasser, die quasi wie ein Förderband Wärme aus den tropischen Regionen in arktische bringen.
Reißt er ab, würden sich die Tropen noch mehr aufheizen und die Polarregionen sehr viel kälter werden, sagt Gerhard Herndl. Die Folgen für das globale Klima wären unabsehbar. Forscher warnen, dass der Kipppunkt bald erreicht sein könnte. Das hieße: es gibt kein zurück.
Noch ist es aber nicht zu spät. Erneuerbare Energien sind für die Klimakrise, was Schutzgebiete für die Weltmeere sind: eine erprobte Lösung. Gegen den Plastikmüll springt derweil eine NGO in die Presche. Weil sich eine ordentliche Abfallwirtschaft nicht so einfach ...
organisieren lässt, reinigt die NGO Ocean Cleanup Meer und Flüsse. Der Müll wird mit Katamaranen aus den Flüssen geholt, die automatisch Container befüllen. Das ist wesentlich effizienter, als erst im Meer oder an der Küste das Plastik zu suchen. The end.
Alle Quellen findet ihr hier im Artikel verlinkt: derstandard.at/story/20001263… Danke an Gerhard Herndl von der Uni Wien für das Begleiten der Recherche, danke an @AliceVadrot für die politische Einschätzung. Abonniert meinen kostenlosen Newsletter hier: derstandard.at/story/20000919…
Das ist noch eine coole Übersicht zu Schutzgebieten: mpatlas.org

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