@AgendaAustria behauptet, „(...) dass sich bereits bei einem leichten Zinsanstieg ab 2025 (…) die Zinszahlungen innerhalb von zehn Jahren auf zehn Milliarden Euro im Jahr verdoppeln werden.“ (Quelle: tinyurl.com/x9efb6pe, p.3). Kann das stimmen? Ein Thread.
Kurzfassung: Schwer vorstellbar! Selbst bei einem deutlichen Zinsanstieg schon ab 2022 würden sich die Zinszahlungen Österreichs NICHT bis 2035 verdoppeln. Um das zu verstehen, muss man einen Blick auf die Fälligkeitsstruktur der österreichischen Staatsanleihen werfen.
Denn: Zinserhöhungen steigern die Zinslast nur für jenen Teil der Schulden, der (1) refinanziert werden muss und (2) ursprünglich zu einem niedrigeren Zinssatz aufgenommen wurde. Wird z.B. eine alte 4%-Anleihe fällig, steigt Zinslast nur, wenn auf die neue mehr als 4% anfallen.
Wie also sieht die Situation in Österreich aus? Müssen viele Anleihen refinanziert werden? Übersichtlich aufbereitete Daten dazu bietet die Bundesfinanzierungsagentur OeBFA unter oebfa.at/finanzierungsi…
Aktuell sind Bundesanleihen im Nominalwert von knapp 262 Mrd. Euro ausstehend (~80% der österreichischen Staatsschulden). Die Coupon-Zahlungen (Zinsen) für diese Anleihen betragen 4,6 Mrd. Euro jährlich. Im (gewichteten) Durchschnitt beträgt der Zinssatz also ca. 1,75%.
Anleihen mit einem Gesamtvolumen von knapp 57 Mrd. Euro laufen erst nach 2035 ab - Zinsänderungen haben also keinen Effekt auf die Zinszahlungen, die Österreich für diesen Teil der Staatsschuld bis 2035 leisten muss.
Anleihen über etwas mehr als 200 Mrd. Euro laufen jedoch bis 2035 ab und müssen (zu einem neuen Zinssatz) refinanziert werden. Derzeit refinanziert sich Österreich zumeist mit einem Zinssatz von 0 - dadurch sinkt die Zinslast stetig. Was aber, wenn es zu Zinserhöhungen kommt?
Die Coupon-Raten der auslaufenden Anleihen liegen zwischen 0 und 6,25% - je nachdem, wann sie emittiert wurden. Im (gewichteten) Durchschnitt beträgt die Coupon-Rate ca 1,6%. Es gibt also einen Spielraum, Zinserhöhungen würden nicht sofort die Zinslast erhöhen.
Angenommen, alle auslaufenden Anleihen zw. 2022 & 2035 würden mit einem Zinssatz von 1% refinanziert werden (ein gar nicht so "moderater" Zinsanstieg). Wie würde sich die Zinslast bis 2035 entwickeln? Sie würde immer noch sinken! Von 4,6 Mrd. 2021 auf 3,2 Mrd. im Jahr 2035.
Angenommen, alle auslaufenden Anleihen zw. 2022 & 2035 würden mit einem Zinssatz von 2% refinanziert werden (ein deutlicher Zinsanstieg). Wie würde sich die Zinslast bis 2035 entwickeln? Sie würde in etwa konstant bleiben! (Anstieg von 4,6 Mrd. auf etwa 5,1 Mrd.)
Wie hoch müsste der Zinssatz zwischen 2022 und 2035 sein, damit sich die Zinslast bis 2035 tatsächlich verdoppelt? Mehr als 4%! Das wäre sicherlich kein moderater Zinsanstieg! So hoch waren die Zinsen auf österreichische Staatsanleihen schon ewig nicht mehr.
Meine Analyse bisher ging davon aus, dass bis 2035 nur bestehende Schulden refinanziert und keine neuen Schulden aufgenommen werden. Bei zusätzlichen Schulden steigt die Zinslast natürlich stärker – das liegt dann aber nicht primär an den Zinserhöhungen.
Außerdem habe ich angenommen, dass die Zinsen 2022 von heute auf morgen steigen und dann bis 2035 auf diesem Niveau bleiben. Natürlich wird der Zinsanstieg in der Praxis kontinuierlich sein. Dadurch steigt die Zinslast jedoch langsamer, als in meinen Beispielen dargestellt.
Ich habe auch nur Bundesanleihen betrachtet. Diese machen aber 80% der gesamten Staatsschulden aus. Die Entwicklung bei anderen Schuldenformen (etwa Krediten) sollte zudem nicht sigifikant verschieden sein.
Es wäre schön, wenn die Autoren erklären könnten, wie genau sie zu ihren Zahlen kommen. Die Beschreibung im Policy Brief legt nahe, dass d. Fälligkeitsstruktur nicht berücksichtigt wurde. Das wäre aber mMn nicht eine „simple“, sondern eine falsche Berechnung.

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