(1/14) In #BrandenburgHavel fanden am 7. und 8. Oktober die ersten beiden Verhandlungstage gegen den 100-jährigen Josef S. statt. Ihm wird Beihilfe zu mind. 3.518 Morden im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen als Wachmann der SS vorgeworfen. Er soll am Ende sogar als
(2/14) SS-Rottenführer tätig gewesen sein. Verhandelt wird vor dem Landgericht Neuruppin. Die Verhandlung findet allerdings in einer Turnhalle, die zum Gerichtssaal umfunktioniert wurde, statt. Der Angeklagte S. ist nur zwei bis zweieinhalb Stunden am Tag verhandlungsfähig.
(3/14) Unter anderem deshalb wurde die Verhandlung nach Brandenburg/Havel verlegt, da der Anfahrtsweg für den Angeklagten, der in Brandenburg/Havel wohnt, so wesentlich kürzer ist und mehr Zeit für die Verhandlung bleibt.

Am ersten Verhandlungstag wurde die Anklageschrift durch
(4/14) die Staatsanwaltschaft verlesen. In dieser beschrieb der Staatsanwalt unter anderem die systematischen Tötungen von Tausenden Lagerinsassen von 1941 bis 1945. Der Staatsanwalt Klements verlas: „Der Angeklagte unterstützte dies wissentlich und willentlich zumindest durch
(5/14) gewissenhafte Ausübung des Wachdienstes, die sich nahtlos in das Tötungssystem einfügte."

Am zweiten Verhandlungstag bestritt der Angeklagte die Vorwürfe gegen ihn und erklärt sich für nicht schuldig. Er sagte: „Ich habe doch da gar nicht in Sachsenhausen,
(6/14) ich bin unschuldig, weil ich das gar nicht kenn.“ Wie bereits am Vortag angekündigt, äußerte S. sich zu seinem Leben jedoch nicht zu den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Seine Kindheit und Jugend verbrachte S. in Litauen in Mariampol. Er selbst bezeichnete seine Familie als
(7/14) „Volksdeutsche“. Bei ihnen Zuhause sprachen sie jedoch kein Deutsch. S. sagte, dass er Deutsch erst nach dem Kriegsende mit Hilfe seiner Frau lernte. Dennoch hatten er und seine sieben Geschwister alle deutsche Namen. Auf die Jahre 1942 bis 1945 ging er nicht ein.
(8/14) Er schilderte danach sein weiteres Leben, unter anderem die Rückkehr nach Frankfurt/Oder aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, seine Hochzeit 1956 in Wusterwitz und seine heutige Lebenssituation. Nachdem S. mit den Ausführungen fertig war, forderte ein Anwalt der
(9/14) Nebenklage, dass er selbst von dem Angeklagten S. hören möchte, dass dieser nichts zu den Jahren des Zweiten Weltkriegs sagen möchte. Es hatte mehrmals so gewirkt, als ob S. auch zu dieser Zeit seines Lebens weiter erzählt hätte. Sein Anwalt ließ jedoch keine Fragen zu
(10/14) dieser Zeit zu.

Es folgten dann die Ausführungen von zwei Zeugen aus Frankreich und den Niederlanden. Beide schilderten, wie ihre Väter in Sachsenhausen ermordet wurden, weil sie als Widerstandskämpfer aktiv gewesen waren. Herr Grumbach aus Frankreich sagte: „Auch wenn
(11/14) Herr S. nichts sagt, ist er Komplize dieser Todesmaschinerie.“ Herr Heijer aus den Niederlanden wandte sich direkt an den Angeklagten S. und sagte: „Ich könnte verstehen, dass Sie von Angst getrieben sich an der Nazi-Tötungsmaschinerie beteiligt haben. Aber wie konnten
(12/14) Sie nach dem Krieg ruhig schlafen, nachdem sie so viel Leid auf ihr Gewissen geladen haben?“ Weiter fragte er: „Haben sie je darüber nachgedacht, dass sie sich schuldig gemacht haben? Ich habe nicht den Eindruck.“ Am Ende sagt Herr Heijer, dass er sich wünsche, dass der
(13/14) Angeklagte verurteilt wird.

An beiden Verhandlungstagen war der Rechtsextremist Nikolai Nerling, auch als „Der Volkslehrer“ bekannt, als Prozesszuschauer anwesend. Nach dem der zweite Prozesstag zu Ende war, wollte er ein Video auf dem Gelände der Sporthalle aufnehmen.
(14/14) Nach Beschwerden bei der anwesenden Polizei durfte er sein Video jedoch nicht mehr dort weiter aufnehmen und tat dies dann auf dem Gehweg vor der Sporthalle. Er hat bereits angekündigt, dass er auch an den kommenden Verhandlungstagen anwesend sein wird.

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