<< Thread: Was geschah am 4. Oktober 2021 im Westin Leipzig? >> #gilofarim #ofarim
Ich habe hier oft geschrieben, dass ich die Spekulationen rund um die Sache Gil Ofarim leid bin und jetzt einfach auf die Untersuchungsergebnisse warte, nicht weiter rumrätsele. Aber das fällt
schwer, weil ich Gil mag und Antisemitismus verabscheue, ständig von rechten Trolls gezwungen werde, ihn zu verteidigen, aber auch von ernstzunehmenden Stimmen aufgefordert werde, doch einfach einzusehen, dass der Vorfall am 4. Oktober 2021 sich nicht so ereignet haben kann wie
von ihm geschildert. 
Darum nehme ich die Herausforderung an und versuche so etwas wie eine Rekonstruktion, obwohl mir - wie eigentlich allen anderen hier auch außer ein paar Journalisten und Anwälten, der Polizei und der Staatsanwaltschaft - nicht einmal ansatzweise
alle Informationen vorliegen und ich ausschließlich auf die Medienberichterstattung,das bruchstückhafte Material aus der Videoüberwachung und Gils Insta-Video angewiesen bin,um mir ein Bild der Geschehnisse zu machen. 

Ich habe weder stundenlang das öffentlich zugängliche
Videomaterial gesichtet noch alle Fernsehinterviews verglichen oder psychologisch diagnostiziert, auch keine Körpersprache analysiert. Ich verzichte auch weitestgehend auf Quellenangaben (Google is your friend), denn das hier ist keine Doktorarbeit. Dafür versuche ich, ein wenig
Common Sense, meine Menschenkenntnis und Lebenserfahrung einzusetzen, ein bisschen Logik, die Erklärungsversuche von anderen Usern, mein (zugegeben nur angelesenes und „angeschautes“) Wissen über die Person Gil Ofarim.

Und habe dabei - auch das gebe ich offen zu -
die klare Einstellung: Antisemitismus ist ein gewaltiges Problem in Deutschland. Jeder vierte Deutsche hegt laut Studie des Jüdischen Weltkongresses antisemitisches Gedankengut; Experten sprechen von einer systematischen Unterschätzung antisemitischer Vorfälle in Deutschland;
längst nicht alle Taten werden angezeigt, und selbst wenn, bewegen sich etwa Schmähungen oft unter der Schwelle der Strafbarkeit. Nein, es ist NICHT unwahrscheinlich, dass 2021 in Deutschland mitten in einer Hotellobby ein Mensch antisemitisch beleidigt wird. 1900 antisemitische
Vorfälle gab es in  Deutschland im Jahr 2020 (siehe auch  report-antisemitism.de/documents/Anti…) - bei einer jüdischen Bevölkerung von geschätzt um die 200.000.

Darum glaube ich Opfern. Die Aussage eines potenziellen Opfers ist die wichtigste Zeugenaussage. Nur sind eben nicht alle Vorfälle
Straftatbestände. In diesem Fall wurde die Sache durch die Verleumdungsanzeige des Hotelmitarbeiters zu einer.

Nach all den Klarstellungen - los geht’s …
DIE ANKUNFT:
Ca. 19:19 Uhr: Gil Ofarim wird von einer Chauffeurin (des MDR?) am Westin Leipzig vorgefahren. Er kommt gerade von einer MDR-Fernsehaufzeichnung, ein neues Musikformat, neben Ofarim waren auch die Musiker Gregor Meyle und Sängerin Jeanette Biedermann bei der
Aufzeichnung dabei.
Ofarim holt sein Gepäck aus dem Kofferraum; die Chauffeurin ist ebenfalls ausgestiegen, sie und Ofarim unterhalten sich noch kurz, lachen, werden dabei von einem Gast oder Mitarbeiter des Hotels beobachtet, der rauchend vor der Tür steht.
Die Chauffeurin verabschiedet sich winkend, Ofarim geht Richtung Hoteleingang, holt seine Buchungsunterlagen aus der Tasche und setzt seine Maske auf. Dabei wird er weiterhin vom "Raucher" beobachtet, der sich zuvor auch das Nummernschild des wegfahrenden Autos angesehen hat.
Er scheint Ofarim direkt ins Hotel zu folgen.

DER STERN:
Die größte Diskussion bzgl. der Ereignisse des 4. Oktober rankt sich um die silberne Kette mit auffälligem Davidstern, die im Zentrum der mutmaßlichen antisemitischen Beleidigung steht bzw. zu stehen scheint
(mehr dazu später): „Pack deinen Stern ein!“… Am Morgen war Ofarim mit dem Zug aus München nach Leipzig angereist; auf seinem Instagramkanal hatte er ca. 5 Stunden vor dem Westin-Vorfall ein Selfie von der Zugfahrt als Story gepostet (ein thailändischer Fan hat davon einen
Screenshot gemacht und auf Twitter gestellt), auf dem die silberne Kette unter seinem Shirt zu sehen ist. Ofarim trägt die Kette seit dem Tod seines Vaters nach eigenen Aussagen ständig; Abi Ofarim hatte sie ihm zu seiner Bar Mitzwa geschenkt. Dass Hobbydetektive auf Twitter und
Journalisten bei Bildrecherchen vergleichsweise wenig Bildmaterial mit sichtbarem Stern finden, liegt zum einen daran, dass der Stern - wie jede Halskette - oft unter Shirts oder Jacken verschwindet, bei öffentlichen Auftritten auch mal wegen eines Kostüms, Smokings oder
körperlicher Betätigung abgelegt werden muss und vor allem anderen daran, dass das dauerhafte Tragen erst im Sommer 2018 begonnen hat, man bei Bildersuchen von ihm aber hauptsächlich Material von 2017 (13 Wochen lang Let’s dance) findet.

Aber war der Stern nun am Abend des 4.
Oktober in der Hotellobby oder bevor Ofarim das Hotel betreten hat, auf seiner Brust zu sehen? Das öffentlich zugängliche Videomaterial gibt nicht viel her. In der Ankunftsszene ist wegen des unkenntlich gemachten, verpixelten Kopfes der Chauffeurin (Verpixelung durch
Fernsehsender oder das Westin?), die die ganze Zeit vor ihm steht, der Stern -unmöglich zu erkennen - falls zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Shirts. Auch die Lichtverhältnisse verhindern, dass der Stern sichtbar werden kann (siehe den hervorragenden Thread von @KonLex09
). Als die Chauffeurin seinen Radius verlässt, dreht Ofarim sich zur Seite; wieder kann der Stern nicht gesehen werden. Einige Bildbearbeitungsprofis haben durch Nachbearbeitung von Einzelbildern zumindest einen hellen Schatten ungefähr auf Herzhöhe
herausgearbeitet.

Eine andere Frage, die sich evtl. zu stellen lohnt: Hat der „Raucher“ vorm Hotel den Stern wahrgenommen (als Ofarim sich runterbeugte oder weil er durchgehend sichtbar war) und/oder hat er Ofarim als Person erkannt (schließlich hat er seine Ankunft vorm Hotel
sehr gründlich studiert und - vor allem - Ofarim evtl. als einziger OHNE Maske gesehen und deshalb womöglich als Promi einordnen können)?

Die Beleuchtung in der Lobby (grelles Licht von oben, das zum Beispiel sein Shirt zeitweise fast weiß erscheinen, den Raum aber trotzdem
stark im Dunkeln liegen lässt) macht es ebenfalls so gut wie unmöglich den Stern auf Ofarims Brust zu sehen, selbst wenn er ihn durchgehend über dem Shirt getragen hätte; einige Bilder sind so verpixelt, dass man kaum seinen Kopf erkennen kann. Auf dem Großteil der wenigen Bilder
von der Warte-Situation ist Ofarim nur von hinten zu sehen.Ob - immer unter der Voraussetzung, dass der Stern nicht durchgängig zu sehen gewesen ist - es während des Wartezeit zu Situationen gekommen ist, in denen ein unterm Shirt getragener Stern sichtbar geworden sein könnte
(Ofarim beugt sich vor, um etwas aus dem Koffer zu holen; er zieht seine Jacke aus; er redet mit Mitwartenden, die vielleicht nach dem Stern fragen; er spielt mit der Kette wie es viele Menschen in Warte-Situationen oder beim Telefonieren machen - der Fantasie sind keine Grenzen
gesetzt ) ist auf dem bisher öffentlich gemachten Material nicht zu sehen. Von der bisher öffentlich gemachten Szene am Counter existiert ein in der Berichterstattung viel herangezogenes Standbild, auf dem er aufgebracht schräg nach hinten zeigt (offenbar auf den „Rufer“, mehr
dazu später). Von diesem Standbild gibt es inzwischen optimierte Versionen, die einen Stern zumindest unter dem Shirt erahnen lassen. Auf anderen - bewegten - Videobildern vorm Counter ist deutlich seine zweite Kette zu erkennen, die vor seiner Brust baumelt. 

Trägt Ofarim den
Stern offen, als er 20 Minuten später das Hotel wieder verlässt? Auch hier gibt das öffentlich gemachte Videomaterial die Antwort nicht komplett preis. Fest steht, dass der Stern auf den letzten Aufnahmen vorm Hotel an einigen Stellen kurz aufzublitzen scheint und dass Ofarim den
Stern auf keinen Fall irgendwo rausgeholt und sich umgehängt hat. Ob er von Anfang an - beim Heraustreten aus der Tür - da war, ob er beim Abstellen des Gepäcks rausgefallen ist, ob Ofarim ihn an irgendeiner Stelle aktiv (was nicht automatisch böswillig bedeutet) aus dem Shirt
geholt hat, zum Beispiel beim Telefonieren, können auch hier nur die Forensiker endgültig klären, wenn überhaupt.

Fest steht nur:Anschließend nimmt Ofarim das vielfach geklickte Insta-Video auf, das er dann wegen des Facebook-Downs an diesem Abend erst am nächsten Morgen postet.
IM HOTEL: 

Nur weniger Szenen und Standbilder aus der Hotellobby wurden bisher öffentlich gemacht. Auf einigen Videoszenen sieht man Ofarim die Lobby betreten, sich umsehen und sich zu den anderen Wartenden stellen. 

Hier kommt es dann anschließend zu den Momenten,die in seinen
diversen Fernsehauftritten als durch ihn divergierend dargestellt interpretiert werden könnten. 

Nachdem Ofarim sich in die Schlange der Wartenden eingereiht hat, fällt ihm auf (wahrscheinlich wenige Minuten nach dem Betreten der Lobby), dass Hotelgäste nach und nach von hinten
aus der Schlange geholt und vorzeitig eingecheckt werden (durch "Herrn W."). Ofarims Schilderungen nach fällt das auch anderen in der Schlange auf (evtl. unterhät man sich dazu, Kopfschütteln o.ä.). 

Was dann passiert, hat Ofarim in seinem Instagram-Video und den diversen
Fernsehinterviews vor und nach der Veröffentlichung von Videomaterial durch die BILD in teilweise im Wortlaut voneinander abweichenden Varianten beschrieben, wie zum Beispiel Twitteruser @Netcube93 hier mehrfach beschrieben hat.

Dabei gehen er und andere Hobby-Analysten davon
aus, dass er seine später erzählten Versionen des Vorfalls wegen der Veröffentlichung von Teilen des vorhandenen Videomaterials an die Videos angepasst hat. 

Wäre das der Fall,würde das entweder bedeuten, dass er beim Dreh des Insta-Videos und während der ersten Fernsehauftritte
nicht wusste, dass Videomaterial aus einer Überwachungskamera vorhanden ist oder es Zeugen geben könnte (unwahrscheinlich, da Odarim die ganze Nacht Zeit hatte, sich mögliche Stolpersteine in seiner Geschichte zuvor Augen zu führen;bis zu den Fernsehinterviews hatte er genug Zeit
mit Beratern oder Anwälten zu sprechen- warum sollte er sich diese Live-Interview-Situationen antun, wenn er etwas zu verbergen hätte?) - und mutwillig eine erfundene Szene erzählt hat, weil er glaubte, sie sei nicht nachprüfbar oder würde nicht nachgeprüft werden (ebenfalls
unwahrscheinlich, weil er doch angeblich damit gedroht haben soll, sein Instavideo werde „viral gehen“).

Oder es würde bedeuten, dass er durch das Anschauen des Videomaterials (wahrscheinlich kannte er es bereits seit längerem durch die Polizei) an Details erinnert wurde, die er
in der Aufregung/dem Adrenalinausstoss und absoluten Stresssituation direkt nach dem Vorfall (also im Insta-Video, während des inquisitorischen Bild-TV-Interviews sowie der Live-Situation bei der ProSieben-Talkshow „Zervakis & Opdenhövel“) vor lauter Nervosität (er entschuldigte
sich bei Opdenhövel an einer Stelle des Interviews für sein Stottern) nicht sofort parat hatte oder für nicht wichtig erachtete. 

Letzteres Szenario ist aus meiner Sicht wahrscheinlicher oder zumindest eine plausible Erklärung. Bei dem psychologischen Phänomen einer
Fehlattribution „wird die Erinnerung der falschen Zeit, dem falschen Ort oder der falschen Person zugeordnet. (...) Ursache solcher Fehlleistungen ist das Bemühen des Gedächtnisses, sich nur das Wesentliche zu merken. Meistens ist die Quelle einer Erinnerung nicht so wichtig.
Es ist oft entscheidender, dass man weiß, was jemand erzählt hat, als, wer es erzählt hat. Auch ist es in den meisten Fällen einfacher, ein Ereignis selbst zu erinnern, als den raum-zeitlichen Kontext, in dem es stattgefunden hat.“ ( dasgehirn.info/denken/gedaech…).
In der Stress-Phase kurz nach dem Erlebnis und im Zuge des gewaltigen,für Ofarim sicher in seinem Ausmaß und der politischen Dimension auch überraschenden öffentlichen Interesses, gefolgt von ersten antisemitischen Hasspostings in den sozialen Medien, wäre das eine einleuchtende.
Erklärung.

Nimmt man als Faktum dazu, dass Ofarim in ernsthaften Interviewsituationen (anders als auf der Bühne, in Unterhaltungsformaten oder auf Insta, in seinem Element) generell oft rhetorisch etwas linkisch daherkommt, Wörter weglässt und dazu neigt, sehr sprunghaft
zu erzählen, ist die einfachste Erklärung: Alle angeblich so verschiedenen Versionen des Vorfalls, die er in den sechs oder sieben Fernsehinterviews erzählt hat, sind gar nicht so verschieden.

Ob der Zuruf des „Rufers“ („Pack den Stern ein!“) „aus der Ecke“, „von hinten“ oder
„von der Seite“ kam, ist nicht spielentscheidend und kann sich in der Erinnerung mal so mal so darstellen; evtl. sind die Begriffe in Ofarims Sprachgebrauch sogar deckungsgleich. In einem der veröffentlichen Stills des Überwachungsvideos sieht man Ofarim mit der rechten Hand auf
jemanden oder etwas halbrechts hinter ihm deuten - ob er da „in die Ecke“, nach „hinten“ oder „zur Seite“ deutet: Auslegungssache. Auch seiner Aussage, den „Rufer“ nicht identifiziert haben zu können, widerspricht nicht dem Bildmaterial: Er hat einfach in die Richtung des Ausrufs
gezeigt.

„PACK DEN STERN EIN“:

Die größte Diskrepanz zwischen Ofarims diversen Interview-Darstellungen vor und nach Veröffentlichung des Videomaterials wird von Hobby-Analysten in den scheinbar unterschiedlich geschilderten zeitlichen Abläufen des eigentlichen Vorfalls - der
mutmaßlichen antisemitischen Beleidigung- gesehen: Wann hat der Rufer gerufen und wann hat Herr W. den Ruf wiederholt?
Dass dieser Satz gefallen ist, davon ist Gil Ofarim „felsenfest“ überzeugt. Ein Satz, der sich ins Gehirn einbrennt, weil er einfach, prägnant und - ja - für mich glaubwürdig ist. Nichts, was zumindest ich mir in fünf Minuten aus den Fingern saugen könnte.

JEDE andere
antisemitische Beleidigung wäre einfacher zu erfinden gewesen. Der Satz legt die Vermutung nahe, dass der sichtbar getragene Davidstern der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte ist, vor allem weil Ofarim ihn in seinem Insta-Video gleich zweimal in die Kamera hält und später
auch bei BILD-TV -  während er von drei Moderatoren in die Zange genommen wird - ein weiteres Mal dazu genötigt wird, als stünde er vor Gericht und zeigt auf das Beweismaterial oder hielte auf einem US-Polizeifoto das Schild mit der Aktennummer hoch.
Ist der Stern aber wirklich der Dreh- und Angelpunkt? Sollte die forensische Untersuchung der Staatsanwaltschaft ergeben, dass der Stern die ganze Zeit oder teilweise sichtbar getragen wurde oder zumindest in einer bestimmten Situation die Möglichkeit bestanden haben, dass er
sichtbar gewesen ist, kann man diese Frage getrost vernachlässigen. Aber was ist, wenn sich dafür keine Beweise finden lassen und sich auch tatsächlich kein Zeuge an den Stern erinnert?

"Es geht nicht um die Kette, es geht um etwas Größeres" hat Ofarim in einem der späteren
Interviews gesagt; viele Kommentatoren haben ihm daraus einen Strick gedreht: „Um was denn sonst, du hältst sie doch noch in die Kamera?“ / „Es geht ja auch um was Größeres, nämlich dein Ego“. Was Ofarim meint und rhetorisch einfach nur etwas holprig ausdrückt,ist aber doch klar:
"Warum konzentrieren sich alle nur wegen ein paar Videoausschnitten auf dieses Detail, zweifeln nach all der echten und gespielten Empörung plötzlich meine Glaubwürdigkeit an, wo es doch eigentlich um etwas Größeres, Ungeheuerliches geht: um eine offene antisemitische
Beleidigung in einer deutschen Hotellobby?“

Genauso hätte der Rufer einfach nur „Jude“ rufen können. Dass der Stern der Auslöser war, erschien Ofarim zum Zeitpunkt seines Videodrehs vielleicht einfach am wahrscheinlichsten, da er die Kette ja immer trägt seit drei Jahren, und
davon überzeugt war in diesem Moment, sie müsse zu sehen gewesen sein. „Pack den Stern ein“ kann aber auch sarkastisch/symbolisch gemeint sein: "Lass nicht den Juden raushängen", „Halt mal den Ball flach“. Um diese Beleidigung auszusprechen, muss Ofarim nur als Jude erkannt
worden sein, ob an dem Stern oder weil ihn jemand aus dem Fernsehen als prominenten Juden kennt, seine Stimme erkannt hat, an seinem Namen oder weil er auf Hebräisch telefoniert hat, weil irgendetwas auf dem Gitarrenkoffer steht oder er beim Gespräch mit der Chauffeurin oder
anderen Hotelgästen etwas fallen gelassen hat, weil er jeden zweiten Insta-Post mit Shalom unterschreibt und ihn jemand gegoogelt hat.

Wann ist der Ruf denn nun aber erfolgt, und wann und warum hat Herr W. ihn aufgegriffen? Die Hobbyanalysten sprechen hier wieder von zwei
Varianten,die Ofarim zu verschiedenen Zeitpunkten zum besten gegeben habe:In der ersten Variante habe sich alles am Counter innerhalb weniger Minuten oder gar Sekunden abgespielt;in der zweiten Variante vergehen zwischen Rufer und Wiederholung des Satzes durch Herrn W 15 Minuten.
Auch hier greift zum einen wieder meine Beobachtung der rhetorischen Unzulänglichkeiten Ofarims in Situationen, in denen er sich nicht ganz zuhause fühlt, und die Theorie der Fehlattribution („ist es in den meisten Fällen einfacher, ein Ereignis selbst zu erinnern, als den
raum-zeitlichen Kontext, in dem es stattgefunden hat“), zum anderen ist es vielleicht einfach eine Ungenauigkeit in der Chronologie der Darstellung, die entsteht, weil Ofarim in seiner Erzählung schnell zum wesentlichen Punkt - die Beleidigung - kommen will,
statt den Raum-zeitlichen Kontext genau zu erinnern. Im Instagram-Video fällt folgende Aneinanderkettung von Sätzen: „Ich stehe hier mit meiner Kette (…) und eine Person nach der anderen wird vorgezogen, und ich verstehe nicht warum. 15 Minuten später komm ich dran und frage:
Entschuldigen Sie bitte, was ist los, das ist nicht in Ordnung, warum werden alle vorgezogen. Und dann sagt dieser Herr W.: Um die Schlange zu entzerren… ICH STEHE AUCH IN DER SCHLANGE. UND DANN ruft irgendeiner aus der Ecke: Pack deinen Stern ein. UND DANN sagt der Herr W.:
Packen Sie Ihren Stern ein…“ - sprich: Variante 1 ist gleich Variante 2, in Variante 1 stellt Ofarim die Abfolge der Ereignisse nur verkürzt und mit Betonung auf der Wichtigkeit der Ereignisse statt ihrer Chronologie dar.

Begriffe wie „Später“, „es ging schnell“, „irgendwann“
sind alle relativ. Wenn man dann Zeit hat, die Szene immer und immer wieder vorm geistigen Auge Revue passieren lässt (was Ofarim inzwischen wahrscheinlich 1000 mal getan hat), und dann durch die Videobilder die Erinnerungen wieder deutlicher werden (zum Beispiel das Zeigen nach
hinten auf den „Rufer“), kommt nach und nach der Kontext wieder zum Vorschein.

DAS INTERNE GUTACHTEN:

Über das interne, bei einer Anwaltskanzlei beauftragte Gutachten des Westin-Hotels will ich nicht zu viele Worte verlieren, vielleicht nur, dass ich es für einen genialen
Schachzug halte, es an die Presse zu spielen, die es nun wie einen offiziellen Bericht aussehen und Google-Suchergebnisse zu Ofarim wirken lässt, als sei er bereits in einem Gerichtsverfahren schuldig gesprochen worden.

Bleiben auch nach der polizeilichen Untersuchung Zweifel
an Ofarims Darstellung, wird so das Hotel bis in alle Zeiten durch das Gutachten gut dastehen. Und dann vielleicht noch die Anmerkung, dass das Gutachten einzig dem Zweck dient, zu klären, ob es arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Mitarbeiter Herrn W. geben muss/sollte oder
nicht, und keinerlei strafrechtliche Relevanz hat.

Ich stelle ansonsten bloß ein paar Fragen: Wieso sollten die aus meiner Sicht unrealistisch wirkende Zeugenaussage, Ofarim habe mit einem Video gedroht, dass „viral gehen wird“ oder der schon  etwas realistischere  Ausspruch
„Scheißladen“ die antisemitische Beleidigung irgendwie unglaubwürdiger machen? Machen diese Ausraster sie nicht eher glaubwürdiger? Beide Informationen widersprechen der Möglichkeit nicht,  dass es zuvor eine antisemitische Beleidigung gegeben hat.
Nur weil keiner der vom Hotel entgegen des Wunsches der Polizei befragten Zeugen (2 Mitarbeiter, 3 Stammgäste) das „Pack den Stern ein!“ in einer vollen Lobby gehört hat oder gehört haben will, heißt das nicht, dass er nicht gefallen ist. Weitere offene Fragen:
… wurden Meyle und Biedermann befragt (die Ofarim laut seiner Aussage in einem der Interviews in seinem neuen Hotel noch an dem Abend aufgesucht und lange mit ihm geredet haben), wurde die Chauffeurin befragt (“Hatte er den Stern an“), der Raucher („Haben Sie ihn erkannt?“)?
Warum wurde der Bericht an die Presse gespielt, obwohl das zunächst ausgeschlossen wurde?  Wer hat das Videomaterial an die Presse gespielt? Warum die ungeschickte  Entschuldigungsaktion  der Mitarbeiter*innen  mit den Israelflaggen am nächsten Tag, wenn es doch gar keinen
antisemitischen Vorfall gegeben hat (sicher keine PR-Idee der Betreibergruppe, sondern eher eine ungeschickte Solidaritätsbekundung der Belegschaft. Warum wurde damit Herr W. von den eigenen Kolleginnen mit-belastet? Warum einen eigenen Forensiker beauftragen, wenn doch die
Polizei dafür verantwortlich ist? Warum wurden Zeugen befragt, obwohl die Polizei das nicht gutgeheißen hat, weil die Zeugen dadurch vielleicht beeinflusst worden sind? Ich hoffe, dass diese Fragen in der offiziellen Untersuchung gestellt werden.
DIE PERSON GIL OFARIM:

Ich will hier wie schon gesagt keine Neutralität vorspielen: Ich bin ein Fan von Gil Ofarim. Ich kenne ihn seit seiner Bravo-Foto-Lovestory, er war mir immer präsent, ich hab ihn bei Let’s dance sensationell gut und wahnsinnig charismatisch gefunden und
war bei The Masked Singer überrascht, dass diese geilen Weltklasse-Performances von ihm kamen. Aber ja: Ich bin eine von denen, die sich wegen dieser „Sache“ angefangen haben, sich näher für ihn zu interessieren. Ich habe sein Buch gelesen, seine öffentliche Person studiert. Von
der Presse bekam Herr W. von Anfang an persönliche, positive Attribute verpasst (erfolgreich, korrekt, warmherzig, Weinkenner, kontrolliert, jung und schon Führungskraft); Ofarim ist stets nur der „Sänger und Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim“.

Darum hier mein Eindruck
von dem Menschen Gil Ofarim: Er ist ungeheuer charmant und extrovertiert ( was bestimmt auf viele künstlich wirkt), gibt aber nur wenig von sich preis (was bestimmt auf viele verschlossen wirkt). Er bereut, nichts richtiges gelernt zu haben, vielleicht auch, eine mögliche
Tennis-Karriere aufgegeben zu haben.

Er ist nicht laut und hat keine Allüren. Immer kommt er sehr diskret rüber, so gut wie nichts Privates gibt er preis auf Instagram, ganz früher mal ein paar Bilder seiner Hunde oder Babyfüße. Deswegen hat er auch nicht denselben Fame wie
andere aus der Fernsehszene. Keine öffentlichen Schlammschlachten (der yellow press ist es egal, sie dichten trotzdem über angebliche Affairen und seine Scheidung).

Auch in seiner 2020 entstandenen Autobiographie gibt es viel Ehrlichkeit über die schlechten Entscheidungen und
weniger positiven Phasen seines Lebens, was andere denken, scheint ihm egal.  Aber auch hier gibt er wenig wirklich Privates preis, nichts über Beziehungen oder seine Kinder (außer ein bisschen Kindermund und Erziehungstipps), kein schlechtes Wort über seine Exfrau, Namen aus
seinem engsten Umfeld wurden geändert.

Nicht den Hauch von  Kollegen-Bashing, nichts, was ihn besonders cool erscheinen lässt.
In seinen Jobs tritt er immer professionell, höflich und respektvoll auf, einer der Türen aufhält und Menschen zuhört und sie ernst nimmt.
Das Show-Hopping von Let’s Dance über Schlag den Star bis zum Promibacken ist eine gute Einnahmequelle für jemanden, der seinen Weg in der Musik aus irgendeinem Grund noch nicht wirklich gefunden hat; er absolviert den Showzirkus mit Würde, einer gewissen Präzision und viel
Ehrgeiz, will der Beste sein, nicht der Lauteste oder der mit den meisten Lachern.

Seine Familie geht ihm über alles, die Karriere kommt an zweiter Stelle. Das Touren, das Auf-der-Bühne stehen liebt er trotzdem abgöttisch, erscheint bei Auftritten einfach völlig bei sich.
Während der Coronazeit - die ausgerechnet mit Erscheinen seines neuen Albums zusammenfällt -  kein Gejammer oder Abdriften in die Schwurblerszene, stattdessen jede Woche live-Sessions auf Instagram mit seiner Band und Cassandra Steen - einfach für seine Fans und aus Lust an der
Musik. Man spürt „zwischen den Zeilen“ dennoch Verzweiflung, Langeweile, Kapitulation. Schon nach dem Tod seines Vaters im Mai 2018 und seiner Scheidung im selben Jahr scheint ein wenig der alten Fröhlichkeit, Leichtigkeit aus seinem Wesen verschwunden zu sein, seine Züge
sind plötzlich härter und erwachsener.

In seinem Leben war er mehrfach Antismitismus ausgesetzt, er spricht in vielen Fernsehsendungen davon, besonders von Erlebnissen aus seiner Kindheit, die ihn besonders geprägt zu haben scheinen,  sich tief eingebrannt haben. Auch hier geht
er nie ins Detail, zu persönlich. Es gab wohl nie gewalttätige Angriffe, aber gerade die kleinen Sticheleien verletzen ihn tief. Verwandte wurden von den Nazis ermordet, da akzeptiert man so etwas nicht, oder nur bis zu einem gewissen Punkt, der vielleicht am Abend des 4. Oktober
einfach erreicht war.

Aufmerksamkeitsdefizit, PR-Coup, Rache als Motiv für einen erfundenen Antisemitismus-Fall? Aufmerksamkeit und Presse - wenn er beides denn um jeden Preis bräuchte - könnte er mit seiner physischen Attraktivität, seinem Charme, seiner hochspannend-tragischen
Lebensgeschichte sicher leichter bekommen (Dschungelcamp, pr-wirksame Affairen mit Promis) und auch positiver (ein Coup wie zuletzt The Masked Singer).

Er ist kein skrupelloser Selbstvermarkter,sondern einfach ein hoch talentierter Sänger und Showman mit nicht ganz der Karriere,
die er mit seinem Potenzial verdient hätte sondern  eher der Karriere, die für einen quasi alleinerziehenden Vater mit so wenig Zeiteinsatz wie möglich das Familieneinkommen sichert. 

Rache? Wegen eines kleinen Streits zwischen zwei genervten, übermüdeten  Menschen? Nachdem er
eine Nacht drüber geschlafen hat? Come on. Zur Frage: Warum das Video statt einer sofortigen Anzeige? Erstens wäre die Anzeige ja auch schnell öffentlich geworden.

Und zweitens: Wenn man weiß, wieviele antisemitische Vorfälle am Ende wirklich angeklagt werden und zu
Verurteilungen führen (nur 14 in Sachsen im Jahr 2020, bei 179 Anzeigen im selben Zeitraum und durch die Polizei vermuteter hoher Dunkelziffer), sollte man jedes Verständnis haben, warum er den Vorfall nicht direkt zur Anzeige gebracht sondern
einfach in die Welt hinausgeschrien hat.

Vielleicht haben Anzeigen aus früherer Zeit auch nie zu etwas geführt? Oder vielleicht wollte er auch einfach niemanden anzeigen, weil es ja NUR um eine verletzende Bemerkung ging, und er nie damit gerechnet hat, dass so ein Video auf
seinem damals 147000 Follower zählenden Instakanal so eine Welle auslösen würde? Diese Empörung auf beiden Seiten, so voller offenem judenfeindlichem Hass und die am Ende stehende Erkenntnis, dass Antisemitismus wohl nie weg war aus Deutschland und salonfähiger ist denn je.
WAS VIELLEICHT GESCHEHEN IST:

Ein Vater von zwei kleinen Kindern, der müde von einem langen Arbeitstag und vielleicht auch von zwei harten Corona-Jahren fast ohne Auftritte und Einkommen ein bisschen oder auch sehr unfreundlich gegenüber einem ebenso geschlauchten
Hotelmitarbeiter auftritt. Sich verarscht fühlt, weil angeblich die Schlange entzerrt werden soll, in Wirklichkeit aber Stammgäste vorgelassen werden und das nicht korrekt kommuniziert wurde. Vielleicht sogar laut „Scheißladen“ schimpft, dafür oder weswegen auch immer einen
dummen antisemitischen Spruch „von der Seite“ reingedrückt bekommt, der dann vom genervten Hotelmitarbeiter aufgegriffen wird - was unentschuldbar ist, aber den Mann nicht zu einem Monster macht. Der das dann als ein in seinem Leben mehrfach antisemitisch angegangener Mensch als
das eine Mal Zuviel enpfibdet, und dann dieses Video dreht, ob angedroht oder nicht, als einen Schrei nach Gerechtigkeit: Ist das nicht die menschlichste Variante der Ereignisse und damit die Wahrscheinlichste?

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