Murat Kayman Profile picture
Nov 2, 2021 11 tweets 2 min read Read on X
Ein weiteres schwieriges Detail in dem aktuellen Text von #ElHassan , das klein anmutet, aber für ein größeres Problem steht: Die Gleichzeitigkeit ihrer Betonung „Ich bin Palästinenserin - deal with it!“ und ihre Spekulationen zum „kollektiven Gedächtnis der Deutschen“. Ich weiß
nicht, ob sie deutsche Staatsbürgerin ist. Aber in dieser ausdrücklichen gedanklichen und sprachlichen Trennung von „Ihr“-Deutschen und „Wir“-Palästinensern offenbart sich eine identitäre Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit, die mir aus chauvinistisch und nationalistisch
geprägten muslimischen Gemeinschaften bekannt ist. Dieser eindeutigen Unterscheidung folgt auch ihre Einordnung des Antisemitismus: Ihr Deutschen seid historisch erwiesen antisemitisch und benutzt Muslime, um euren Antisemitismus anderen anzuhängen. Aber wir Palästinenser
haben aufgrund der jüdischen Besatzung unseres Landes und familiärer Gewalterfahrungen einen Grund für unseren Judenhass. Eure Maßstäbe bei dem Thema Antisemitismus gelten nicht für uns Palästinenser. Deal with it, dass unser Antisemitismus von Juden selbst verursacht und
damit legitim ist.
Das ist exakt jene Selbstentlastung, mit der Palästinenser auf Demos ihren Judenhass skandieren. Nach eigenem Bekunden schämt sich #ElHassan für diese Zeit ihrer Teilnahme an einer solchen Demo. Vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Ausführungen fragt sich nur,
wofür oder weswegen sie sich schämt? Was für Deutsche ein Eklat ist, will sie für sich und Palästinenser allgemein als eine Art Geburtsrecht reklamieren. Das ist ebenso rassistisch und stigmatisierend wie ihre frühere „Entlastung“, die so klang, als ob sie weniger antisemitisch
sei, weil sie heute weniger religiös sei als früher. Es ist merkwürdig, dass sie sich über einen rassistischen Diskurs beschwert, aber gleichzeitig selbst wiederholt rassistische Denkmuster bedient. Und sie stellt sich selbst und im Diskurs generell nicht die Frage, wie ihre
Lebenswirklichkeit in Deutschland, vielleicht gar als deutsche Staatsbürgerin, mit einer ausschließlich palästinensischen Perspektive auf Israel verknüpft werden kann? Und was diese Verknüpfung für ihre Sensibilität beim Thema Antisemitismus unter Palästinensern bedeuten mag?
Ihr „deal with it“ klingt vor diesem Hintergrund wie der Wunsch, nicht nur ausschließlich Palästinenserin zu sein, sondern das auch für immer bleiben zu wollen, ohne jemals deutsch oder auch-deutsch werden zu wollen. Das wirkt wie die Flucht in die dauerhafte ausländische
Identität, nur um den eigenen Antisemitismus aus der permanenten Opfersituation heraus rechtfertigen zu können und niemals hinterfragen zu müssen. Damit ist dieser Diskurs nicht nur eine Debatte über Antisemitismus, sondern auch eine über Deutschland als Einwanderungsland, wie
wir uns als Gesellschaft definieren und wie wir mit identitären Wagenburgen umgehen wollen, um auch den Judenhass aus diesen zu unterbinden. Das ist keine rein akademische Debatte. Es geht ganz konkret um das Sicherheitsbedürfnis unserer jüdischen Mitbürger.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Murat Kayman

Murat Kayman Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @KaymanMurat

Jun 24
Den Nahostkonflikt werden wir hier in Deutschland nicht lösen. Worauf wir Einfluss haben, sind die Bedingungen unseres Zusammenlebens hier vor Ort. Die jüngsten Zahlen antimuslimischer Vorfälle allein in Berlin sind alarmierend - 644 solcher Fälle wurden in 2024 erfasst. Das
ist ein wichtiges Thema, über das intensiver diskutiert werden muss. Es ist abgesehen vom Nahostkonflikt nahezu das einzige Thema, über das muslimische Organisationen in Deutschland öffentlich reden. Jetzt stellen wir uns vor, die Zahlen allein für Berlin wären um etwa das
40-fache größer - also etwa 25.000 antimuslimische Vorfälle in Berlin. Was wäre los in unseren muslimischen Gemeinschaften? So viele antisemitische Vorfälle gäbe es geschätzt aktuell, wäre die jüdische Bevölkerung Berlins genau so groß wie die muslimische. Die erfassten
Read 12 tweets
Jun 18
„Wir dürfen nicht akzeptieren, dass keine Regeln mehr gelten, dass nur noch das Recht des Stärkeren gilt!“ Okay, was glaubt ihr denn, was das iranische Regime tun würde, sobald es über Atomwaffen verfügt? Sich an Regeln halten? Ich sehe hier seit Tagen, wie antisemitische
Accounts bereit sind, jedes AI-generierte Bild und Video mit infernalischen Zerstörungen israelischer Städte zu glauben und zu feiern. Die Massenvernichtung von Juden weckt eine tiefe Freude, eine Genugtuung, die sich über kulturelle, sprachliche, konfessionelle Grenzen hinweg
quer durch meine muslimischen Gemeinschaften zieht. Ich will das nicht ignorieren. Und ich kann nicht glauben, dass all diese Stimmen treue Verfechter des Völkerrechts sind, die sich an eine regelbasierte Weltordnung halten, sobald sie militärisch stark genug sind, Israel zu
Read 4 tweets
Jun 14
Auf der Ebene der politischen Analysen kann es Meinungsverschiedenheiten geben. Ich kann Argumente und Einordnungen nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile. Und im Kontext des Nahostkonflikts sind kontroverse Positionen ohnehin die Regel. Aber es gibt im Hinblick auf Israel
eine ganz spezielle Freude an Gewalt und Zerstörung, die nicht anders zu erklären ist als mit tief verwurzeltem Judenhass. All die moralische Entrüstung, die humanistische Sensibilität und alle ethischen Grundsätze, die als allein handlungsleitend in der Kommentierung des
Gaza Krieges vorgetragen werden, sind augenblicklich verflogen, sobald israelische Städte brennen. Ich bin mir sicher, dass all die Entrüstung über „Kriegsverbrechen“ und „Genozid“ plötzlich dahin wäre, wenn im Verlauf dieses Krieges nur „ausreichend“ viele Juden sterben
Read 8 tweets
May 3
Die aktuelle Entrüstung darüber, dass Rechtsextremisten als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden und die zunehmende Etablierung eines völkischen Verständnisses von Zugehörigkeit, wie es in dem Begriff des „Volksdeutschen“ zum Ausdruck kommt, machen sichtbar,dass unsere
Erinnerungskultur in weiten Teilen eine Wiedergutwerdungskultur war und ist. Die Wiedergutwerdung der Täter hatte unmittelbar nach Ende des Krieges begonnen. Die Sehnsucht nach Wiedergutwerdung der Bevölkerung hat u.a. im Historikerstreit Ausdruck gefunden. Nun sind wir an dem
Punkt angekommen, an dem selbst die Ideologie des Rechtsextremismus ihre Wiedergutwerdung einfordert und als Ausdruck der höchsten Form der Freiheit des deutschen Volkes verstanden werden will. Sind die Achtung und der Schutz der Menschenwürde nun die ewige Selbstverpflichtung
Read 5 tweets
Feb 21
Man muss es angesichts der Bilder und Verlautbarungen aus Gaza so deutlich formulieren: Die palästinensische Sache hat jeden Anspruch auf Solidarität verwirkt. Das Ziel eines eigenen Staates muss selbst den Palästinensern als ein dermaßen utopisches, jeder Wirklichkeit
entzogenes Ziel erscheinen, dass selbst der kleinste rationale und konstruktive Gedanke oder Ansatz nicht erstrebenswert ist. Stattdessen werden die Leichen von Kleinkindern als Trophäen des Sieges gefeiert. Der „Widerstand“ hat kein rationales Ziel, keine vernünftige
Vorstellung einer gedeihlichen Zukunft. Er besteht nur noch darin, seinen Feind immer wieder für eine Niederlage bestrafen zu wollen, den dieser einem schon vor vielen Jahren zugefügt hat. Die palästinensische Sache hat keine Zukunft. Sie ist in den Händen von Leuten, die
Read 4 tweets
Feb 17
Also wenn man die Fernsehduelle so sieht, drängt sich einem unweigerlich der Grund für die Anziehungskraft der AfD auf. Es geht nicht um politische Inhalte. Jedenfalls nicht im Sinne inhaltlicher Konzepte, mit denen politische Herausforderungen gemeistert werden sollen. Es geht
um Verachtung und die Tarnung dieser Verachtung als politische Alternative. Weidel ist die perfekte Verkörperung, die Personifizierung dieser Verachtung. Der Gestus, die Mimik. Bei jeder Wortmeldung strömt der Weltekel und die kategorische Geringschätzung des Gegenüber aus jeder
Pore. Auf den Inhalt des Gesagten kommt es gar nicht an. Das Entscheidende ist, dass den Worten bei jeder Silbe diese Verachtung, mit der sie hinausgespuckt werden, anzumerken ist. Am Ende kommt es gar nicht darauf an, ob die „Alternative für Deutschland“ dazu beitragen will,
Read 7 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Don't want to be a Premium member but still want to support us?

Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal

Or Donate anonymously using crypto!

Ethereum

0xfe58350B80634f60Fa6Dc149a72b4DFbc17D341E copy

Bitcoin

3ATGMxNzCUFzxpMCHL5sWSt4DVtS8UqXpi copy

Thank you for your support!

Follow Us!

:(