Thread by @flowerman78

Sehr geehrte Bundesministerin @starkwatzinger, lieber @Tagesspiegel,
als Lehrer ärgere ich sehr über eine Passage in dem heutigen Interview über die Bildungsprobleme Deutschlands. Dabei geht es um die angebliche digitale Inkompetenz der Lehrkräfte. Ein Thread für das #twlz.

Der @Tagesspiegel macht dort die ziemlich anmaßende Aussage: "Viele Schüler dürften da [Anm: beim digitalen Arbeiten] schon wesentlich weiter sein - und könnten eher ihren Lehrern etwas beibringen." Und Sie, Frau Ministerin @starkwatzinger, entgegnen: "Da ist was dran, ja."

Mit Verlaub: Das ist von beiden Seiten eine bodenlose Unverschämtheit! Lehrer-Bashing im Geiste von Gerhard Schröders "Faule Säcke"-Gesülze aus den 1990er Jahren.

Natürlich gibt es die Schüler (fun fact: auch Schülerinnen), die uns Lehrkräften in der digitalen Welt voraus sind.

Genauso gibt es solche, die ein höheres mathematisches Verständnis haben als ich als Mathe-Lehrkraft. Aber ebenso wie bei den digitalen Skills ist das die Ausnahme. Der durchschnittliche Lernende ist dem durchschnittlichen Lehrenden weit hinterher. Auch in diesem Gebiet.

Ich polemisiere jetzt einmal absichtlich: Nur weil die Kids den ganzen Tag vorm Smartphone oder Tablet hängen, WhatsApp-Nachrichten schreiben oder Sprachnachrichten schicken und lustige TikTok-Videos schauen, sind sie noch lange nicht kompetent in der digitalen Welt unterwegs.

Zur digitalen Kompetenz gehört es aus meiner Sicht, dass man erlernt, welche digitalen Tools, wann und wie eingesetzt werden können, um zielgerichtet Problem zu lösen und Aufgaben mit digitaler Unterstützung effizienter zu erledigen. Dazu gehört mehr, als "wischen" zu können.

Und ja: Es ist der Job von uns Lehrkräften, diese Kompetenzen zu vermitteln. Dafür bilden wir uns fort und die meisten von uns reißen sich den Allerwertesten dafür auf, dass unsere Kiddies am Ende ihrer Schulkarriere das Wesentliche mitnehmen.

Abgesehen davon möchte ich noch einmal die Frage stellen, wie ich ohne ausreichende digitale Ausstattung digitale Kompetenzen vermitteln soll? Klar, man kann das Problem mal wieder auf die "faulen Säcke" schieben und sagen, dass die wieder einmal schuld, weil zu doof, sind.

Aber noch einmal: Wie soll ich das ohne Endgeräte und WLAN tun? Geht nicht. Mein Schulträger sagt mir, dass ich 2023 mit einem WLAN in meiner Schule rechnen kann. Ich gehe also mal optimistisch von 2024 aus. Applaus, bitte, für meinen Schulträger!

Da meine Schulleitung aber digitale Kompetenzen ebenso wichtig findet, wie die Ministerien es sich gerne auf die Fahnen schreiben, haben wir uns entschlossen, aus unserem schmalen Budget selbst ein WLAN zu finanzieren.

Das bedeutet: Wir haben die Access Points gekauft. Der Aufbau des Netzes durch eine externe Firma wäre zu kostspielig geworden. Lieber @tagesspiegel, sehr geehrte Frau @starkwatzinger, den Aufbau des Netzes hat dann die hier schreibende Lehrkraft übernommen.

Neben ihren eigentlichen Aufgaben. Und trotz der digitalen Unterlegenheit gegenüber den Schülern. Dafür, dass ich das getan habe, könnte ich mich übrigens Ohrfeigen, weil Schule damit mal wieder die Versäumnisse der Verwaltung kaschiert.

Achso: So ein Netz ist dabei nicht mit einem Heim-WLAN zu vergleichen, wo nur ein Kabel in die Dose gesteckt werden muss. Es gibt Gründe, warum das bei Ihnen im Ministerium oder in der Redaktion eine IT-Abteilung macht und nicht ein Redakteur oder eine Ministerialrätin.

Fazit, lieber @tagesspiegel: Ihr dürft uns Lehrkräften gerne aufzeigen, wo wir besser werden müssen. Wir wollen sogar besser werden! Oft kennen wir unsere Schwächen im Übrigen schon selbst, scheitern aber an den Rahmenbedingungen. Aber sagt uns nicht, dass wir zu schlecht sind.

Fazit, sehr geehrte Frau @starkwatzinger: Sie können von mir als Lehrkraft erwarten, dass ich für meine Schülerinnen und Schüler alles gebe - auch in Bezug auf digitale Kompetenzen. Von Ihnen erwarte ICH aber, dass Sie mir den Rücken stärken, statt mir in selbigen zu fallen.

@starkwatzinger @Tagesspiegel @paul_starzmann @maria_fiedler