Thread by @claruush

CN Gewalt

Über den Zusammenhang von #Heidelberg, dem deutschen Schulsystem und dem Versagen unserer Gesellschaft.

Thread einer Heidelberger Lehramtsstudentin
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#twlz

Gestern ist in unserer schönen kleinen Stadt eine Tragödie geschehen. Es gab viel Anteilnahme aus dem ganzen Land und es wurden viele gute und richtige Worte gefunden. Was mir in der Pressekonferenz des gestrigen Abends gefehlt hat, war die Planung, die Ursache zu bekämpfen. 2

Die Gemeinsamkeiten, die die Täter dieses Schreckens in den meisten Fällen teilen, sind banal: häufig sind es junge Männer, die Schwierigkeiten im sozialen Umgang haben und den Anschluss nicht mehr finden. Und hier kommen wir m. M. nach zum Dreh- und Angelpunkt des Problems: 3

Wir als Gesellschaft haben den Achtzehnjährigen während seiner Jugendsozialisation verloren. Die gestrige Katastrophe wurde ermöglicht, weil unser gesellschaftliches System versagt hat. Das gesellschaftliche und soziale Netz hat ihn nicht aufgefangen. 4

Wo hätte es Möglichkeiten gegeben, ihn in seinem Leid zu sehen, ihm die Hand auszustrecken und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie er mit seiner Wut und Trauer umgehen kann, bevor er nicht nur sich selbst, sondern auch Anderen größtes Leid zufügt? 5

Als angehende Lehrkraft denke ich als erstes an die Schule. Dazu möchte ich euch ein Erlebnis von gestern Abend schildern, das ich im negativsten Sinne als paradox beispielhaftes Schlüsselproblem sehe: 6

Ich hatte mich nach der PK mit einer/m ehemaligen Kommilitonen/in (K) verabredet, die/der sich derzeit im Referendariat befindet. K erzählte von einem Pädagogikseminar, das 1-2 Stunden nach dem Geschehen stattfand. 7

Zu Beginn wurden wenige Worte über die Vorgänge gewechselt, die Lehrperson schloss damit ab, dass diejenigen, die noch Anrufe tätigen wollten oder nicht mitmachen könnten, passiv teilnehmen könnten, er/sie werde diese Referendar:innen nicht aufrufen. 8

Anschließend ging er/sie zum geplanten Lehrstoff der Stunde über. K konnte sich während der gesamten Stunde nicht auf den Lehrinhalt konzentrieren und es schien so, als ginge es anderen ähnlich. Was ist hier passiert und worin liegt das Problem? 9

Ein Pädagoge, der Pädagogen ausbildet, hat seine Schützlinge und deren Bedürfnisse in einer absoluten Extremsituation nicht gesehen. Sein Bemühen ging dahin, den vorbereiteten Stoff „wegzuarbeiten“ um in seinem Lehrplan „weiterzukommen“. 10

Für mich ist diese Situation sinnbildhaft: nicht einmal in einer extremen Ausnahme, nach einem Amoklauf, der eine Stunde zuvor, 2 Kilometer weit entfernt stattgefunden hat, scheitert ein Pädagogikdozent/in für Lehrkräfte und wiederholt damit das Problem. 11

Die Gesellschaft gibt Schulen und Lehrkräften eine immense Verantwortung für die ihnen anvertrauten Schüler:innen und die eigene Zukunft. 12

Aus diesem Grund halte ich es für unabdingbar, dass Bildungsinstutionen und Politik in Zukunft wieder Bedingungen schaffen, in denen Lehrpersonen die einzelnen SuS auf ihrem Weg sehen und begleiten können. 13

Im Schulalltag gibt es viele Faktoren, die Lehrpersonen daran hindern, ihrer pädagogischen Pflicht nachzugehen. Dazu gehören zu viele Deputatsstunden, zu viele Schüler:innen (wie soll man 250 SuS pro Woche individuell sehen können?) und der Druck, den Lehrstoff durchzubekommen.14

Fragt erfahrene Lehrpersonen, sie werden die Liste ausweiten können.
Und offensichtlich beginnt dieses zum Scheitern verdammte System bereits in der Lehramtsausbildung! Schafft endlich Bedingungen, in denen die pädagogische Arbeit der Lehrkräfte Raum bekommt. 15

Ich finde, @TheresiaBauer, @fbrantner und Kultusministerin BW Theresa Schopper sollten das lesen. Ebenso das Regierungspräsidium Karlsruhe, alternativ @RPFreiburg und die @HSE_Heidelberg & @ruprechtHD.