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Feb 5, 2022 27 tweets 25 min read Read on X
@doc_ecmo @MisterPmdMaske Okay, kann ich machen, bin aber erst bei Folie 6 und bis Mittwoch muss das Ding fertig sein :-(
@doc_ecmo @MisterPmdMaske Also, weil das tatsächlich auf interessierte Leser:innen stieß und weil es ganz offenbar einen 2.000 Follower-Jubiläums-Thread bedarf, hier die nerdige sneak preview des morgigen SSRI und Blutungskomplikationen-Vortrages: Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 2/ Also: Es geht um das Thema, ob und warum es unter (bestimmten) Antidepressiva zu vermehrten Blutungskomplikationen kommt, was in der Neurologie durchaus relevant ist, da wir hier regelmäßig Pat. mit Hirnblutungen behandeln.

Die erste Frage, die man beantworten muss lautet: Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 3/ Wo ist das ganze Seratonin (wie man in Matratzen-Fachkreisen sagt) eigentlich im Körper?

Nur 1% des Serotonins benötigt die nette Lady zur Affekt-, Belohnungs- und Schmerzregulation im Frontalhirn und im Hypothalamus, alles andere befindet sich im restlichen Körper. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 4/ Nämlich in erster Linie in den Thrombozyten. Dort hat Serotonin verschiedene Funktionen: Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 5/ Es regelt die Sekretion von PF4 (den kennen wir von der VITT bei der AstraZenaca-Impfung und von der HIT), zudem die Sekretion von Fibrinogen und verstärkt die ADP-Wirkung, insgesamt führt Serotonin so zur Thrombozyten-Aktivierung und damit zu einer besseren Gerinnbarkeit des Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 6/ Blutes.

SSRI hemmen den Serotonin-Transporter der Thrombozyten, genauso wie sie die Serotonin-Aufnahme im synaptischen Spalt hemmen. Dies führt zu einer verminderten Serotonin-Aufnahme in die Thrombozyten und zu weniger Thrombozyten-Aktivität. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 7/ Das wiederum ist kein dosisabhängiger Effekt, d.h. 10 mg Citalopram machen das nicht weniger als z.B. 20 mg, sondern hängt von der Stärke der jeweiligen Serotonin-Wiederaufnahmehemmung des Medikaments ab.

Soweit die Theorie, nun zu den berühmten „real world“ Daten. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 8/ In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends gab es die Beobachtung, dass es unter SSRI zu vermehrten GI-Blutungen kam, was in verschiedenen Studien beleuchtet wurde. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 9/ Man stellte dann fest, dass die Rate von GI-Blutungen noch mal stieg, wenn die Pat. zusätzlich zum SSRI noch ein NSAR einnahmen und zwar häufiger, als es die Summe der einzelnen Teile () vermuten ließ Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 10/ Und das selbe Phänomen konnte eine Studie zum Thema Hirnblutungen unter SSRI mit und ohne zusätzliche SSRI auch zeigen. Das Risiko für eine Hirnblutung stieg auf das 1,5-fache, vor allem für Männer. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 11/ Zum Thema Hirnblutungen unter SSRI gibt es mittlerweile mehrere Metaanalysen, die alle einen leicht unterschiedlichen Schwerpunkt haben, so dass ich hier mal 4 vorstelle.

In der ersten Metaanalyse konnte im wesentlichen ein erhöhtes Hirnblutungsrisiko auch ohne Einnahme … Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 12/ von NSAR gezeigt werden, ebenfalls so um den Faktor 1,5 erhöht.

In der 2. Metaanalyse wurden verschiedene Aspekte beleuchtet. Zum Einen wurden SSRI mit trizyklischen Antidepressiva verglichen, die offenbar ein niedrigeres Hirnblutungsrisiko haben als die SSRI. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 13/ Zum Anderen konnte man zeigen, dass das Hirnblutungsrisiko mit der Dauer der SSRI-Einnahme wieder abnahm und vor allem in den ersten 30 Tagen erhöht war, zudem den schon aus der Theorie bekannten Effekt der Höhe des Risikos abhängig von der Stärke der Serotonin-Wiederaufnahme Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske 14/ -Hemmung reproduzieren. Links unten seht ihr die in der Studie benutzte Einteilung in starke und schwache und mittelstarke Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (CAVE: gleiches Bild noch mal). Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 16/ Und drittens verglich man in Subgruppenanalysen die Einnahme von SSRI ohne alles mit SSRI + eine oralen Antikoagulation und mit SSRI + Thrombozytenfunktionshemmung, was bei der OAK ein leicht erhöhtes, aber statistisch nicht signifikantes, Risiko zeigte, nicht bei der TFH. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 17/ Nehmen wir kurz noch einen Klassiker.
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 18/ Kommen wir zum #NeuroNerd-Höhepunkt: Das ganze haben die Autoren noch einmal aufgeschlüsselt nach der Stärke der Serotonin-Wiederaufnahmehemmung, mit dem Ergebnis, dass vor allem die starken Wiederaufnahmehemmer das Risiko erhöhen. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 19/ In einer dritten Metaanalyse wurden die Erkenntnisse in erster Linie bestätigt, hier sieht man aber noch mal sehr schön, dass wir von einem generell reproduzierbaren, aber schwachen Effekt reden. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 20/ Und zu guter letzt der Metaanaylsen-Parade, hier noch recht aktuelle Daten aus Deutschland. Hier sieht man, das MAO-Hemmer (okay, die benutzt auch keiner wirklich) und Trizyklika (die auch nicht in hohen Dosen) das Blutungsrisiko nicht erhöhen, alle anderen aber schon. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 21/ … Auch Mirtazapin (männo).

Zwischenfazit: Wir reden also über eine seltene, aber relevante, weil schwerwiegende Nebenwirkung. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 22/ Worüber wir uns in der Neurologie aber viel häufiger den Kopf zerbrechen ist folgende Problemstellung: Wir haben einen Pat. mit einer Post-Stroke-Depression nach ICB, den wir eigentlich antidepressiv behandeln müssten. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 23/ Gibt es dazu Daten? Die Antwort lautet: Ja, erstaunlicherweise. Und sogar gute.

Was sieht man in dieser Studie mit einer Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren? Eigentlich, das was man erwarten konnte. Der Einsatz von SSRI erhöht das ICB-Risiko (absolut um 0,1 bis 0,15%) Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 24/ relativ um ca. 40% im Nachbeobachtungszeitraum.

Betrachtet man die Endpunkte, so wird bei den mit einem SSRI behandelten Pat. die Depression dtl. besser als bei den unbehandelten, aber für den Preis des erhöhten ICB-Risikos. Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 25/ Fazit: Wenn man Pat. nach einer Hirnblutung mit einem SSRI behandeln muss oder möchte, sollte man das erst nach einer Risikostratifizierung tun (cMRT mit der Frage nach Mikroblutungen und Hinweisen auf eine zerebrale Amyloidangiopathie oder Kavernomatose) bevor man im Rahmen Image
@doc_ecmo @MisterPmdMaske @romanpokora @MrC0nfus10n 26/ einer Nutzen-Risiko-Abwägung mit der Behandlung beginnt.

So, das war’s. Nerdiger wird’s erst mal nicht …

Thema COVID, Myokarditis durch COVID und nach Impfung kommt in den nächsten Tagen, da brauch ich aber kardiologischen Beistand und muss es noch zu Ende schreiben … Image

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