1/ Das revidierte #Transplantationsgesetz ändert die "Voreinstellung" bei Organspende in der Schweiz: Neu wären wir alle Organspender*innen, wenn wir nicht aktiv Nein sagen.
Das lehnen viele Menschen ab. Ein Grund dafür ist der "Omission Bias"-Denkfehler. Was bedeutet das? 👇
2/ Das wichtigste Argument gegen die Widerspruchslösung (Opt-Out-System) ist die Verletzung von "Informed Consent", der informierten Einwilligung. Ein medizinischer Eingriff wird ohne die vorherige aktive Zustimmung der Betroffenen durchgeführt. journals.sagepub.com/doi/full/10.11…
3/ Die Folge: Es gäbe Menschen, die Organe spenden, obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Doch hier gibt es zwei Gegenargumente. Erstens: Aktive Zustimmung oder Ablehnung ist oft auch alles andere als rational motiviert. tandfonline.com/doi/abs/10.108…
4/ Zweitens: Die Medaille hat eine ethische Kehrseite. Die Widerspruchslösung würde Menschen, die spenden *wollen*, es beim jetzigen Opt-In-System aber nicht tun, entgegenkommen. In der Summe werden mit Opt-Out Leben und lebenswerte Lebensjahre gerettet. link.springer.com/article/10.100…
5/ Es geht also um eine moralische Abwägung: Fälle ungewollter Organspende vs. gerettete Leben und Lebensjahre. Und hier kommt der Omission Bias ins Spiel: Die Tendenz, grossen passiven Schaden hinzunehmen, wenn dadurch ein kleiner aktiver Schaden vermieden wird.
6/ Das klassische Beispiel für Omission Bias sind Impfungen. Viele Menschen wollen ihre Kinder wegen möglicher kleiner Nebenwirkungen nicht impfen lassen - und nehmen dafür die viel grösseren Schäden des Nicht-Impfens in Kauf. onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.100…
7/ Bei der Widerspruchslösung haben wir eine ähnliche Konstellation: Grosser passiver Schaden (Leben und Lebensjahre, die bei Opt-In verloren gehen) wird hingenommen, um kleinen aktiven Schaden (Menschen, die bei Opt-Out spenden, obwohl sie nicht wollen) zu vermeiden.
8/ Die zwei Schadensformen sind moralisch asymmetrisch, weil die potenzielle Missachtung des Willens einer toten Person kategorisch weniger schlimm als das Ausbleiben lebenswerter Lebensjahre einer lebenden Person ist.
9/ Aber halt! Werden mit der Widerspruchslösung nicht Autonomie, Freiheit, Selbstbestimmung *lebendiger* Menschen eingeschränkt? Nicht wirklich. Diese Dinge sind nach wie vor gegeben - jede Person kann wie zuvor frei entscheiden. Es gibt keinen Zwang.
10/ Fazit: Bedenken gegen die Widerspruchslösung sind nicht fertig gedacht. Ja, ein Opt-Out-System könnte zu Organspenden wider Willen führen. Aber das aktuelle Opt-In-System ist ein Hindernis für Menschen, die spenden *wollen*. Dadurch gehen Leben und Lebensjahre verloren.
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1/ #Verschwörungstheorien sind im Prinzip nur eine Frage von Fakten und Logik: Legen wir die korrekten Fakten auf den Tisch, sollten sich Verschwörungsüberzeugungen abbauen lassen.
Doch leider funktioniert das oft nicht. Warum? Bei VTs geht es nicht wirklich um Fakten. Kurzer 🧵
2/ Die Vorstellung, dass es bei Verschwörungstheorien primär um Fakten geht, können wir das "epistemische" Modell von VT nennen. Menschen bilden sich zu einem Sachverhalt eine Meinung, und eine Verschwörungsüberzeugung stellt einen Fehler, eine Verzerrung, in diesem Prozess dar.
3/ Ausgehend vom epistemischen Modell müsste es relativ einfach sein, den verzerrten erkenntnistheoretischen Prozess mit korrekter Information zu korrigieren.
1/ Die NATO hat Russland 1990 versprochen, dass es keine NATO-Osterweiterung geben werde. Die NATO ist dann aber doch ostwärts expandiert - klarer Wortbruch, klare Provokation Russlands.
Stimmt das wirklich? Nein, ganz und gar nicht. Kurzer Thread. 👇
2/ 1990 führten die USA und die Sowjetunion tatsächlich Gespräche über eine NATO-Osterweiterung - und zwar auf das Territorium der DDR in einem wiedervereinigten Deutschland. Es ging *nie* um eine Erweiterung auf damalige Sowjetrepubliken - die UdSSR war ja noch intakt.
3/ Welche Vereinbarung wurde getroffen? Die Sowjetunion akzeptierte die NATO-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschland. In Ostdeutschland sollten bis 1994 aber keine NATO-Truppen stationiert werden. 1994 wollte die Sowjetunion ihre Truppen aus Ostdeutschland zurückziehen.
1/ Seit Wochen wird spekuliert und prophezeit, das russische Volk wende sich von Putin ab und das Putin-Regime sei ins Wanken geraten.
Was ist *tatsächlich* passiert? Putins Beliebtheit ist sprunghaft gestiegen - genau wie bei der ersten Ukraine-Invasion 2014. Warum?
2/ Vorbemerkung: Die Umfragedaten stammen vom Lewada-Zentrum, einem unabhängigen Forschungsinstitut mit gutem Track Record. Die Zahlen sind wohl nicht perfekt präzise, aber sie bilden sehr wahrscheinlich die tatsächlichen gesellschaftlichen Trends ab.
3/ Warum steigt Putins Beliebtheit? Ja, der Krieg bedient Patriotismus und Nationalismus. Aber der wesentliche Faktor ist ein anderer: Der Krieg als politisches Ereignis erreicht und mobilisiert Menschen, die ansonsten politisch *wenig* engagiert sind.
1/ Wir sehen die bizarre #Desinformation und #Propaganda von Putin / des Kreml und fragen uns: Warum glauben so viele Russ*innen daran und halten Putin die Treue? Sind die einfach dumm?
Nein, sind sie nicht. Ein Thread über die Psychologie von Propaganda. 👇
2/ Vorbemerkung: Die Medienlandschaft in Russland ist eine komplett andere als bei uns. Der journalistische Meinungskorridor ist in Russland seit vielen Jahren eng. Der grossteil der russischen Bevölkerung rezipiert primär staatlich kontrollierte Medien.
3/ Ein zentraler Faktor bei Propaganda ist der Effekt der illusorischen Wahrheit: Wenn wir immer wieder die gleiche Botschaft hören, fangen wir an, daran zu glauben - auch dann, wenn wir wissen, dass es sich um Lügen handelt.
1/ Der Ukraine-Krieg birgt ein medienethisches Dilemma: Sollen journalistische Medien das Leid der Kriegsopfer unverblümt in Bildern dokumentieren, oder doch Zurückhaltung üben und die Schrecken des Krieges nicht explizit zeigen? Ein paar Gedanken 👇.
2/ Ein wesentliches medienethisches Problem ist, dass Medien auf der Suche nach möglichst viel Aufmerksamkeit und Klicks das menschliche Leid bisweilen in voyeuristischer Manier ausnutzen. Ein Schock-Spektakel, frei nach dem Motto: If it bleeds, it leads.
3/ Grundsätzlich gilt denn auch die Regel: Je krasser das Bild, desto grösser die Aufmerksamkeit des Publikums. Was am stärksten schockiert, bewegt am stärksten und am längsten.
Ein Thread über #Faschismus in der Ukraine und in Russland.
2/ Die Putin'sche Propaganda zur "Entnazifizierung" der Ukraine ist natürlich Desinformation. Selenski ist selber jüdisch. Die rechtsextreme Partei Svoboda erhielt bei den ukrainischen Wahlen von 2019 gerade Mal 2.15% der Stimmen.
3/ Aber die Ukraine hat tatsächlich ein Problem mit faschistischen Gruppierungen. Allen voran "Asow", eine offen und unmissverständlich rechtsextreme Bewegung - sowie ein offizielles Regiment der ukrainischen Nationalgarde.