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Apr 21, 2022 44 tweets 14 min read Read on X
"Nörgler" werde es geben, "die diese Idee zu zerreden versuchen", prophezeite #Schwesig als sie ihre Klimastiftung für #NordStream2 durchbrachte. Bis heute hat niemand Verantwortung für das Desaster übernommen, das folgte. Ein Thread, der ordnen soll, was wir nun wissen. (1/x) Image
Ausgangslage: NS2 hatte die Unterstützung der Groko im Bund. Die US-Sanktionsdrohungen stießen selbst bei Gegnern in der Opposition auf Ablehnung. Schwesig stand also nicht allein. Unternehmen vor den Sanktionen zu schützen, schien 2020 nicht nur in MV politisch opportun. Image
Die Unterstützung im Land spiegelte sich im Parlament wieder. Einstimmig beschloss der Landtag Januar 2021 das Konstrukt. Dabei war völlig klar, dass es hauptsächlich um NordStream2 ging. Alles andere ist Augenwischerei. Auch die damals mitregierende CDU räumt das nun ein.
Und so wurde die Stiftung wahrgenommen. Es bestand nie ein ernsthafter Zweifel daran, dass sie eingerichtet wurde, um Sanktionen zu unterlaufen. Die Landesregierung bestand jedoch offiziell stets darauf, dass es hauptsächlich um Klimaschutz gehe.
Allein die Dreistigkeit, die Öffentlichkeit zu täuschen, müsste ein Rücktrittsgrund für viele Beteiligte sein. Aber es herrschte offenbar Ausnahmezustand - damals ging das als gewiefter Trick durch, für den Verständnis aufgebracht wurde. Schließlich hieß der US-Präsident Trump.
Dass Nord Stream 2 AG die Stiftung fast vollständig finanzieren sollte, war klar und galt im Landtag als Win-Win. 200.000 Euro vom Land und dafür 60 Gazprom-Millionen! 20 sofort, 40 dann über 20 Jahre verteilt. Was für ein Deal! Der Teufel steckte im Detail, dazu später mehr.
Was tat die Klimastiftung mit den Millionen fürs Klima? Der Tätigkeitsbericht 2021 verrät erstaunlich wenig. In Kitas wurden Bäume gepflanzt, in Schulen AGs eingerichtet, ein Projekt zur Aufforstung von Seegras gefördert. Ein besonderes angedachtes Projekt kommt gar nicht vor. Image
Die "Wasserstoff-Hanse": Das klingt erstmal gut und innovativ. Und deswegen war es vielleicht auch das Showcase-Förderprojekt, das Schwesigs Amtsvorgänger Sellering, nun als Stiftungsvorsitzender, bei der Start-PK der Klimastiftung im Mai 2021 anriss.
Energieminister Pegel, der als angeblicher Initiator der Stiftung gilt, hatte mit den Hanse-Planungen kurz nach der Stiftungsgründung begonnen. Sellerings Aussagen sprechen dafür, dass sie ursprünglich zum Vorzeigeprojekt der neuen Stiftung werden sollte. Es kam anders. Denn: Image
Im Beirat des federführenden Unternehmens des SPD-nahen Investors saß NS2-Verwaltungsratschef Gerhard Schröder. Und das ist interessant, weil die Initiative der Nationalen Wasserstoffstrategie völlig entgegenlief. Stattdessen funktionierte sie NS2 zum Klimameilenstein um. Image
Statt grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien sollte der Wasserstoff aus Erdgas gewonnen werden - und ZUM BEISPIEL über "bestehende Erdgasinfrastruktur" in der Ostsee importiert werden. Also Pipelines, also NS1 und NS2.
Als ich für @tonline begann, Fragen dazu zu stellen, fiel die Initiative schnell auseinander. Die Unternehmen sprangen ab. Die Landesregierung wiegelte ab. Und wie Schröder dazu kam, konnte niemand mehr sagen. t-online.de/nachrichten/de…
Das sah, um ehrlich zu sein, schon ein bisschen merkwürdig aus. Es waren nämlich extra für die Initiative offenbar mindestens zwei GmbHs gegründet worden. Eine davon erst wenige Wochen zuvor. Vielleicht kriegt der Untersuchungsausschuss mehr dazu raus.
Was tat die Klimastiftung aber damals für ihren "Nebenzweck" - die Fertigstellung von Nord Stream 2? Dazu schweigt sie bis heute. Sellering hat Presseanfragen immer abgewehrt. Da eine Stiftung bürgerlichen Rechts errichtet wurde, hält sie sich für nicht auskunftspflichtig.
Deswegen versucht @fragdenstaat wortgleiche Presseanfragen vor Gericht durchzusetzen, in erster Instanz erfolgreich. Mitte Januar war ich auf die Kollegen zugegangen, die noch gar nicht mit der Stiftung befasst waren. Wir vereinbarten eine Recherche-Koop u.a. mit IFG-Anträgen. ImageImage
Die Landesregierung kann übrigens aus dem selben Grund (Stiftung bürgerlichen Rechts) angeblich ebenfalls überhaupt nichts dazu sagen. Schließlich habe man da keinen Einblick. Zahlreiche Kleine Anfragen der Opposition im Landtag liefen ins Leere.
Wir wissen aber Verschiedenes aufgrund von Recherchen. Vieles davon beginnt sich erst jetzt in ein Gesamtbild zu fügen.
Klar ist: Die Satzung sieht die Errichtung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs vor, der als Zwischenhändler und Warenlager quasi Brandmauer zwischen beteiligten Unternehmen und Sanktionen spielen sollte. Der CEO sollte auf Vorschlag von Nord Stream 2 ernannt werden. Image
Ob der Geschäftsbetrieb tatsächlich tätig wurde, ist unklar. Im Frühjahr 2021 pachtete jedenfalls eine neu gegründete Rokai GmbH für NS2-Dienstleistungen einen Kai in Rostock, wie der @ndr zuerst berichtete. Demnach bestehe ein Vertrag auch mit der Stiftung.
Völlig losgelöst von der Politik war das Unternehmen jedenfalls nicht. Die Bürgerschaft, die den Pachtvertrag absegnen musste, wurde vom zuständigen SPD-Senator im Dunkeln gelassen. Einer der GmbH-Gründer pflegte gute Kontakte in die Landespolitik. t-online.de/nachrichten/de…
Auch erwarb die Stiftung im Juli, wie die @welt zuerst berichtete, Anteile an der Mar Agency GmbH. Geschäftszweck: "Halten und Betreiben von Schiffen" + Beteiligung "an anderen Unternehmen jeder Art" + "Niederlassungen im In- und Ausland". welt.de/politik/deutsc…
Und schließlich befand sich auch ein ganzes Schiff im Besitz der Stiftung, das sich an Verlegearbeiten für NS2 beteiligte: die "Blue Ship". Das fand das @handelsblatt heraus. handelsblatt.com/politik/intern…
Das sieht insgesamt nach einer Menge Geld aus, das die Stiftung mutmaßlich in den Nebenzweck investierte. Die Frage ist nur: Woher kam das Geld?
Vorsitzender Sellering betont nämlich bis heute, dass "kein Cent" der ersten 20 Nord-Stream-Millionen in den Geschäftsbetrieb geflossen sei. Die seien "ausschließlich für den Hauptzweck Klima- und Umweltschutz zur Verfügung gestellt worden". Image
Das führt zum Thema Finanzen: Landesregierung und Stiftung hatten von "Zustiftungen" durch NS2 gesprochen. Die müssten aber ins Grundstockvermögen einfließen und dürfen nicht verbraucht werden. Tatsächlich waren es Spenden. t-online.de/nachrichten/id…
Die Opposition nahm diese Erkenntnis in der PK zur Einrichtung des Untersuchungsausschusses zum Anlass ein vorsichtige Frage zu äußern: Wenn die Stiftung nicht gemeinnützig ist und Spenden erhalten hat... Wurde dann überhaupt Schenkungssteuer bezahlt?
Der @cicero ging dem nach: Angeblich hat die Stiftung Steuererklärungen abgegeben. Sie sollen nur irgendwie beim zuständigen Finanzamt verloren gegangen sein. Mittlerweile hat Volker Beck Strafanzeige erstattet. cicero.de/innenpolitik/m…
Das alles lässt zumindest spekulieren, dass es neben dem unbedingten Einsatz für den Klimaschutz und rechtlichen Hindernissen weitere gewichtige Gründe für Beteiligte geben könnte, die Stiftung nicht mit externer Hilfe auflösen zu wollen.
Und wie gesagt: Noch hat niemand bis hierhin politische Verantwortung für dieses Konstrukt übernommen. Schwesig und Pegel sagen: Der Landtag hat das ja beschlossen. Großer Konsens. Also: alles im Interesse des Landes!
Das ist bequem, denn bis dato wissen wir über die Anbahnung und Planung der Stiftung noch viel zu wenig. Bislang freigegebene Dokumente geben höchstens einen kleinen Einblick, wer das was wann plante und wie groß der Einfluss von NordStream2 auf die Landesregierung war.
Von der Staatskanzlei hieß es lange auf Anfrage, das Projekt sei von Energieminister Pegel initiiert und federführend begleitet worden. Schwesig, so konnte man den Eindruck gewinnen, gab dem ganzen nur ihren Segen. Ganz so wird es aber vermutlich nicht gewesen sein.
Wir wissen mittlerweile, dass sie sich 2018, 2019 und 2020 informell mit Gerhard Schröder traf, in Berlin, in St. Petersburg, in Heringsdorf. Es gibt keine Protokolle. Ob es zusätzlich Telefonate gab, ist nicht bekannt. t-online.de/nachrichten/de…
Während dieser Zeit hielt sie sich mit offiziellen NS2-Terminen zurück - bis Mitte 2020, als die Sanktionen drohten, gab es nur zwei Treffen. Dann kamen sie im Monatstakt. Oft dabei: ihr Staatskanzleichef Heiko Geue. t-online.de/nachrichten/de…
Bei einem der Treffen zwischen Schwesig, Schröder und NS2-Geschäftsführer Warnig soll die Stiftung geplant worden sein. Das zumindest besagten Gerüchte, über die der @derspiegel frühzeitig berichtete. spiegel.de/politik/deutsc…
Heute ist anhand von Dokumenten, die durch IFG-Anträge der @welt öffentlich wurden, bekannt, dass Energmieminister Pegel wenig später mit der konkreten Ausarbeitung der Stiftungssatzung begann und dabei eng mit NS2 und Staatskanzleichef Geue kooperierte. welt.de/politik/deutsc…
Auch aus unseren IFG-Dokumenten ging hervor, dass NS2 immer mal wieder an Schwesig Emails schrieb - auch mit Empfehlungen, wie mit lästigen Fragen umzugehen sei. Die Staatskanzlei argumentierte zum Thema später tatsächlich auffallend ähnlich. Image
Das alles lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Staatskanzlei & Energieministerium verfolgten den Plan gemeinsam und ließen NS2 mitbestimmen. Und so entstand das Konstrukt, das @transparency_de "rechtsmissbräuchlich" nennt. t-online.de/nachrichten/de…
Und jetzt geht's darum, wer dafür Verantwortung übernimmt. Pegel scheint vorzubauen. Zuletzt sagte er: "Ich bin nicht so vermessen zu sagen, ich bin der Einzige, der diese Idee hatte." Er sei für "konkrete Ausgestaltung" zuständig. Schwesig lehnt einen Rücktritt bislang ab.
Sellering hat derweil am Freitag angekündigt, die Stiftungsarbeit entgegen des Landtagsbeschlusses zur Auflösung weiter fortsetzen zu wollen. Ganz nebenbei packte er allerdings einige interessante Details aus. Image
Die stehen in @SvZ: Sellering räumt ein, dass es nie bekannt gemachte Zahlungen gegeben hat. NS2 habe Kauf und Umbau des "Blue Ship" bezahlt. Der Preis unterliege einer "Geheimhaltungsvereinbarung mit dem Verkäufer". svz.de/deutschland-we…
Und: Es sei für den Geschäftsbetrieb mit einem CEO und vier Mitarbeitern "keine eigenständige Unternehmung gegründet" worden - es gebe auch keine eigene Rechtsform. Sondern es habe ein "Kooperationsvertrag" mit NS2 bestanden. Erstaunliche Kehrtwende.
Der Presse genau diese Fragen beantworten zu müssen, dagegen hat die Stiftung vor Gericht Revision eingelegt. Noch vor wenigen Tagen wollte sie sie nicht schriftlich beantworten. Den Rechtsstreit zu verlieren, hieße aber vermutlich, auch weitergehend auskunftspflichtig zu sein...
Ein solches Manöver hat die Stiftung schon einmal im Rechtsstreit mit der @Umwelthilfe vollführt. Ergebnis: Auf Zeit gespielt, Klage erledigt und zeitgleich Entscheidung über Transparenzpflichten vermieden.
Der Untersuchungsausschuss dürfte noch eine Menge zu tun bekommen: Als ich die Fraktionsvorsitzenden vor einigen Wochen fragte, ob wohl Akten bei der Auflösung des Energieministeriums verloren gegangen sein könnten, konnte sich das niemand vorstellen. welt.de/politik/deutsc…

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