Hier jetzt also der angekündigte 🧵 zum #Insektensterben. Es wird lang & komplex, das schon mal als Disclaimer. Vermutlich wird der Thread auch erst morgen fertig.
Was man schon sagen kann: das Nichtstun der Regierung, das @DIEZEIT 2017 prominent angeprangert hat, ist vorbei
Ich möchte zum Beginn auch klarstellen: das #Insektensterben hängt mit #Lichtverschmutzung und somit auch dem thematischen Anlass #DarkSkyWeek zwar zusammen, aber es wird in diesem 🧵kaum Thema sein. (🧵zum Zusammenhang kommt später
Wichtig für die Einordnung der Diskussionen rund um's #Insektensterben: Auch wenn erst der viel zitierte Artikel des Entomologischen Vereins Krefeld (10/2017 in @PLOSONE veröffentlicht) dem Thema in DE eine breite Öffentlichkeit verschafft hat wurde schon vorher dazu geforscht
3/
Vor allem für🦋&🐝 gab es schon vorher viele Publikationen die Rückgänge dokumentiert haben. zB haben @JeffOllerton et al 2014 in @ScienceMagazine gezeigt dass in UK seit Mitte des 19 Jhs über 20 Blütenbesuchende Wespen- & Bienenarten ausgestorben sind science.org/doi/10.1126/sc…
4/
Ebenfalls mit Daten aus UK haben Conrad et al schon 2006 den deutlichen Rückgang von Nachtfalterzahlen zwischen 1968 und 2002 dokumentiert doi.org/10.1016/j.bioc… 5/
Wenn man nur diese zwei Studien anschaut kann man schon einige wichtige generell Punkte zur Datenlage herausfiltern: 1. es gibt einen geografischen Bias was gute Daten zu Insekten angeht. Dort wo wir am meisten Wissen haben ist die Diversität eigentlich relativ gering
6/
2. Es gibt einen starken taxonomischen Bias: während für einige wenige Insektengruppen wie Wildbienen, Schmetterlinge & (große) Nachtfalter RELATIV gute Daten vorliegen wissen wir für die überwältigende Mehrzahl der Insekten extrem wenig.
(Grafik aus Grimaldi & Engel 2005) 7/
3. Was genau wird eigentlich gemessen, wenn vom #Insektensterben die Rede ist? In der ersten oben genannten Studie wurden nachgewiesene Aussterbeereignisse gezählt während in der zweiten die Individuenzahlen versch Arten in standartisierten Beprobungen gezählt wurden.
8/
ich mache jetzt erst mal eine Pause. Es geht später weiter
[🧵wird kurz fortgesetzt bevor ich ins Meeting muss]
die in Tweets 6. und 7. angesprochenen großen Lücken im (globalen) Wissen über #Insekten sind aber erst der Anfang: ein weiteres Problem ist das gute Langzeitdatenreihen zur Entwicklung von Insektenpopulationen selten sind 10/
ich denke die 3 Gründe warum die Krefeld-Studie so ein großes Echo gefunden hat waren 1. der lange Zeitraum der von den Daten abgedeckt wird 2. wenig taxonomischer Bias weil viele Insektengruppen beprobt wurden 3. der sehr drastische beschriebene Rückgang von über 75%
11/
für alle die nicht direkt wissen um was es geht gibt es hier bei @buntewiese_S eine gute Zusammenfassung
So ich muss (leider) weg. Werde heute Abend weiter machen. Bis dann!
13/
So, weiter geht's! Ich möchte im Weiteren gar nicht so sehr auf die Krefeld-Studie selber eingehen, sondern vor allem auf das was anschließend passiert ist: Das Medienecho (hier in DE aber auch global), daran anschließende akademische Debatten sowie die Antworten der Politik
14/
Zunächst: die Krefeld-Studie hat unglaublich viel Aufmerksamkeit erzeugt. Nicht nur in DE, sondern weltweit. @guardian@nytimes@LaVanguardia@le_Parisien u.v.m berichteten im Oktober 2017 über die Ergebnisse
15/
@guardian@nytimes@LaVanguardia@le_Parisien Mein Eindruck ist auch: das Thema geniesst durch dieses mediale "Erdbeben" seit 2017 nachhaltig eine erhöhte Aufmerksamkeit sowohl in Medien & Öffentlichkeit als auch innerhalb der akademischen Kreise die sich Ökologie & Biodiversität beschäfigen.
16/
@guardian@nytimes@LaVanguardia@le_Parisien@PNASNews Der Gipfel des (Medien-)"Hypes" um das #Insektensterben, wenn man es etwas überspitzt formulieren möchte, wurde dann 2019 erreicht mit einer methodisch viel kritisierten Meta-Studie von zwei australischen Forschern. Hier mal exemplarisch Screenshots von 3 Kommentaren
18/
Das große Interesse und die einsetzende Debatte in der akademischen Community haben in der Zwischenzeit sowohl zu vielen Nachfolgestudien geführt, als auch dazu, dass lange "ungenutzte" Datensätze reaktiviert wurden
@swarmofthought@Senckenberg@mdrwissen@swarmofthought@Jourdan_Jonas & Kollegen haben in dieser Auswertung gezeigt dass ein Rückgang der Diversität in einem bestimmten Ökosystem gleichzeitig mit einem Anstieg der Diversität einhergehen kann. (in dem Fallv.a. Effekt d Klimawandels mit Anstieg von ~1,8°C in 40 J)
22/
@swarmofthought@Senckenberg@mdrwissen@Jourdan_Jonas Oops. Es muss natürlich heißen: "dass ein Rückgang der Individuenzahlen bzw Biomasse in einem bestimmten Ökosystem gleichzeitig mit einem Anstieg der Diversität einhergehen kann"
1. Es wird in den Studien zum Thema sehr unterschiedliches gemessen. Manchmal werden Individuenzahlen (weniger) einzelner Arten erfasst, manchmal die Biomasse großer funktioneller Gruppen, oder es werden nur die Arten gezählt die an einer Stelle vorkommen.
29/
2. Die räumliche & zeitliche Ausdehnung sowie die taxonomische Auflösung der Probennahmen & Datensätzen schwankt extrem, oftmals sogar innerhalb eines Projekts. Beispielhaft hier an Daten aus den USA um die kontorvers diskutiert wurde
(OA version ➡️ecoevorxiv.org/v3sr2)
3. (und dieser Punkt ist mir wichtig) Unser Nichtwissen! über Insekten ist nach wie vor atemberaubend. Selbst in einem Land mit guter wissenschaftlicher Ausstattung und relativ niedriger Diversität wie DE sind vermutlich 1000e Insektenarten noch nicht mal beschrieben!
31/
als Beispiel, ganz aktuelle Studie: Caroline Chimeno von der @LMU_Muenchen hat Proben von Zweiflüglern (🪰&🦟) aus Bayern mit molekularbiologischen Methoden gescreent. Ergebnis: nur aus dieser Gruppe müssen um die 2000 Arten noch beschrieben werden 😮 32/ doi.org/10.3390/insect…
@LMU_Muenchen@Insects_MDPI@swarmofthought die Ergebnisse von Caroline sind konsistent mit den (Zwischen-)Ergebnissen aus dem Swedish Malaise Trap Project. Auch im relativ artenarmen Schweden findet man bei genauem Hinsehen 100e-1000e neue Arten, siehe 🧵
@LMU_Muenchen@Insects_MDPI@swarmofthought letztes (und besonderes beeindruckendes) Beispiel für noch nicht erfasste Insektenvielfalt: unbeschriebene Arten finden sich mitten in unseren Millionenmetropolen, wie diese parasitäre Wespe die kürzlich in einem Stadtpark in Amsterdam gefunden wurde
Bevor zum Ende ein paar Tweets zu den Auswirkungen auf politischer & gesellschaftlicher Ebene sowie zu Gegenmaßnahmen kommen will ich noch mal zusammenfassen:
1. Es gibt ohne Zweifel Populationen und Gruppen von Insekten deren Bestände gefährdet sind
2. Es gibt aber auch Arten und Gruppen von Insekten deren Bestände nicht zurückgegangen sind oder die sich gar erholt haben, oder die lokal/regional begrenzt von anthropogenen Änderungen, bspw vom Klimawandel, profitieren können (siehe Studie @idiv)
3. was dringend gebraucht wird sind mehr und bessere Daten zum Langzeitmonitoring von #Insekten. Hier ist in den letzten Jahren einiges passiert aber es ist noch viel zu tun (als Beispiel die erste Publikation aus dem neu initierten German Malaise Trap Program)
38/
4. Das #Insekten|monitoring steht zukünftig vor methodischen Revolutionen. Zusätzlich(!) zu den klassischen Arten des Samplings werden bei Bilderkennung & molekularen Methoden zur Zeit ganz neue Kapitel aufgeschlagen. Hier mal nur ein Bsp 👇
Zu guter letzt: was ist in Folge der Krefeld-Studie passiert? Die mediale Aufmerksamkeit für das Thema #Insekten hat unter anderem dafür gesorgt, dass in Bayern ab 2018 ein Volksbegehren zum Artenschutz auf den weg gebracht wurde.
Der so erzeugte Gesellschaftliche Druck hat dazu geführt, dass 2019 das Insektenschutzprogramm der damaligen @BReg_Bund verabschiedet wurde. Hier ein Statement der damaligen Ministerin @AnjaKarlizcek dazu
Im Sommer 2021 wurde das "Insektenschutz-Gesetz" trotz des Protests der Bauernverbände verabschiedet (#Lichtverschmutzung steht auch ausdrücklich mit drin, was uns wieder zu den anderen Themen zurück bringt um die es hier diese Woche gehen soll)
PS: jetzt habe ich so einen langen Thread gemacht und eigentlich gäbe es noch so viel gutes Material was mit rein könnte. Auf jeden Fall wollte ich noch diesen @AmSciMag Artikel von @ManuSaunders verlinken (der ist auch auf englisch aber wirklich sehr gut) americanscientist.org/article/no-sim…
Habt ihr schon mal in den Nachthimmel geschaut & dabei gemerkt dass man dort wo wenig künstliches Licht (z.B. Strassenlaternen) vorkommt viel mehr Himmelskörper wahrnehmen kann als mitten in einer beleuchteten Stadt?
Tatsächlich war #Lichtverschmutzung schon ab der einsetzenden Industrialisierung und der später fortschreitenden Elektrifizierung ein schon lange bekanntes Problem vor allem in der Astronomie (siehe bspw Artikel aus @ScienceMagazine von 1973 jstor.org/stable/1735054)
2/
Wissenschaftler und Hobbyastronomen haben daher 1988 die 'International Dark-Sky Association' @IDADarkSky gegründet um die Aufmerksamkeit für das Problem #Lichtverschmutzung zu steigern und Maßnahmen zum Schutz des Nachthimmels zu ergreifen.
In meiner Doktorarbeit habe ich die Biosynthese und Sekretion von Abwehrstoffen in Sonnenblumen untersucht & ihren Nutzen für den Pflanzenschutz evaluiert.🌻Auf dem Bild seht ihr das Blatt einer 5 Wochen alten Sonnenblume unter UV-Licht. Woher kommt das schöne Leuchten?✨1/9
Auf dem Blatt wurden Wassertropfen (je 0.05 mL) verteilt. Nur in den Tropfen auf der rechten Seite sind Pilzporen des Erregers "Phakopsora pachyrhizi" enthalten. Die Sonnenblume reagiert schon nach 6 bis 12 Stunden nach Behandlung mit der Produktion fluoreszierender Stoffe! 2/9
Es ist eindeutig, dass die Pflanze diese Phytochemikalien als Reaktion auf den Pilz an die Oberfläche schafft. Durch Analyse des Tröpfchen-Inhalts kam ich schnell auf ihre Identität: Es waren zwei verschiedene Cumarine, die bekannt für ihre antimikrobielle Wirkung sind.⚔️ 3/9
Wozu braucht es Pflanzenschutz?🌽Es ist wichtig, dass wir gerade in turbulenten Zeiten & angesichts der klimatischen Veränderungen unsere Versorgung sicherstellen. Aber wie kann Landwirtschaft produktiv, vielfältig, krisensicher & umweltverträglich zugleich sein? Let's see. 1/10
Wir haben gestern besprochen, dass Züchtung und Wahl der richtigen Sorte (≠ Art😋) die Grundlage für eine robuste Pflanzenproduktion ist. Außerdem sind Standort, Boden und Nützlingsförderung unfassbar wichtig in der "Prophylaxe" einer wachsenden Pflanze. 2/10
Aber was, wenn das nicht ausreicht? Immer häufiger sehen wir (durch Umweltbedingungen und Anbausysteme begünstigte) Ausbrüche von Krankheiten auf unseren Feldern. Und wenn die Inzidenz auf dem Acker steigt, können unsere Pflanzen leider kein "social distancing" betreiben. 3/10
Was hat's uns also gebracht, das Pflanzenzähmen?🌿Durch den steten Fortschritt in der Methodik der Pflanzenzucht, unsere Erkenntnisse in der Genetik & die Sequenzierung ganzer Pflanzengenome haben wir es in der Hand, die Domestikation unserer Nutzpflanzen neu zu denken. 1/x
Wir haben uns vor tausenden Jahren in der Neolithischen Revolution von der Jäger-&-Sammler-Lebensweise emanzipiert. Menschen mussten nicht länger allesamt in der Nahrungssuche aktiv sein, sondern konnten anderen Berufen nachgehen. Zivilisation & Hochkultur wurden so möglich. 2/x
Auch heute können wir uns emanzipieren: Unser Verständnis der Pflanzengenetik erlaubt es uns nun, mehrere tolle Eigenschaften gleichzeitig zu selektieren, innerhalb weniger Generationen und mit bisher ungenutzten und vielversprechenden Kulturen. 3/x
Wie zähmt man Pflanzen?🌾In der Pflanzenzucht wird das genetische Material von Pflanzenpopulationen so verändert, dass sich ihre biologischen und/oder ökonomischen Eigenschaften verbessern. Dazu gibt es ein ganzes Arsenal verschiedener Methoden, die ich kurz anreißen möchte. 1/10
Vor >12.000 Jahren (während der sog. Neolithischen Revolution) haben wir Menschen uns sesshaft gemacht, als wir beim Pflanzenbau den Dreh raus hatten. Wir stellten fest, dass sich Getreide & Gemüse - inklusive bestimmter Eigenschaften (Farbe, Form, etc.) - vermehren lassen. 2/10
Diese neuen Skills nutzten wir bald, um die Pflanzen zu unserem Nutzen zu züchten. Wir kreuzten Getreidesorten, um wünschenswerte Eigenschaften (zB mehrzeilige Körner + hoher Wuchs + Bekömmlichkeit) zu kombinieren. Es folgte die Selektion & Vermehrung der besten Sorten. 3/10