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May 2 32 tweets 8 min read
Unterricht an der Waldorfschule. Heute: Naturwissenschaften.
Kaum zu glauben, aber wahr, auch bei diesem Thema wird es reichlich esoterisch. Holt euch ein Getränk, dieser Thread 🧵wird laaang! Mit wachsstiften gemaltes Bild mit Bäumen, Tieren und einem
Wer mich noch nicht kennt, kann ja mal auf meinem Profil vorbei schauen. Ich schreibe hier immer wieder längere Threads zum Thema Waldorfschule und Anthroposophie:
1/ Erst mal die Basics. In der Waldorfschule findet Fachunterricht nicht wie gewohnt ein- oder zweimal in der Woche statt sondern einige Wochen am Stück als sogenannte "Epoche". Es gibt keine Bücher. Es gibt auch keine Fachlehrer*innen, denn die Klassenlehrer*in unterrichtet...
2/...(fast) alle Fächer in den Jahren 1-8. Das Thema wird den Schüler*innen mit Hilfe vieler Geschichten vorgelegt, diese werden in das Epochenheft, übertragen. Dieses Heft ist die einzige Lerngrundlage für die Schüler*innen, das heißt es gibt keinerlei Überprüfung von Fakten.
3/ Wir gehen allgemein als Gesellschaft davon aus, daß Kinder in der Schule keinen grob falschen Blödsinn lernen. Im Allgemeinen können wir das, weil wir ein System haben, in dem es Lehrpläne gibt, ausgebildete Fachkräfte und auch eine gewisse Überwachung.
4/ Bei den Waldorfschulen trifft das nicht zu. Sie halten sich nicht an die allgemeinen Lehrpläne, denn sie haben ihre Eigenen. Die Lehrer*innen haben keine Fachausbildung sondern nur ein anthroposophisches Seminar besucht.
5/ Und von Schulbehörden überwacht werden sie auch nicht, speziell nicht inhaltlich. Das bedeutet, die Klassenlehrer*innen an Waldorfschulen unterrichten nach einem esoterischen Lehrplan mit Hilfe von Fabeln.
6/ Die Eltern bekommen das kaum mit, weil es keine Bücher gibt und die Epochenhefte nur am Ende zum Unterschreiben hergezeigt werden.
7/ Wie schaut das konkret aus? Wir schauen uns heute, nicht ganz zufällig gewählt, die Menschen- und Tierkunde Epoche der 5. Klasse näher an (für meine Ösis: 1. Klasse AHS oder Mittelschule). Das passt sogar halbwegs zum Biologiethema der 1. Klasse im Gymnasium/Mittelschule
8/ in Österreich, ich vermute aber das Deutschland ähnlich aufgebaut ist), nämlich zu "Wirbeltiere, Säugetiere, Mensch".
Als Eltern gehen wir davon aus, daß es wohl um das generelle Thema geht, ein paar Beispieltiere behandelt werden und vielleicht die Anatomie verglichen wird.
9/ Und auf den ersten Blick passiert das sogar. Die Eltern bekommen ein Epochenheft mit schönen Bildern, farbigen Hintergründen und mehr oder weniger ordentlich abgeschriebenen Texten zu sehen¹ Tintenfisch heiße ich bin aber kein Fisch! Kopffüssler nen
10/Auf den zweiten Blick wirkt schon einiges recht seltsam. Aber das wird alles schon seinen Sinn haben. Wachskreiden gemaltes Bild eines Menschen mit Sonne als KopfDie Gestalt des Menschen Bei der menschlichen Gestalt et  ke
11/ Aber: es wäre nicht Waldorf, wenn dieser "Sinn" nicht anthroposophischer Quatsch wäre.
Der Aufbau dieser Epoche beruht auf Vorträgen Steiners.²
12/ Für Steiner ist es sehr wichtig, daß die Schüler*innen den Menschen als der Tierwelt überlegen wahrnehmen. So kommt es zu einer ganz speziellen Reihenfolge, in der die Tiere präsentiert werden. Und tatsächlich: in allen Waldorfschulen wird zunächst der Mensch betrachtet...
13/ ..weil der am wichtigsten ist, dann der Tintenfisch, dann die Maus. Als nächstes kommt das Pferd oder das Reh, und dann wieder der Mensch.
Dabei wird der Mensch erst mal als Zusammenstellung der Himmelskörper gezeigt. Der Kopf entspricht der Sonne, der Körper der Mondsichel..
14/...und die Extremitäten sind als Strahlen an den Körper angesetzt.
Der Tintenfisch wird jetzt als ein unvollständiger Kopf eingeführt, dann die Maus, die als "Rumpf" erklärt wird und zum Schluss das Reh.
15/ Jetzt wird das "Besondere" am Menschen herausgearbeitet. Der Mensch kann durch seine Hände die Umwelt verändern.
Es geht also in dieser Epoche darum, das anthroposophische Menschenbild einzuführen. Beim Tintenfisch clienen die Sinne, bei der Maus und beim Re
16/ Steiner:
"Wir wollen keine anthroposoph. Dogmatik lehren, Anthroposophie ist kein Lehrinhalt,
aber wir streben hin auf praktische Handhabung der Anthroposophie. Wir wollen umsetzen dasjenige, was auf anthroposoph. Gebiet gewonnen werden kann, in wirkl. Unterrichtspraxis."³
17/ Guter Unterricht lebt von der Begeisterung der Lehrkraft und ihrem Fachwissen. Von didaktischen Kenntnissen und Methodenvielfalt. Vom Aufbau auf bisherige Kenntnisse und vom Ausräumen von Fehlvorstellungen der Schüler*innen.
18/ Alles das ist hier nicht gegeben. Die Evolutionstheorie, ohne die die Biologie einfach nicht funktioniert wird völlig ignoriert.
Wie könnte guter Unterricht zu dem Thema aussehen? (Keine echte Unterrichtsplanung, ok? Nur so ein grober Plan für mehrere Wochen)
19/ Ich beginne mit der Lebenswelt der Schüler*innen. Was wissen sie schon? Welche Fehlvorstellungen gibt es möglicherweise? Was sind die Interessen? In der Stadt werde ich andere Beispieltiere finden als auf dem Land.
20/ Recherche: jetzt dürfen die Kids tätig werden. Jede*r sucht sich ein Tier aus (oder in Kleingruppen etc.) und findet möglichst viel darüber heraus. Die Fakten werden sortiert und ein Steckbrief erstellt. Können wir an dem Tier die Gemeinsamkeiten erkennen?
21/ Welche Besonderheiten hat das Tier? Was können wir besonders gut sehen? Welche Anpassungen an seine Umwelt zeigt es?
Jetzt schauen wir uns zb noch die verschiedenen Anpassungen an Umweltbedingungen an und leiten sie evolutionär her.
22/ Das wäre jetzt auch ein toller Zeitpunkt um die Evolution des Pferdes (oder der Wale und Delfine) zu besprechen.
Zum Abschluss gibt's eventuell noch ein kleines Quiz.
23/ Apropos Quiz: in der Waldorfschule, jedenfalls in den ersten sieben Jahren, findet kaum Wissensüberprüfung statt, und schon gar nicht in gezielten Tests und Prüfungen. Die kommen erst in der Oberstufe - und sind auch recht esoterisch Menschenkundetest 8. Klasse, Herleitung der verschiedenen Kn
24/ Als zukünftige Lehrerin ist es für mich rückwirkend sehr schmerzhaft zu sehen, wie mein Interesse an Pflanzen und Tieren zur Weitergabe eines anthrozentrischen, verschwurbelte Pseudowissens verwendet wurde.
25/ Und ganz besonders problematisch ist es für mich, daß es im Nachhinein sehr schwierig ist, Mythologie und Wahrheit zu unterscheiden. #exwaldi s kennen das Problem - woher weiß ich, ob mir mein*e Lehrer*in ein den derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnissen entsprechendes...
26/...Weltbild vermittelt hat oder unwissenschaftliche Esoterik? Darf ich meinem eigenen Wissen vertrauen?
Und klar: es nützt der Waldorfschule sehr, wenn die Schüler*innen NICHT zu wissenschaftlichem Denken erzogen werden. Sonst könnten sie ja das System hinterfragen.
Quellen
Bilder: meine eigenen, ca 1988
Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (GA 293), Dornach 1992, S. 157.
Danke an @kaddastrophe für den Biotest
Diese Threads sind sehr zeitintensiv, ich freue mich, wenn ihr sie möglichst weit verbreitet!

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