Letzte Woche hatte ich das (für mich) seltene Glück, Einblick zu bekommen in die Rezeption eines meiner Artikel. /1
Mein kritischer Artikel zu #CarlSchurz bei @G_der_Gegenwart hatte nämlich dazu geführt, dass #Bundespräsident Steinmeier die Aufstellung einer Schurz-Büste am Schloss Bellevue vorerst gestoppt hat. Dazu erschien in @derspiegel ein zweiseitiger Kommentar. /2
Der Kommentar fand wiederum in Blogs, bei Wikipedia und im Spiegel-Leserforum Widerhall. Dirk Kurbjuweits Kommentar erschien mir abwägend und fair - auch wenn ich ihm nicht zustimme. /3
Man müsse diskutieren, ob die Ehrung mit Büste trotz Verstrickung in Jim Crow und Forcierung der Verschickung indigener Kinder in Internate zur Umerziehung sowie dem erzwungenen Ausverkauf der Reservate ausgeschlossen sei oder nicht. /4
Schließlich sei auch manch anderes Vorbild in Zweifelhaftes verwickelt gewesen. /5
Es ist sicher richtig, nicht in einen Automatismus zu verfallen, dass der Nachweis von Rassismus einer historischen Persönlichkeit zur sofortigen Tilgung von Straßennamen und Denkmälern führen muss. /6
Abzuwägen wäre z.B. welche Leistung genau geehrt wird, und ob die öffentliche Ehrung einer Person als schmerzhaft oder beleidigend empfunden wird. Eine kritische Kommentierung kann mitunter hilfreicher sein als eine Tilgung. /7
So bleibt kann die Verankerung im öffentlichen Raum genutzt werden, um die umfängliche Verstrickung der deutschen Gesellschaft und ihrer Eliten in Kolonialismus und anderes Ungemach zu reflektieren. /8
Bei Schurz geht es nun allerdings um eine neue Ehrung – eine kritische Kommentierung dazu wäre gerade zu absurd. Die Aufstellung einer Büste auf einem Sockel oder einer Säule ist schwer anders zu verstehen denn als bruchloses abfeiern. /9
Der Historiker @moritz_hoffmann hat das in seinem Blog gut kommentiert: steadyhq.com/de/schicht-im-… /10
Soweit zu Kurbjuweit, der definitiv recht hat, dass man abwägen und öffentlich diskutieren muss. Hist. Fakten ersetzen keine Diskussion zur Erinnerungspolitik, sondern sollten sie informieren. Leserreaktionen auf den Kommentar waren dann jedoch weit weniger differenziert. /11
Sowohl bei Wikipedia, im Spiegel-Forum als auch auf einem Blog ist die Rede davon, ich würde Schurz „ahistorisch“ kritisieren – d.h. an heutigen Werten messen, die auf seine Zeit aber gar nicht anwendbar seien. /12
Das ist einerseits einfach ignorant gegenüber dem Artikel: Darin weise ich umfänglich darauf hin, dass Schurz‘ Indigenen-Politik durchaus kontrovers zu seiner Zeit war. Manche wussten es tatsächlich besser und kritisierten seine Politik als brutal – schon im 19. Jahrhundert. /13
Nicht im Artikel untergebracht ist die folgende Karikatur aus Harper’s, die Schurz’ Abkehr von der Reconstruction kritisiert. Dass damit die gewaltsame Unterdrückung der Afroamerikaner in Kauf genommen wurde, war anderen schon klar - und überhaupt nicht recht. /14
Schurz' Taten sind übrigens kaum „Enthüllungen“ o.ä., sondern dem Forschungstand längst bekannt. Siehe beispielsweise John G. Sproats „The best Men“ (1968), Wilcomb Washburns „The Assault on Indian Tribalism”(1975), Stephen Dando-Stephens “Standing Bear is a Person”(2004). /16
Ahistorisch wäre es doch wohl, diese Forschung jahrzehntelang nicht zur Kenntnis zu nehmen, um unbeschwert von Fakten weiter die Legende vom guten Deutschen #CarlSchurz zu stricken, der marginalisierten Minderheiten in den USA nur Gutes getan habe. /17
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
