Flingeraner Profile picture
May 27 27 tweets 5 min read
Woran liegt es eigentlich, dass junge "linke" Akademiker insbesondere aus den Geisteswissenschaften dem Wokenesswahn und der Genderideologie verfallen sind? Im folgenden🧵folgt eine tiefere Erklärung für dieses Phänomen.
1/21
Kurioserwise ist es ausgerechnet Karl Marx, der uns hier weiterhelfen kann. Marx hatte sich nämlich zu seiner Zeit Gedanken darüber gemacht, wie Ideologien entstehen. Seine Erklärung passt perfekt auf die modernen Wokeness-Linken, die Karl Marx, lebte er noch, mit beißender
2/21
Polemik überziehen würde. Ich übernehme dann mal den Job für Karl: Marx war bekanntlich Student unter Hegel. Hegel hatte die Vorstellung, dass die Welt einer Art Plan der Vernunft folgt, "Weltgeist" genannt. Das "Wirkliche", so Hegel, sei "vernünftig". Diese Philosophie
3/21
nennt man Idealismus. Marx aber sah die Welt und stellte fest: Die Welt ist nicht vernünftig, die Arbeiter leben im Elend. Woher nun, fragte sich Marx, kommen Leute wie Hegel darauf, dass die Welt sich geistigen Vorstellungen wie der Vernunft gemäß entwickelt?
4/21
Eine ähnliche Frage stellt sich gegenüber der Religion: Wie kommen Menschen darauf, dass fiktive Gestalten wie "Gott" die materielle Welt beeinflussen? Kurz gesagt: Woher kommt die Vorstellung, dass das Bewusstsein (der Geist) das Sein (das Materielle) bestimmt?
5/21
Marx' Antwort: Es ist die Arbeitsteilung als Folge der technischen Entwicklung! In einfachen Naturvölkern produziert jeder seine Lebensmittel, und zwar so viel, wie er selber braucht. Sobald die Technik besser wird, können wir MEHR produzieren, als wir selber konsumieren.
6/21
Erst dann wird es möglich, eine Klasse von Menschen zu ernähren, die selber nicht arbeitet: Priester, Politiker, Philosophen, Journalisten. Diese Menschen haben dann genug Zeit, um sich Gedanken zu machen, diese aufzuschreiben und zu verkünden. Gleichzeitig machen sie nie
7/21
die Erfahrung, mit eigenen Händen Lebensmittel zu produzieren. Diese Menschen, die von der Arbeit anderer ernährt werden, können nur deshalb auf die Vorstellung kommen, dass fiktive Ideen wie Götter oder der Weltgeist das Schicksal der Welt formen, weil sie nicht arbeiten.
8/21
Stattdessen erzählen sie den Arbeitern, dass es geistige Vorstellungen sind, die die Welt formen, und dass man sich diesen geistigen Vorstellungen unterwerfen muss. Und die Arbeiter glauben ihnen. Marx nennt das "falsches Bewusstsein": Der Privilegierte sieht die Welt
9/21
quasi spiegelverkehrt. Es ist das Sein, nämlich die Arbeitsteilung und die Technik, das unser Bewusstsein bestimmt. Priester und Philosophieprofessoren wie Hegel glauben jedoch umgekehrt, dass die Vorstellungen in ihren Köpfen die Welt formen.
Was hat das nun mit Wokeness
10/21
und Genderwahn zu tun? Nun, es sind wie gesagt junge Studenten aus Akademikerhaushalten, die diese Ideologie vertreten - Leute, die nie materielle Dinge produziert haben, die mit Büchern aufgewachsen sind, in denen aus Worten Welten entstehen. Insbesondere Menschen,
11/21
die ein geisteswissenschaftliches Fach studieren, machen folgende Erfahrung: Geschriebenes wird wie ein materieller Gegenstand behandelt, der mit bestimmten Techniken seziert werden kann (Textanalyse). Zudem entscheiden Worte, die man auf ein Papier schreibt, über die
12/21
Chancen, die man später im realen Leben hat. Junge Leute, die auf gute Noten hin trainiert werden, lernen, dass der Geist das Dominante ist. Eine Institution wie die Uni oder die Schule ist aber nur möglich, weil es arbeitsteilige Produktion gibt - weil andere Menschen
13/21
Überschüsse produzieren, die von Professoren und Studenten verbraucht werden. Diese Professoren und Studenten entwickeln aber, marxistisch formuliert, ein "falsches Bewusstsein": Sie glauben, dass Worte die Welt formen, nicht umgekehrt. Genau das nennt Marx "Ideologie".
14/21
Und genau deshalb glauben diese Studenten, dass man die biologische und soziale Realität durch Wortklimbim verändern kann! Sie glauben, dass es möglich ist, die Unterdrückung der Frau dadurch zu beenden, dass wir an alle Nomen eine Genderendung dranhängen. Oder dass wir
15/21
Rassismus dadurch bekämpfen, dass wir uns "über unsere Privilegien Gedanken machen". Sie glauben also, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt. Das ist das exakte Gegenteil von marxistischem Gedankengut, weshalb der Begriff "Kulturmarxismus" so falsch ist. Karl Marx hätte
16/21
gelacht über die alberne Wokenessideologie! Marx hätte vielmehr gefordert, Wokeness und Genderwahn vom Kopf auf die Füße zu stellen, die Welt zu verändern statt zu kritisieren: Wenn man wirklich was an Ausbeutung, Rassismus und Sexismus ändern will, muss man die soziale
17/21
Realität ändern! Aber das ist natürlich ungleich schwerer als einfach die Sprache politisch korrekt zu verhunzen. Zudem erfordert es ein grundlegendes Verständnis von Ökonomie, und davon wollen heutige Linke nichts mehr wissen. Es hat seinen Grund, warum Marx sich so
18/21
intensiv mit den Klassikern der Nationalökonomie und empirischen Analysen der Wirtschaft befasst hat. Marx fand das nach eigener Aussage selber trocken und mühsam - er hätte sich lieber mit Philosophie beschäftigt. Bei den Wokeness-Linken sehe ich dieses Bemühen, sich
19/21
notwendigen, trockenen Stoff anzueignen, überhaupt nicht. Stattdessen macht @emiliafester lustige Tik Tok Videos oder irgendwelche hippen Transen erzählen mir was von der Benutzung von Pronomen. Es wird Zeit, dass die Linke Klassiker wie Marx wiederentdeckt, um
20/21
ihre intellektuelle Krise zu überwinden. Aber dazu muss auch mal in die Realität schauen und trockenen Stoff mit ein paar statistischen Daten durcharbeiten statt lustige Videos zu gucken und sich moralisch über andere zu erheben.
21/21
Nachtrag1: Ein konkretes Beispiel für das oben beschriebene Phänomen: Nach dem Tod von George Floyd hatte ich eine Diskussion mit einer jungen woken Kollegin. Ich meinte zu ihr, dass statistisch Schwarze häufiger Opfer von Polizeigewalt werden, weil sie häufiger kriminell werden.
Nachtrag 2: Und häufiger kriminell werden sie, weil sie aus sozial schwachen Milieus kommen. Man müsste also die sozialen Verhältnisse bessern. Meine Kollegin: Nein, dass liegt daran, dass sie DISKRIMINIERT werden. Sie glaubt also, es liege am Bewusstsein, unseren Vorurteilen.😤
Addendum an alle Schlauberger: Ja, meine Marx- und vor allem Hegel-Darstellung ist sträflich verkürzt. Wir sind hier jedoch bei Twitter, einem politischen Medium, nicht in einem Proseminar zu marxistischer Theorie. Etwas twittergerecht aufzubereiten ist gar nicht so leicht.
Addendum 2: Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass solche Debatten von einer gewissen Verkürzung des Geschriebenen toter Personen leben. Ansonsten würde sich alles auf öde Textexegese beschränken, allein weil wir nicht wissen, was tote Personen heute denken würden.
Es ist erstaunlich: Mein 🧵ist ein Plädoyer für die konkrete Veränderung sozialer Verhältnisse statt woker, systemstabilisierender Sprachhygiene. Trotzdem werde ich von Pseudolinken inhaltslos beleidigt, obwohl sie mir zustimmen müssten, wenn es ihnen um die Sache ginge.
Oder zumindest würde ich konstruktive, inhaltliche Kritik oder Ergänzungen erwarten. Das wäre der Sache dienlich. Aber es geht offenbar nicht um die Sache selber. Also worum geht es dann?

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Flingeraner

Flingeraner Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @Flingeraner

May 17
Da aktuell ja schon wieder "Maßnahmen für den Herbst" vorbereitet werden, möchte ich im folgenden 🧵mal einen Widerspruch aufdecken, mit dem sich bevölkerungsweite Maßnahmen und besonders Zero-Covid-Fantasien selbst zerstören. Eigentlich ein ganz einfaches Argument.
1/10
Seit Beginn der Pandemie gibt es unter den Experten zwei Fraktionen: Die erste Fraktion geht davon aus, dass die gesamte Bevölkerung eines Landes, am besten ganz Europas oder gar global, sich den gleichen Maßnahmen unterwerfen muss, um die Pandemie zu kontrollieren.
2/10
Die zweite Fraktion hatte dafür plädiert, gezielt vulnerable Gruppen, besonders in Altenheimen, zu schützen. Bekannt geworden ist diese Gruppe um Wissenschaftler wie @MartinKulldorff durch die Great Barrington Erklärung. Diese Experten wurden diffamiert und mundtot gemacht.
3/10
Read 11 tweets
May 12
Nachdem ich letztens was Böses über @MelnykAndrij geschrieben habe, schreibe ich jetzt mal was Böses über die Putinfans: Viele der Freunde Putins scheinen genau wie Tagesschau-Gucker davon auszugehen, dass man einen sauberen, gerechten Krieg ohne Kriegsverbrechen führen kann.
1/4
Russland marschiert in die Ukraine ein - und Putinfans sind entsetzt darüber, dass russische Soldaten von Ukrainern hingerichtet werden? Und glauben gleichzeitig den Berichten über russische Kriegsverbrechen nicht? Weil Russland nur Spielzeug und Lebensmittel verteilt?
2/4
Friendly Reminder: Krieg ist ein ungeheurer Zivilisationsbruch. Krieg bedeutet, dass man jeden töten darf, der der anderen Kriegspartei angehört. Dabei kommt es immer zu Verbrechen. Warum sollten auch Russland oder die Ukraine besser sein als die USA?
3/4
Read 4 tweets
May 11
Militärische Unterstützung der Ukraine wird oft mit dem Vergewaltigungsvergleich begründet: Wir müssen der Ukraine helfen wie einer Frau, die vergewaltigt wird. Falsch! Im folgenden🧵zeige ich anhand dieses Vergleichs, warum wir KEINE Pflicht zu militärischer Hilfe haben.
1/18
Als Erstes stelle ich Folgendes fest: Die Ukraine selber hat das Recht, sich gegen den russischen Angriff mit fast allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren - eben wie eine Frau, die vergewaltigt wird. Dazu gehört das Drehen geschmackloser Propagandavideos genauso
2/18
wie das Schicken von Fotos toter russischer Soldaten an deren Mütter oder das aggressive Einfordern westlicher Unterstützung. Wenn man militärisch unterlegen ist, darf man auch zu solchen Mitteln greifen. Aber um im Vergewaltigungsvergleich zu bleiben: Derjenige, der die
3/18
Read 18 tweets
May 6
Viele vergleichen Russlands Angriff auf die Ukraine mit einer Vergewaltigung und behaupten, eine Kapitulation sei dann das Gleiche, wie die Beine breit zu machen statt sich zu wehren. Dieser Vergleich ist falsch und führt in die Irre.
1/7
Ein Vergewaltiger ist ein Krimineller. Ein Krimineller verstößt gegen geltendes Recht, kann verhaftet und vor Gericht gebracht werden, weil der Staat mittels Gewaltmonopol in der Lage ist, Gesetze durchzusetzen.
2/7
Außerdem zieht der Versuch, sich gegen eine Vergewaltigung zu wehren, keine Dritten hinein. Russland dagegen ist kein Krimineller, sondern der Feind (ich verwende bewusst dieses Wort). Eine Feind kann man nicht verhaften, weil er keine Person ist und es keine Polizei gibt.
3/7
Read 7 tweets
May 5
Ich fasse mal zusammen, wie sich die Befürworter und Gegner der Waffenlieferungen die Zukunft so vorstellen:
1. Waffenlieferer glauben, dass die Ukraine mit ein paar Panzern mehr eine reelle Chance hat, genug russische Soldaten zu töten oder aus dem Land zu vertreiben,
1/3
ohne dass ständig neue Soldaten nachrücken. Irgendwann wird dann Putin einsehen, dass die Ukraine stärker ist, die Niederlage einräumen und den Krieg beenden.

2. Gegner der Waffenlieferungen denken, dass die Ukraine einräumen sollte, dass Russland militärisch überlegen ist.
2/3
Die Ukraine sollte also Russland geben, was Russland will, nämlich Neutralität der Ukraine und Autonomie des Donbas. Daraufhin würde Putin seinen Sieg anerkennen und den Krieg beenden.

Frage: Welche Option hat realistischere Chancen, den Krieg zu beenden und Leben zu retten?
3/3
Read 6 tweets
May 3
Nochmal mein 🧵zur Geopolitik: Es gibt auf Twitter viele, die behaupten, man müsse "geopolitisch" denken, um die Hintergründe des Ukrainekonflikts zu verstehen. Im folgenden 🧵erkläre ich, was das bedeutet, und warum das, was hier als Geopolitik bezeichnet wird,
1/25
eine Art religiöses Denken ist. Vorab: Man muss sich wohl mit dieser geopolitischen Denkweise auseinandersetzen, um die russische Perspektive zu verstehen, wobei nicht klar ist, ob Geopolitik seitens russischer Propaganda nicht vielmehr als willkommenes Stichwortreservoir
2/25
benutzt wird, um dem Intellekt westlicher Putinversteher zu schmeicheln und sich auf diese Weise eine intellektuell verpackte Legitimation für einen illegitimen Angriffskrieg abzuholen. Wie auch immer:
3/25
Read 27 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Don't want to be a Premium member but still want to support us?

Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal

Or Donate anonymously using crypto!

Ethereum

0xfe58350B80634f60Fa6Dc149a72b4DFbc17D341E copy

Bitcoin

3ATGMxNzCUFzxpMCHL5sWSt4DVtS8UqXpi copy

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(