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Jun 2 24 tweets 5 min read
Warum gibt es so viele unnütze, unproduktive Jobs wie Genderforscher (iih) oder Qualitätsbeauftragter im Gesundheitswesen (bäh)? In diesem 🧵folgt eine Erklärung für dieses Phänomen. Es geht um #bullshitjobs, den Mythos der Effizienz und lustvolle Verschwendung. Viel Spaß!
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Die Frage, welche Tätigkeiten wirklich produktiv und wertschöpfend sind, steht am Beginn der Nationalökonomie. Die "Physiokraten" versuchten sich als Erste an einer Antwort. Diese ökonomische Schule entstand im 18. Jhr. und glaubte, dass nur die Natur wahrhaft produktiv sei.
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Die Natur bringe z. B. Bäume oder Tiere hervor und der Mensch könne diese nur in eine andere Form umwandeln wie Tische oder Lebensmittel. Die eigentliche Quelle jeder Wertschöpfung wäre demnach immer die Natur. Adam Smith dagegen war der Erste, der die menschliche Arbeit
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als Quelle von Wert entdeckte. Die Überlegung: Der Arbeiter ersetze dem Unternehmer den Lohn durch seine Arbeit + Mehrwert = Gewinn. Der Arbeiter schaffe also mehr Wert, als er in Form des Lohns erhält. Auf dieser Überlegung basiert auch die "Mehrwerttheorie" von Karl Marx.
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Sowohl Smith als auch Marx unterschieden zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit: Produktiv ist Arbeit dann, wenn sie dem Unternehmer das Kapital ersetzt plus mehr. Unproduktiv, wenn sie im Moment der Ausübung vergeht. Wenn ich einen Musiker bezahle, der mir ein Lied
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spielt, ist dessen Arbeit unproduktiv, weil sie meine Bezahlung nicht ersetzt. Hier wandert nur Geld von einer Hand in die andere, ohne dass Mehrwert geschaffen wird. Nach dieser Vorstellung wären Händler unproduktiv, weil deren Gewinn darauf basiert, billig zu kaufen und
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teuer zu verkaufen. Überhaupt wäre die ganze Ebene der Zirkulation des Kapitals unproduktiv: Finanzmärkte, Marketingmanager, aber auch Beamte und private Bürokratien wie das Qualitätsmanagement. Salopp gesagt verschieben diese Leute nur Geld von A nach B. Die moderne VWL
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ist anders als die klassischen Ökonomen wie Smith, Ricardo und Marx nicht in der Lage, diese Vorgänge analytisch zu erfassen, weil sie auf der Grenznutzenlehre beruht, wonach produktiv alles ist, was subjektiv nützt. Moderne VWL kommt nicht über die Aussage hinaus,
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dass die Privatwirtschaft immer irgendwie produktiv ist, während Verschwendung eigentlich nur beim Staat passiert. Sie übersehen dabei das Phänomen privater Bürokratie, das zu zahlreichen #bullshitjobs geführt hat: So hat @davidgraeber die Jobs von Leuten genannt, die zwar
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gut bezahlt werden, aber das Gefühl haben, nichts Sinnvolles zu machen. Eine Möglichkeit, um die zunehmende Verbreitung von #bullshitjobs zu erklären, wäre das, was ich Effizienzparadox nennen möchte: Wir sind heute so besessen vom Gedanken an Effizienz, dass wir ständig
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unsere Effizienz und die anderer beweisen müssen. Das hat dazu geführt, dass in Unternehmen immer mehr Leute damit beschäftigt sind, Mitarbeiter mit Evaluationsbögen und dem Dokumentieren ihrer Arbeit zu quälen und damit von der eigentlichen Arbeit abzuhalten.
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Damit wird doppelt Arbeit verschwendet: sowohl die Arbeit derer, die kontrollieren, als auch derer, die kontrolliert werden. Das Resultat ist eine private Bürokratie, die der staatlichen in Nichts nachsteht, ja sogar noch größere Ausmaße annimmt und wiederum in staatliche
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Institutionen Einzug hält: Professoren verbringen heute einen großen Teil ihrer Arbeitszeit damit, die Nützlichkeit ihrer Forschung nachzuweisen und Papierkram auszufüllen, um Drittmittel einzuwerben.
Ist nun diese Verschwendung von Energie grundsätzlich negativ?
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Meine vielleicht überraschende Antwort lautet: Nein! Verschwendung ist immer ein basaler Ausdruck menschlichen Lebens: Rituale und Feiern sind Verschwendung. Legendär ist der "Potlatch", ein Ritual indianischer Nordwestenkultur, in dem gewaltige Geschenke gemacht und sogar
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verbrannt wurden! Auch im Tierreich gibt es Verschwendung: Das Federkleid des männlichen Pfaus hat keinen praktischen Nutzen außer zu zeigen, dass man es sich leisten kann. Selbst die Sonne verschwendet einen großen Teil ihrer Energie. Hinzu kommt, dass ein vollständig
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effizientes System bedeuten würde, dass wir immer am Limit agieren und keine Kapazitäten haben, um auf Unvorhergesehenes wie eine Krise zu reagieren. Es gibt also eine Art "Ökonomie der Verschwendung" als Alternative zur herkömmlichen Ökonomie. Georges Bataille hat eine
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Grundlage dafür gelegt mit seinem Buch "Die Aufhebung der Ökonomie". Es würde sich lohnen, Batailles Werk wieder zu entdecken. Aber was unterscheidet nun die von mir beschriebenen Formen der Verschwendung voneinander - also Qualitätsmanagement und Bürokratie auf der einen
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Seite und Rituale wie Potlatch oder das Kleid des Pfaus auf der anderen Seite? Die Antwort: Letzeres sind LUSTVOLLE Formen der Verschwendung. Sie bereiten Vergnügen und werden nicht als sinnlos empfunden. Dazu zählen auch die Subjekte der geschmähten Geisteswissenschaften:
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Literatur, Kunst und Kultur können eine lustvollere Art der Verschwendung sein als Excel-Tabellen und Dokumentationen auszufüllen oder Kapital von A nach B zu verschieben. All diese Formen der Verschwendung kann sich unsere Gesellschaft offenbar
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leisten. Verschwendung ist unumgänglich. Sie fällt in jedem Gesamtsystem, das Energie umsetzt, an. Wir sollten weniger darüber reden, wie man Leuten permanent ihre Effizienz nachweist (was wieder nur neue Verschwendung erzeugt), sondern welche Formen der Verschwendung
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wir fördern wollen und welche nicht. Zugegeben: Auch ich bin kein Fan der Gender Studies und betrachte diese als unnötige Verausgabung überschüssiger Ressourcen, aber genau das Gleiche denke ich über Finanzmanager. Zum Schluss noch ein kleines Gedankenexperiment von
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David Graeber, mit dem man sich vor Augen führen kann, welche Berufe wirklich nützlich sind und welche nicht: Man stelle sich vor, alle Putzfrauen, Krankenschwestern, Müllmänner und Musiker würden sich, PUFF, in Luft auflösen! Würden sie uns fehlen? Oh ja! Und nun stelle
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man sich vor, das Gleiche würde mit Qualitätsmanagern, Bankern, Finanzbrokern und Marketingfuzzis passieren. Würden uns diese Leute fehlen? Würden wir große Probleme bekommen? Jeder darf sich mal darüber Gedanken machen und sich dann fragen, welche dieser beiden Gruppen
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besser bezahlt wird und was uns das darüber sagt, welche Honorierung wahrhaft sinnvolle Tätigkeiten in unserer ach so effizienten Gesellschaft erfahren.
Text zum Thema: strike.coop/bullshit-jobs/
Twitteraccount zum Thema: @bullshitjobs

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Da jegliche Coronamaßnahmen immer mit dem Totschlagargument "Überlastung des Gesundheitssystems" begründet werden, lasst uns doch einfach zwei Gesundheitssysteme parallel führen: eins für die geimpften Coronaangsthasen, ein anderes für maskenlose Solidaritätsverweigerer.
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Die Angsthasen zahlen in ihre eigene Angsthasenkrankenversicherung und werden in eigenen Angsthasenkrankenhäusern versorgt. Nicht-Angsthasen zahlen ebenfalls in eine eigene Versicherung, dürfen dafür aber in Ruhe maskenlos feiern und fröhlich ihre Krankenhäuser überlasten.
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Von immer mehr Leuten aus meinem Umfeld höre ich die Diagnose: "Wir leben in einer Clownswelt." Der Grund: Aus ursprünglich vernünftigen Ideen sind überdrehte Skurrilitäten geworden. Es wird Zeit, diese anhand einer Clownsskala zu messen. Los geht's.
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