Zu Beginn des russischen Totalangriffs auf die #Ukraine habe ich eine geplante Online-Diskussion mit @JohannesVarwick abgesagt, weil ich keinen Sinn darin erkennen konnte, mit jemandem zu diskutieren, der die Realität nicht zur Kenntnis nimmt.

1/30
@JohannesVarwick Die mediale Präsenz von Herrn #Varwick ist aber ungebrochen. Deswegen ein ausführlicher Thread zu seinen Thesen, möge er dem ein oder anderen bei Diskussionen im Bekanntenkreis helfen.

2/30
@JohannesVarwick Die Argumentation Varwicks ist auf drei Ebenen problematisch. 1. ist seine Einordnung der Situation unpräzise und fehlerhaft. 2. sind seine Forderungen entgegen seiner Behauptungen eben nicht in „unserem“ Interesse. 3. Drittens ist seine Argumentation widersprüchlich.

3/30
@JohannesVarwick Erstens: Varwick behauptet, das Problem sei das Gefühl der „Bedrohung“, das Russland empfinde. Die Aussicht auf eine NATO-Mitgliedschaft der UA habe diesen Krieg provoziert. Falsch. Selenskyj hat kurz nach dem 22. Feb. gesagt, dass eine NATO-Mitgliedschaf unrealistisch sei.

4/30
@JohannesVarwick Putin hat das nicht interessiert. Ginge es um Sicherheitsbedürfnisse ginge außerdem aktuell die größte Bedrohung von Finnland aus. Hier ist ein NATO-Beitritt viel wahrscheinlicher. Außer den üblichen Drohgebärden reagiert Putin aber kaum darauf. Warum?

5/30
@JohannesVarwick Weil die Ukraine, nicht Finnland derzeit das Zentrum seiner national-imperialen Obsession ist. Putin steht in der Tradition russischer Nationalimperialisten des 19. Jahrhunderts, denen zu Folge die Ukraine keine eigene Nation, geschweige den ein eigener Staat sein darf.

6/30
@JohannesVarwick Die Ukraine wird nicht nur als Teil des russischen Imperiums begriffen, sondern als Teil der russischen Nation. All das ist belegt. Schon 2014 sprach Putin davon, dass Russen und Ukrainer „ein Volk“ seien, Kyjiw eine „russische Stadt“.

7/30
@JohannesVarwick Diese Rhetorik hat sich radikalisiert, zuletzt in Putins Essay vom Sommer 2021 über „Die historische Einheit von Russen und Ukrainern“. Putin (und Teile der russischen Gesellschaft) sehen die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat als einen historischen Fehler.

8/30
@JohannesVarwick Jetzt soll das rückgängig gemacht werden. DAS erklärt die gewaltsame Russifzierung, die Zerstörung ukrainischer Kulturgüter, die gezielte Verfolgung der Eliten, die Massenverschleppungen von Ukrainer:innen in den besetzten Gebieten. Diese Tatsachen ignoriert Varwick.

9/30
@JohannesVarwick Das macht seine „Lösungen“ so problematisch: Seine Begriffe sind sehr allgemein: „Interessensausgleich“ mit Russland, „politische Lösung“, „einfrieren“ des Konflikts. Was bedeutet dies im Angesicht von Putins Ziel, die Ukraine zu zerstören?

10/30
@JohannesVarwick Die Akzeptanz eines russischen Terrorregimes in großen Teilen der Ukraine? Das Ende ukrainischer Souveränität? Das sagt Varwick nicht, sondern bedient sich Worthülsen, die sich gut anhören. Wer wäre nicht für eine „politische Lösung“ oder „Frieden“ an Stelle von Krieg?

11/30
@JohannesVarwick Das impliziert entweder, dass es eine „Lösung“ gäbe, die die Ukrainer:innen nicht einem Terrorregime ausliefern (welche wäre das, sie ist bisher nicht genannt worden?) oder dass Varwick ein russisches Terrorregime in der UA für die derzeit beste „Lösung“ hält.

12/30
@JohannesVarwick Das wäre kein Ende des Sterbens. Verbrecherische Besatzungsregime morden weiter, das zeigt die historische Forschung, wir wissen es hier spätestens seit Butscha. Es wäre intellektuell redlicher von Varwick offenzulegen, dass er das dennoch für die beste Option hält.

13/30
@JohannesVarwick Man kann der Ansicht sein, dass es „für uns“ das Beste wäre, wenn die Ukraine ihre Existenz opfert, um uns die Angst vor einer atomaren Eskalation zu nehmen. Dann soll man das aber sagen und nicht allen Ernstes für sich beanspruchen, mit der Ukraine solidarisch zu sein.

14/30
@JohannesVarwick Außerdem behauptet Varwick, – der der Ukraine im Februar wenige Tage bis zu ihrer Niederlage gegeben hat – dass die bisherige Politik der militärischen Unterstützung gescheitert sei. Das ist fragwürdig. Wo wären wir ohne eine westliche militärische Unterstützung der UA?

15/30
@JohannesVarwick Kyjiw wäre russisch besetzt, Selenskyj im Exil oder ermordet. Ein europäischer Staat, eine mühsam erkämpfte Demokratie, wäre zerstört. Kyjiw und seine Bevölkerung wurden nicht durch einen „Interessensausgleich“ gerettet, sondern durch Widerstand mit westlicher Hilfe.

16/30
@JohannesVarwick Nach 2014 verfolgte besonders Deutschland Varwicks Strategie: NS2 ging weiter, Politiker warben für die Aufhebung der Sanktionen, militärische Hilfe wurde verweigert, mit Minsk I & II eine „Lösung“ verhandelt, die Russland als inoffizielle Kriegspartei (!) nie wollte.

17/30
@JohannesVarwick Selenskyjs Wahlsieg ist auch auf seine Kompromissbereitschaft zurückzuführen–hat Putin nicht beeindruckt. Was haben wir jetzt? Ein Konzentrationslager im Donbas, staatlliche Morde & eine Eskalation des Kriegs, die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

18/30
@JohannesVarwick Zweitens: Varwick behauptet, er werbe für „Realpolitik“, die immer „kaltherzig“ sei. Deutschland müsse seine Interessen vertreten. Dazu zunächst: faktisch werden deutsche Waffenlieferungen den Krieg nicht entscheiden (sie sind trotzdem natürlich richtig & wichtig).

19/30
@JohannesVarwick Ratschläge von Varwick interessieren die Ukrainer:innen nicht. Sie kämpfen, es geht um die Frage, ob wir sie dabei unterstützen. Spielen wir mal Varwicks „Lösung“ durch: die Ukraine verliert ohne westliche Hilfe, große Teile werden von Russland besetzt und terrorisiert.

20/30
@JohannesVarwick Der ukrainische Staat ist nicht mehr handlungsfähig. Mit anderen Worten: Russland gelingt es seinen imperialen Anspruch durchzusetzen und einen Staat, der in die EU strebt, zu zerstören. Zu hoffen, dass Putin dann nicht die nächste imperiale Obsession entwickelt, ist naiv.

21/30
@JohannesVarwick Putin sagt offen, dass er vom russischen Imperium des 18. & 19. Jahrhundert träumt. Hinweis: dazu gehörte nicht nur die Zentral- und Ostukraine. Mit anderen Worten: Varwicks „Interessensaugleich“ wäre das Ende der europäischen Friedensordnung.

22/30
@JohannesVarwick Imperiale Staaten können kleinere Staaten ungestraft zerstören können. Ein koloniales Europa. Das soll in unserem Interesse sein? Deutschlands Ruf, ohnehin schon ziemlich ramponiert, wäre besonders in Ostmitteleuropa völlig zerstört.

23/30
@JohannesVarwick Irgendeinen Einfluss innerhalb der EU kann sich Deutschland dann endgültig abschminken. Zugleich wäre es weltweit ein Signal an Atommächte und all die Staaten, die es werden wollen: ihr könnt machen was ihr wollt, wir haben Angst. Ein sehr gefährliches Signal.

24/30
@JohannesVarwick Drittens, innere Widersprüche: Mal spricht Varwick davon, dass die UA „verloren“ sei, dann dass Russland „am Boden“ liege und wir „die Hand reichen“ müssen. Was denn jetzt? Einerseits sei Russlands Agieren ein „Zivilisationsbruch“ (üblich als Begriff für den Holocaust).

25/30
@JohannesVarwick Andrerseits sei es ganz wichtig, Putin „nicht zu demütigen“ (auf diesen Widerspruch hat @MSchulzewessel bereits hingewiesen). Warum ist es wichtig einen Politiker, dessen Politik genozidal ist, „nicht zu demütigen“?

26/30
@JohannesVarwick @MSchulzewessel Mal behauptet Varwick, dass es um deutsche Interessen gehe, die andere wären als die der Ukraine. Mal behauptet er, er wolle den Ukrainern einen langen Krieg ersparen. Die Ukrainer:innen können ganz gut selbst entscheiden, was in ihrem Interesse ist.

27/30
@JohannesVarwick @MSchulzewessel Die Zeiten, in Berlin und Moskau über Ostmitteleuropa einen „Interessensausgleich“ aushandeln, sind Gott sei Dank vorbei. Und wir haben eine Verantwortung dabei zu helfen, dass das auch so bleibt.

28/30
@JohannesVarwick @MSchulzewessel Zuletzt: Zur Varwicks Selbstinszenierung als Opfer in einem verengten Diskursraum möchte ich nicht viel sagen. Die Behauptung ist angesichts seiner medialen Dauerpräsenz absurd.

29/30
@JohannesVarwick @MSchulzewessel Plötzlich geht es um die Befindlichkeiten eines deutschen Professors, der sich über ausgebliebene Konferenzeinladungen ärgert. Really? Es gibt wirklich wichtigeres, z.B. das Überleben der Ukraine.

30/30
Korrektur zu Tweet 4: nach dem 24. Februar, dem Tag des Totalangriffs. Spätestens nach der Äußerung Selenskyjs kurze Zeit später, hätte Putin die Kriegsmaschinerie stoppen & ernsthaft verhandeln können, wäre ein nicht-Beitritt sein „Hauptziel“.

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Jun 22
Heute vor 81 Jahren überfiel NS-Deutschland die Sowjetunion. Bis heute ist das gesellschaftliche Wissen über den Vernichtungskrieg in Osteuropa in Deutschland gering. Der „Holocaust by bullets“, die drei Millionen ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen, 1/6
die Aushungerung der Zivilbevölkerung, die Zwangsarbeiter:innen, die verbrannten Dörfer in Belarus, der Ukraine und in Westrussland - all das steht am Rande der Erinnerung. Auschwitz ist das Symbol für die Vernichtungslager, Stalingrad das Symbol für sinnloses deutsches Leiden2/6
Für die Opfer des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion fehlt ein vergleichbar starkes Symbol. Nach wie vor gilt der Krieg als „Russland-Feldzug“ - dass während des Kriegs Belarus und die Ukraine komplett besetzt waren rückt allmählich ins Bewusstsein- auch durch den 3/6
Read 6 tweets
Jun 8
Wie kann man eingefahrene Narrative über Russlands Krieg gegen die #Ukraine in Frage stellen? Wie kann man die Blindheit gegenüber russischem Imperialismus verlieren? Ich teile hier die Geschichte eines ehemaligen Studenten, den ich Max nennen werde.

1/19
Dieser Thread ist mit Max abgesprochen. Er würde gerne selbst darüber öffentlich sprechen, fürchtet aber Nachteile für seine Laufbahn – er arbeitete inzwischen als Wissenschaftler.

2/19
Leider ist die Befürchtung nicht unbegründet, aber absurd: gerade die Fähigkeit der Hinterfragung eigener Überzeugungen ist für diese Arbeit die beste Voraussetzung. Max besuchte etwa 2014 mein Seminar zur Geschichte der Ukraine. Er war klug, engagiert und interessiert.

3/19
Read 19 tweets
Jun 8
Ein überarbeiteter Thread zu meinem gestrigen zu den Thesen von @TimothyDSnyder & sein Buch "Bloodlands" zur Gewaltgeschichte Osteuropas. Den ursprünglichen Thread habe ich gelöscht - das meiste würde ich genauso wiederholen, aber manche Aussagen waren unpräzise.

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@TimothyDSnyder Diese möchte ich richtigstellen und bedanke mich für die konstruktiven Kommentare und Kritik. Die Screenshots des ersten Threads sind dabei, damit die Korrekturen nachvollziehbar sind.

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@TimothyDSnyder Timothy Snyder war einer der wichtigsten public intellectuals, die früh erkannt haben, welche Gefahr für die Ukraine von Russland ausgeht und hat zu Recht jahrelang die deutschen aufgefordert, ihren kolonialen Blick auf die Ukraine zu überwinden. 👇

3 of 24
Read 25 tweets
Jun 5
Wichtiger Text v. @DastanJasim: Während der russ. Krieg gegen die Ukraine allgegenwärtig ist, schenken wir dem zeitgleichen Krieg der Türkei gegen die Kurden kaum Aufmerksamkeit. Dabei gibt es Parallelen: zwei autoritäre Diktaturen, die eine Nation unterdrücken, der sie 1/5
das Recht auf Staatlichkeit absprechen und damit in einer langen Tradition eines national-imperialistischen Chauvinismus stehen. Ebenfalls ähnlich: die jahrelange verfehlte Politik gegenüber den Regimen. Warum @DastanJasim nicht mal mit Osteuropa-Expert:innen zusammenbringen, 3/5
um das zu diskutieren @Markus__Lanz @maybritillner @AnneWillTalk etc.? Das wäre eine interessante Sendung, die ich mit Neugier einschalten würde, eine Abwechslung zu den ewigen selbstbezogenen Scheindebatten mit Guérot und Co. 4/5
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Jun 1
The @nytimes has published another opinion piece on Russia's war against Ukraine and it's pretty bad. Again written by somebody who is neither familiar with Russia nor Ukraine (although: you actually don't have to be to understand what's going on). 1/12
Author Christopher Caldwell implies that the uprising of Maidan 2013/14 against Yanukovich took place because he was "pro-Russian". He was pro-Russian, yes, but more importantly he was corrupt and authoritarian. Caldwell dismisses his corruption, arguing that corruption is 2/12
the norm in Ukraine. Yes, there is a lot of corruption in Ukraine, but Yanukovich took it to a whole new level (and that's saying something). He also had journalists beaten up and tried to violently disperse the protesters in November 2013, a lot of them students and even 3/12
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May 31
Dieser 🧵über Russlands Kriege gegen Tschetschenien ist kaum zu ertragen. In Deutschland praktisch unbekannt ist, dass der Vorwand für den Zweiten Tschetschenienkrieg (1999, kurz nach Putins Amtsantritt als Ministerpräsident) die Bombenattentate auf Moskauer Wohnhäuser waren. 1/4
Dabei starben 367 Menschen. Die Anschläge wurden tschetschenien Terroristen angelastet. Tatsächlich spricht sehr viel dafür, dass die Anschläge vom russischen Geheimdienst FSB inszeniert waren, dem Putin kurz zuvor noch vorgestanden hatte. Auch @CatherineBelton kommt zu 2/4
diesem Schluss. Putin konnte sich durch den Krieg als starker Mann inszenieren und seine Macht konsolidieren. Die eigene Beliebtheit und Macht sichern durch die Schaffung eines äußeren Feinds - eine Strategie, die Putin einmal mehr 2014 verfolgte. Er hatte damit Erfolg. 3/4
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