Aus aktuellem Anlass ein paar Klarstellungen zur geplanten bzw. diskutierten Änderung des IfSG ⬇️
Im September läuft nicht „das IfSG“ aus, sondern nur zwei Paragraphen von rund 80. Wir brauchen also kein „neues IfSG“, sondern eine Verlängerung bzw. Anpassung der Rechtsgrundlagen für die flächendeckenden Corona-Schutzmaßnahmen (§§ 28a, 28b).
Dass alle paar Monate das Gesetz verlängert bzw. angepasst werden muss, beruht auf einer politischen Entscheidung: Die Ampel befristet die Rechtsgrundlagen immer, die Groko hatte das nicht getan.
Bis Nov. 2021 war die Feststellung der „epidemischen Lage“ durch den Bundestag notwendig, dieses Konstrukt hat die Ampel „kaltgestellt“ (es steht noch im Gesetz (§ 28a Abs. 1), aber man wendet es nicht an, dafür haben wir seitdem befristete Rechtsgrundlagen (§ 28a Abs. 7 und 8)).
Ohne rechtzeitige Verlängerung/Anpassung d Gesetzes hätten wir ab 24.9. nur noch Rechtsgrundlagen für punktuelle Maßnahmen (als Reaktion auf einzelne Ausbrüche / bekannte Infektionsherde), aber nicht mehr für flächendeckende Maßnahmen (wie Maskenpflicht, Personenobergrenzen etc.)
Man könnte die Vorschriften auch so formulieren, dass sie – wie die allermeisten Rechtsgrundlagen im IfSG und sonstigen Gefahrenabwehrrecht auch – kein feststehendes Ablaufdatum haben. Nochmal: Die Befristung ist eine rein politische Entscheidung.
Durch die Befristung sitzt die Partei, die keine oder nur wenig Maßnahmen will, am längeren Hebel, denn schließlich muss alle paar Monate neu verhandelt werden – einigt man sich nicht, gibt es keine Rechtsgrundlagen mehr.
Es ist rechtlich nicht zwingend, auf den Bericht der Evaluationskommission zu warten, bevor man das Gesetz ändert. Das steht weder in § 5 Abs. 9 IfSG noch ergibt es sich aus dem Verfassungsrecht. Das Warten beruht auf einer rein politischen Selbstverpflichtung.
Natürlich macht es Sinn, bei Vorschriften, die auf Corona zugeschnitten sind (wie § 28a und § 28b), Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Maßnahmen in der Corona-Pandemie direkt bei der Formulierung des Gesetzes zu berücksichtigen.
Ansonsten können (bzw. müssen) diese Erkenntnisse auf der Ausführungsebene – d.h. bei der Anwendung des § 28a durch die Länder – berücksichtigt werden.
Letztlich könnte (und meiner Meinung nach sollte) der Gesetzgeber die Vorschriften so formulieren, dass sie nicht nur für Corona, sondern für alle Krankheitserreger gelten. Das haben wir im restlichen IfSG (an den allermeisten Stellen) auch,
so gilt die Quarantänevorschrift, die wir für Corona heranziehen, z.B. auch für die Affenpocken. Ich hatte die Ampel im Herbst 2021 so verstanden, dass sie die Bekämpfungsvorschriften des IfSG umfassend reformieren will, jetzt ist davon leider nichts mehr zu hören.
Ob wir vor Sept. 2023 eine Gesetzesänderung der Corona-Vorschriften brauchen, kann ich als Juristin nicht beurteilen. Nach wie vor gilt die Hotspot-Regelung (§ 28a Abs. 8), die handwerklich sehr schlecht gemacht ist, im Notfall aber angewendet werden könnte.
Unabhängig vom Inhalt der Gesetzesänderung ist aber jetzt schon klar, dass eine Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens erst nach der Sommerpause dazu führen wird, dass wir wieder ein kompaktes Verfahren mit kurzen Anhörungsfristen etc. haben werden… 🙄
September 2022!!! natürlich.
Weil es natürlich wieder viele missverstehen (wollen): Man muss die Befristung von Rechtsgrundlagen von der Befristung von Maßnahmen unterscheiden. Unbefristete Rechtsgrundlagen berechtigen nicht zu unbefristeten Maßnahmen!
Die Länder sind schon jetzt nach § 28a Abs. 5 IfSG verpflichtet, Maßnahmen immer nur für höchstens 4 Wochen festzulegen. Wenn die Maßnahmen dann nicht mehr verhältnismäßig sind, dürfen sie nicht verlängert werden. Daran würde eine Entfristung der Rechtsgrundlagen nichts ändern.

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Mar 19
An diesem Wochenende treten die Änderungen am IfSG in Kraft. Ein kleiner Überblick, was jetzt gilt bzw. möglich ist ⬇️
Die Änderungen betreffen § 28a und § 28b. § 28b enthält unmittelbar durch Gesetz und dadurch automatisch bundesweit geltende Maßnahmen; § 28a enthält die Ermächtigungsgrundlagen für die Länder für weitere Schutzmaßnahmen, zwingt die Länder aber zu nichts.
An diesen Zuständigkeiten wird nichts geändert. Es gab bislang einen „Flickenteppich“ und wird auch bald einen solchen geben; die MPK wird so weitermachen wie bislang. Der Bund hat auch keine Verantwortung an die Länder abgegeben.
Read 12 tweets
Mar 9
Gestern gab es eine neue Stellungnahme des Expert:innenrates der Bundesregierung. 10 Tage vor Auslaufen der § 28a Abs. 7 und 8 und § 28b IfSG fordert der Rat nachhaltige, umfassende Ermächtigungsgrundlagen im IfSG.

bundesregierung.de/resource/blob/… Image
Ich schließe mich dem an – es ist nicht Aufgabe des Parlaments, den Handlungsrahmen der Exekutive so eng abzustecken, dass man in kurzen Abständen ein neues Gesetzgebungsverfahren braucht, weil die Tatsachengrundlage schon wieder überholt ist.
Selbst wenn wir im Sommer keine Maßnahmen mehr brauchen – das bedeutet nicht, dass nicht die grundsätzlich zulässigen Schutzmaßnahmen im Gesetz stehen sollten. Man kann sie mit konkreten Eingriffsschwellen verbinden + auf diese Weise die Pandemiebekämpfung der Exekutive steuern.
Read 5 tweets
Feb 15
Weil gerade viel von einem möglichen „Freedom Day“ am 20. März die Rede ist, aber wohl nicht alle Maßnahmen fallen sollen, ein kleiner Thread. ⬇️
§ 28a IfSG wurde im Herbst 2021 geändert. Seitdem ist die „epidemische Lage“ nicht mehr Voraussetzung für Schutzmaßnahmen. Im Vergleich zum ursprünglichen Maßnahmenkatalog stehen den Ländern weniger Maßnahmen zur Verfügung.
Nach Abs. 7 dürfen die Länder folgende Maßnahmen ergreifen:
Read 10 tweets
Jan 18
Die Politik muss endlich klären, was das Ziel der allgemeinen Impfpflicht sein soll.
Das kann nämlich nicht der Schutz der Ungeimpften sein. Wer das Risiko einer Infektion/Erkrankung/ITS eingehen will, darf das grundsätzlich; der Staat darf die Ungeimpften nicht zum Impfen zwingen, um sie vor diesem Leid zu bewahren. Es muss immer um den Schutz Dritter gehen!
Klassischerweise will man mit Impfpflichten vulnerable Personen schützen, also Personen, die sich nicht impfen lassen können oder keinen ausreichenden Immunschutz aufbauen. In solchen Fällen steht dann der Übertragungsschutz der Impfstoffe im Vordergrund.
Read 7 tweets
Jan 17
In der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung ist außerdem legaldefiniert, wer als geimpft gilt bzw. was ein Impfnachweis ist (§ 2 Nr. 2 und 3). Auch beim Begriff des Impfnachweises gibt es einen dynamischen Verweis:
Verwiesen wird auf das Paul-Ehrlich-Institut. Das PEI hat nun seine Vorgabe bei Johnson & Johnson angepasst: Mit einer Impfdosis gilt man nicht mehr als vollständig geimpft, sondern erst mit zwei Impfungen. Image
Diese dynamischen Verweise in der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung sind allgemein sehr interessant. Dass man z.B. nur als vollständig geimpft gilt, wenn man geboostert ist, könnte das PEI darüber vorgeben.
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Jan 17
Dass das RKI den Genesenenstatus verkürzen kann, ist neu.
Wer als genesen gilt, ist in der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung legaldefiniert (§ 2 Nr. 5).
Bis letzte Woche war dort geregelt, dass ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vorherigen Infektion ist, wenn die zugrundeliegende Testung mindestens 28 Tage sowie maximal sechs Monate zurückliegt. Image
Nach Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung letzte Woche verweist § 2 Nr. 5 auf die „vom RKI im Internet unter der Adresse rki.de/covid-19-genes… unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben“. Image
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