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Jul 12 46 tweets 11 min read
Ich habe mir die wichtigsten Aktionen, Strukturen und Akteur*innen der #Pandemieleugner*innen-Szene in #Hannover im letzten halben Jahr angeschaut. Den Rück- und Ausblick habe ich in einem Thread 🧵 zusammengefasst:
Die Monate Januar und Februar waren geprägt von nicht angezeigten Versammlungen, die als Spaziergänge getarnt wurden. Diese Demonstrationen wurden über die neugegründete Organisation #FreieNiedersachsen beworben.
Als Mobilisierungstool fungierte wie so oft Telegram. Über den #FreieNiedersachsen Kanal wurde ein grober Treffpunkt und die Uhrzeit veröffentlicht. In internen (teilweise privaten) Chatgruppen wurden die Demonstrationen vor Ort koordiniert.
Die regelmäßigen, nicht angezeigten Versammlungen am Montag in #Hannover wurden mit der Zeit immer unattraktiver für die Szene. Der Polizei gelang es durch konsequentes Eingreifen, Teilnehmer*innen einzukesseln, Personalien festzustellen und Demos zu unterbinden.
Die Partei #DieBasis meldete daraufhin stationäre Versammlungen am Kröpke an, die den Teilnehmer*innen als Anlauf- und Rückzugsmöglichkeit dienten. Am 21. März wurde von der Partei „Die Basis“ erstmals eine Montagsdemonstration bei den Behörden angezeigt.
Ziel war es, mit angemeldeten Versammlungen unter Einhaltung der Regelungen mehr Teilnehmer*innen auf die Straße zu bringen. Mobilisiert werden konnten gerade einmal rund 70 Personen.
Die montäglichen Versammlungen vom Kröpke zum Landtag erhielten auch Unterstützung durch die Organisation „Walk to Freedom“ (WtF).
In Redebeiträgen wird die Existenz der Pandemie in Frage gestellt und behauptet, es seien bereits 40.000 Menschen an der Coronaimpfung verstoben. Man wähnt sich in einer "Gesundheitsdiktatur" und bezeichnet Schutzmasken als "Sklavenmasken".
Vor dem Landtag halten die Teilnehmer*innen in der Regel eine Schweigeminute für die weltweiten "Impfopfer" ab.
Anfang Mai kam es zum Eklat, als Kerstin B., Vorstandsmitglied KV Hannover „Die Basis“, die erste Strophe des Deutschlandliedes vor dem Landtag bei einer Montagsdemo anstimmte.
Die Organmitglieder von WtF distanzierten sich im Nachgang von #DieBasis. Auch innerhalb der Partei soll es im Nachgang an die Aktion zu internen Diskussionen gekommen sein.
Parallel zu den montäglichen Versammlungen demonstriert WtF seit Februar jeden mit Mittwoch durch einen anderen Hannoveraner Stadtteil. Per Megafon und Lautsprecher will man Passant*innen aufklären.
WtF demonstriert für die Abschaffung aller #Coronamaßnahmen, eine freie Impfentscheidung, die Abschaffung der einrichtungsbezogenen Impflicht, Haftung für Impfschäden und die "Wiederherstellung" der Menschenrechte.
Eine der wichtigsten Vorredner*innen in Niedersachsen, Carola Javid-Kistel, hat sich mittlerweile ins Ausland nach Mexiko abgesetzt. Ihre Studienreise nach Guatemala und Mexiko hat sie bis auf nicht absehbare Zeit verlängert.
Gegen Javid-Kistel laufen derzeit diverse Strafverfahren wegen des Verdachts der Ausstellung falscher Gesundheitszeugnisse und Volksverhetzung. Insgesamt dreimal durchsuchte die Polizei ihre Praxis in Duderstadt. taz.de/Razzia-bei-Aer…
Auf einer Coronademo in #Herzberg im Feb. 2022 soll Javid-Kistel den Coronaimpfstoff als biologisch chemische Waffen bezeichnet haben, durch den es in den nächsten Jahren zu mehr Todesfällen kommen würde als durch den Holocaust. Die Aussage wiederholte sie in einem Online-Video.
Ein zuletzt im Juni angesetzter Gerichtstermin platze, da Javid-Kistel angab aufgrund ihres psychischen Zustands nicht reisefähig zu sein. Der Prozess soll nun im Herbst dieses Jahres starten.
Auch die WtF Organisatorin Tatjana Bosche hatte zuletzt einen Strafbefehl über 4000 € erhalten, da sie Polizeibeamt*innen bei einer Demonstration mit einem NS-Vergleich beleidigt haben soll.
Im Juni hatte B. eine prorussische Kundgebung als Moderatorin unterstützt. Auch dort sprach sie über die ihr drohende Strafe. Zahlreiche Teilnehmer*innen der Kundgebung stammten aus der Pandemieleugner*innen Bewegung.
Die WtF Mittwochsdemonstrationen durch die einzelnen Stadtteile erreichen meist nur eine geringe Außenwirkung. Trotz der langen Demonstrationsrouten kommen überwiegend die gleichen etwa 150 Teilnehmer*innen. Ab März übernahm Dennis H. zunehmend eine Führungsrolle bei WtF. Image
H. hatte 2021 bei einer Kundgebung auf dem Opernplatz einen Fotografen angegriffen und dessen Objektiv zerstört. Seit Beginn der Pandemie war er durch Bedrohungen von Journalist*innen aufgefallen.
Auf einem Foto in den sozialen Medien posiert er zusammen mit Atilla #Hildmann vor dem Brandenburger Tor. H. nahm 2020 auch an den Protesten gegen das Infektionsschutzgesetz in Berlin teil, die in Ausschreitungen endeten.
Neben Dennis H. fungiert Peter R. als Organisator und Redner am Mikrofon. R egelmäßig verliest er die Auflagen und hält eine kurze Eingangsrede. Image
Den größten bisherigen Erfolg seit Beginn der Pandemie konnte die Pandemieleugner*innen-Szene in Hannover mit ihrer Großdemo am 14. Mai erzielen. Rund 2300 Personen beteiligten sich an der Kundgebung auf dem Opernplatz und der Demo zum Trammplatz.
An den Mobilisierungserfolg konnte in den nächsten Wochen jedoch nicht angeknüpft werden. Ein Hinweis darauf, dass ein Großteil der Teilnehmer*innen für die Demonstration von außerhalb angereist war.
Seit Mitte Juni erhält WtF bei ihren Mittwochsdemos regelmäßig Unterstützung von "Gemeinsam stark Bremerhaven“. GsB stellte in den vergangenen Wochen mehrfach einen PKW inklusive Anhänger mit Lautsprecheranlage. WtF unterstütze im Gegenzug eine Demo in #Bremerhaven am 25. Juni.
Obwohl zahlreiche Aktivist*innen aus Hannover, Cuxhafen und anderen Orten den Weg nach Bremerhaven auf sich nahmen, kamen nur rund 150 Personen zusammen.
Zusätzlich nehmen regelmäßig Aktivist*innen von „#Barsinghausen geht spazieren (Bgs)“ an den Mitttwochsdemos in Hannover teil. Sie sind an ihren dunkelgrünen T-Shirts gut zu erkennen. Bgs führt in #Barsinghausen montags eigene Demonstrationen durch. Image
Im Juli gab WtF bekannt, eine Sommerpause einlegen zu wollen, um sich organisatorisch neu aufzustellen. In der aktuellen Orgagruppe sei es zu internen Differenzen gekommen. Image
Die Versammlungen werden regelmäßig live gestreamt und auf YouTube veröffentlicht. Diese Aufgabe wird hauptsächlich von Sven N. übernommen, der unter den Labels HVR-TV, Querdenken 511 und in Kooperation mit Klardenken TV live streamt.
Die Livestreams von N. erreichen meist nur eine ein- bis zweistellige Zuschauer*innenzahl. Die auf YouTube und anderen Kanälen hochgeladenen Zusammenschnitte erreichen rund 250 Views pro Video. Image
N. ist innerhalb der Szene nicht unumstritten, gerade auch weil er in seinen Livestreams Gespräche und Aussagen veröffentlicht, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
In Hannover besteht mit „Querdenken 511“ einer der wenigen noch existenten Ableger der #Querdenken-Bewegung. Vereinzelt unterstützen die Aktivist*innen andere Aktionen und bewerben diese. Eigene Versammlungen wurden zuletzt 2021 angemeldet und durchgeführt.
Jeweils samstags dreht der „Autokorso Hannover“ seine Runden auf Hannovers Straßen. Menschen, die kein Auto besitzen, unterstützten den Korso regelmäßig mit Protestschildern am Straßenrand. Der sogenannte „Straßensupport“.
Im Juni feierte die Organisation ihr 100. Demojubiläum und konnte zu diesem Termin ganze 40 Fahrzeuge auf die Straße bringen. Das Jubiläum wurde zusätzlich mit einer internen privaten Party auf dem Firmengelände von Hans-Peter V. in Garbsen gefeiert.
Zur Party kamen rund 40 Personen. In der Vergangenheit war V. zusammen mit seiner Frau Dagmar S. maßgeblich an der Organisation der Autokorso beteiligt. Sein Ford diente als Lautsprecherfahrzeug, von dem aus die Versammlungen moderiert wurden.
Regelmäßig treffen sich die Teilnehmer*innen des Autokorso hinter dem Bundesleistungszentrum zum gemeinsamen Grillen. Ab Juli will der Autokorso nur noch jeden ersten Samstag im Monat demonstrieren.
Eine beliebte Aktionsform der Hannoveraner Szene ist das Stören von Politikveranstaltungen. So störten einige Personen den Besuch des Gesundheitsministers Karl Lauterbach am Zoo, den Besuch von Olaf Scholz oder eine CDU-Veranstaltung am Kröpke.
In Hinblick auf die Landtagswahlen in Niedersachsen ist hier verstärkt mit Störaktionen bei Wahlkampfauftritten und Veranstaltungen zu rechnen. Pandemieleugner*innen geht es dabei nicht um einen Meinungsaustausch, sondern darum, die eigene Erzählung öffentlich zu verbreiten.
Journalist*innen sind bei sämtlichen Aktionen der Bewegung in Hannover unerwünscht. Sie müssen damit rechnen, bedrängt, bedroht und verfolgt zu werden. Porträtaufnahmen aus nächster Nähe und die anschließende Veröffentlichung zur Feindmarkierung gehören zur Regel.
Im ersten Halbjahr konnte die Bewegung in Hannover einige Teilnehmer*innen reaktivieren, die sich zuvor zurückgezogen hatten. Dennoch sanken die Teilnehmer*innenzahlen stetig und haben sich bei rund 150 Personen stabilisiert.
In Hannover besteht die Bewegung damit nur noch aus einem sich weiter radikalisierend Kern von 150 Aktivist*innen. Diese Menschen lassen sich nicht von der Aufhebung von Schutzmaßnahmen oder drohenden Strafverfahren beeinflussen. Ihre Maxime ist Aktionismus um jeden Preis.
Telegram verhilft der Bewegung nur noch vereinzelt zu Mobilisierungserfolgen. Die rund 20 Gruppen aus #Hannover haben allesamt an Relevanz verloren und werden meist nur noch zur Verbreitung von Links und Bildern genutzt.
Die Kommunikation hat sich in vielen Fällen in kleinere, private Gruppen verlagert, zu denen nur Ausgewählte Zutritt erlangen ;). Für etablierte Aktivist*innen verstärkt sich damit das Gefühl, Teil einer verschworenen Gemeinschaft zu sein.
Neuen Aktivist*innen wird die Möglichkeit der Vernetzung dadurch jedoch erheblich erschwert. Sicherheitsaspekte scheinen der Bewegung mittlerweile wichtiger als die schnelle Vernetzung und Massenmobilisierung.
In Reden wird immer verbreitet, dass man sich auf den Herbst vorbereite. Sollten dann Coronamaßnahmen erneut in Kraft treten, will man wieder verstärkt demonstrieren. Es könnte zu einer neuen Mobiliserungswelle wie im Winter 2021 kommen.

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More from @David_Speier

Dec 29, 2021
1737 Beginne meine Berichterstattung zu #muc2912. Auf der Ludwigstr zeigt die #Polizei massiv Präsenz und der Hubschrauber kreist. Großer Bereich der Straße ist bereits gesperrt.
1815 Pegida München Vorstand Heinz Meyer klagt kurz vor dem Siegestor darüber das er Platzverweis von der Polizei erhalten hat. Er wünscht sich schriftliche Bestätigung.
1830 nach Angriff auf Polizeibeamten folgt erste Festnahme. #muc2912
Read 14 tweets
Dec 29, 2021
Versammlungen #FreieNiedersachsen 27.12.21:
- Bisher 99 bestätigte Versammlungen
- Großteil nicht angezeigte Demonstrationen
- Rund 15 Veranstaltungen mehr als in der letzten Woche
- Region #Hannover und #Braunschweig sind Schwerpunkt
datawrapper.de/_/7vLgz/
- Rund 12.000 bestätige Teilnehmer*innen
- Größte Demonstration in #Braunschweig mit rund 1700 Personen
- Danach folgt: Wolfsburg (800), Gifhorn (640), Hildesheim (500) und Hannover (420)
- Niedersachsen weit rund 4000 Teilnehmer*innen mehr
datawrapper.de/_/9UoEx/
- Besonderes Augenmerk sollte auf #Braunschweig liegen. Hier konnte Personenzahl verdreifacht werden.
- Auch in #Hannover wurde die Personenzahl mehr als verdoppelt.
- In den kleineren Orten geringeres Wachstum oder sogar Stagnation
datawrapper.de/_/Gue9n/
Read 4 tweets
May 21, 2020
In #Hannover wird es vorerst keine #Hygienedemo mehr von "Corona Diktatur Nein Danke!" geben. Dies kündigt der Veranstalter Kai Orak in einem You Tube Video an. Orak hatte die Kundgebung in der letzten Woche aufgrund des antifaschistischen Gegenprotests abgebrochen. #antifawirkt
#Orak wittert eine große Verschwörung: Die #Polizei und Bundesregierung würden "linksextremisten" unterstützen um seine "unabhängige" Demonstration zu stören. In der vergangenen Woche hätte ein "Angriff mit Flaschen und Steinen" kurz bevor gestanden. #coronaquerfront
Vor Ort zeigt sich ein anderes Bild. Rund 200 Menschen demonstrierten hinter den Absperrgittern friedlich gegen die #hygienedemo. Eine Lautsprecheranlage wurde aufgebaut und mehrere hundert Menschen tanzten auf der Straße. Zu keinem Zeitpunkt wurden Gegenstände geworfen.
Read 7 tweets

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