So wie auch versprochen: Barrierearme Konferenz 101.
Zunächst mal: #AcademicAbleism. It’s a thing. Wirklich. Kaum eine Institution ist so schlecht auf Menschen mit Behinderung eingestellt, denn bis vor gar nicht so lange waren wir eben Forschungsobjekte und nicht Forschende 1/
Man muss also unter Umständen erstmal die Menschen mit Geld (Profs, Dekanat, Stiftungen etc) davon überzeugen, dass diese Maßnahmen nötig sind („ach es kommen doch eh keine Rollstuhlfahrer“ - „war die letzte Konferenz vielleicht im 2. Stock ohne Aufzug? Hmmh?“) 2/
Die folgenden Tipps und Erkenntnisse sind aus der Konferenz "Moving Towards Collective Action: Activism and Academia" entstanden, die ich mit @GailsFagan vom 14-15 Mai hybrid in Kiel organisieren durfte. 3/
Wichtigste Fragen am Anfang, wie vor jeder Konferenz :
A) Vor Ort, online oder hybrid?
B) Wer kommt?
C) Wie ist mein Budget?

Wir haben uns aufgrund von Covid für ein hybrides Format entschieden, was auch barriereärmer sein kann(!) aber Technik kann auch echt kompliziert sein 4/
Grundsätzlich: unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse und manchmal überschneiden sich diese Bedürfnisse. Am wichtigsten ist erfahrungsgemäß, dass Teilnehmer*innen eine*n Ansprechpartner*in haben wenn vor Ort Sachen geändert werden müssen. 5/
Wir hatten von vornherein ein Anmeldeformular (online), mit einem Feld für "access needs" wo alle Teilnehmer*innen ihre Bedürfnisse zu Barrierefreiheit und Zugänglichkeit eintragen konnten, inklusive Allergien, Unverträglichkeiten etc. 6/
Zum Glück sind zumindest neuere Gebäude an Unis meist mir Aufzügen, automatischen Türen und Behindertengerechten WCs ausgestattet. Wir hatten also einen Hörsaal in einem neuen Gebäude im Erdgeschoss, wo auch die Technik für Zoom (Kamera, Mikros etc) vorhanden war 7/
Für Nutzer mit Hörgerät oder Cochlear-Implantat hatte der Raum die Möglichkeit, sich direkt mit dem Audiosystem zu verbinden. In jedem Fall sollte man immer grundsätzlich die Mikrofone benutzen, was oft vergessen wird („ihr hört mich ja alle so“ - leider nicht unbedingt alle) 8/
Eine andere Frage ist, ob das Gebäude gut mit ÖPNV zu erreichen ist und wie weit es von Behindertenparkplätzen weg ist.

Weil unser Gebäude am Wochenende leer war, hatten wir einen zusätzlichen Ruheraum/Pausenraum organisiert. 9/
Unser Budget hat leider nicht für Schriftdolmetschen oder Gebärdensprachdolmetschen gereicht - sowas ist teuer und muss von vornherein eingeplant werden.
Wir haben als Ersatz die automatischen Untertitel bei Zoom genutzt (Closed Captions, geht okay, aber nur auf Englisch) 10/
Außerdem hatten wir ausgedruckte Kopien aller Vorträge im Hörsaal und diese access copies auch (auf Wunsch) an Teilnehmer*innen bei Zoom verschickt, sodass diese die Möglichkeit hatten vorher, währenddessen oder hinterher mitzulesen 11/
Die Sitze in Hörsälen sind unbequem und für Menschen mit verschiedenen Behinderungen (zB chronischen Schmerzen) ein großes Hindernis. Wir hatten deshalb eine privat organisierte Gartenliege und zusätzlich 2 neu angeschaffte Sitzsäcke 12/ 2 lila Sitzsäcke auf dem Boden. Zwischen beiden führt eine
Verpflegung: wir hatten veganes und vegetarisches Essen in Form von Brötchen, eine riesige Menge Bananen und Kekse. Dazu Zutatenlisten wegen der Allergene. Im Vorhinein hatten wir aufgrund einer Allergie alle Produkte mit Minze verboten und darum gebeten kein Parfum zu tragen 13/
Das Programm hatte lange Pausen (immer 30-60 Min) und begann immer erst um 10h. Behinderte Menschen brauchen oft länger sich morgens fertig zu machen und oft dauert auch eine Anreise länger, vll weil jemand nicht so schnell gehen kann 14/
Aufgrund von Corona hatten wir Masken für alle festgelegt und auch weitere Masken sowie Desinfektionsmittel dabei. Wir hatten außerdem alle gebeten sich zu testen Gegessen wurde dank des guten Wetters primär draußen - zusätzlich konnte per Zoom teilgenommen werden 15/
Unsere Sprecher*innen haben sich selbst zu Anfang ihrer Talks und ihre Folien für blinde und sehbehinderte Menschen beschrieben und außerdem immer wieder dazu aufgefordert, sich gern im Raum zu bewegen, oder wenn nötig auch raus zu gehen und einfach auf sich selbst zu achten 16/
Eine Teilnehmerin bat uns darum, ob wir statt lautem Applaus vielleicht auf die Gebärde für Applaus oder Schnipsen umsteigen könnten, was wir gern gemacht haben und eine sehr rücksichtsvolle Atmosphäre erzeugt hat. Das gif zeigt die Gebärde /14
Es gibt keine perfekte Barrierefreiheit und manches lässt sich nicht vollends lösen. Das wichtigste ist der Wille, es zu versuchen und zu vermitteln, dass man sich bemüht und nicht den Eindruck zu erwecken, access wäre eine Bürde oder ein Problem. /15
Schreibt in den Call for Papers wer für Fragen zur Barrierefreiheit zuständig ist und macht auch klar, wer sich vor Ort kümmert.
Viele dieser Dinge sind leicht umsetzbar und kosten kein zusätzliches Geld, aber können eure Konferenz inklusiver und barriereärmer machen. 16/
Eine Zusammenfassung und ein paar weitere Punkte gibt es im barrierefreien englischsprachigen pdf „Ensuring Conference Accessibility“ auf der Homepage der DGfA, teilt es gern. Wie gesagt, dies sind einige Erfahrungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit /17
dgfa.de/diversity-roun…
Sorry, offensichtlich kann ich nach 22:30h nicht mehr richtig bis 20 zählen 🙈 seht es mir nach 😅 eine gute Nacht und einen ableismusfreien Tag morgen für alle crips 💜

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Jul 20
Guten Abend 🌅
Wie der Rest von Kiel auch bin ich nach Schilksee geflüchtet und kuratiere wie gestern Abend schon direkt vom Ostseestrand.

Also, wie angekündigt geht es jetzt erstmal um eine Grundfrage der Disability Studies und zwar: was ist eigentlich eine Behinderung? 1/
Das klingt vielleicht erstmal seltsam, weil viele Menschen eigentlich eine relativ konkrete Vorstellung davon haben, was eine Behinderung ist und wie eine behinderte Person aussieht. Indirekt enthalten ist hier also: Behinderung sieht man den Leuten an - Spoiler: nein 2/
Das Ganze ist aber alles andere als einfach. Behinderungen sind vielfältig. Sie sind angeboren oder erworben. Oft sind sie eben nicht auf den ersten Blick erkennbar (quasi unsichtbar). Menschen jeden Alters können behindert sein. Manche Menschen haben mehrere Behinderungen 3/
Read 17 tweets
Jul 19
Okay, der vorläufige Kursplan steht, der Aufsatz ist überarbeitet, die Einleitung ist äh…in Entstehung 😇

Also, heute Abend soll es um #Ableismus gehen.
Der Begriff kommt vom englischen "ableism" — „to be able to“ bedeutet „in der Lage sein zu, oder (etwas) können.“ 1/
Dabei funktioniert der Begriff #Ableismus so wie andere -ismen auch, also Rassismus, Sexismus usw.: man spricht einer Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmte, häufig negative Eigenschaften zu. 2/
Es geht um Ungleichheit und Diskriminierung. Im Fall von #Ableismus werden Menschen also aufgrund ihrer Fähigkeiten (ability) bzw. deren Fehlen bewertet (& abgewertet).
Der Begriff kommt aus den Disability Studies und hat ein Pendant: disableism /3
Read 13 tweets
Jul 18
Okay, die letzten mündlichen Prüfungen sind abgenommen, nachher trage ich noch die Noten ein.
Ich fang mal an mit einem exklusiven Einblick in die Realität von wissenschaftlichem Arbeiten & Qualifizierung (Promotion) mit Behinderung/chronischer Erkrankung 😉 1/16
Academia ist ja ein mehr als kompetitives Feld, und Hyperproduktivität, Aufopferung, Selbstaufgabe, keine Wochenende, volle Arbeit auf 50% Stelle sind ja quasi Standard. Am besten dropt man auch gelegentlich, dass man wieder das ganze Wochenende durchgeackert hat 2/
Man will ja schließlich in der nach oben dünner werdenden Luft nicht durch falsche Prioritäten auffallen (Familie(nplanung), Freizeit? Lieber nicht). /s
Das Problem? Wenn es nur um einen vermeintlich messbaren Output geht (Vorträge, Publikationen) wer bleibt auf der Strecke? 3/
Read 18 tweets
Jul 16
Die Kuration hier neigt sich langsam dem Ende zu. Ich hoffe, dass ich bisher ein paar Dinge verständlich darlegen konnte. Hier noch eine kurze Zusammenfassung der mir sehr wichtigen Punkte, die selten klar kommuniziert werden.

Ein kurzer Thread /
1. Insektenvielfalt in Deutschland heißt, dass es etwa 34.000 beschriebene Insektenarten gibt. An einem Standort kommen im Laufe eines Jahres durchaus mal 10% davon vor. Von diesen oft 2000-3500 Arten wird traditionell nur ein Bruchteil bearbeitet. /
2. In der Biodiversitätsforschung verfolgen recht wenige Personen einen holistischen Ansatz, der die gesamte lokale Vielfalt adressieren soll. Meist wird mit Zielartengruppen als Teilbetrachtung gearbeitet, z.B. Heuschrecken, Tagfalter, Libellen, Laufkäfer oder Bienen. /
Read 19 tweets
Jul 15
Hier schon mal 5 Account-Empfehlungen, die für einen faszinierenden Zugang zu Artenkenntnis oder Themen zu biologischer Vielfalt sorgen.

1. @sagaOptics - Thorben ist ein absoluter Fotografie-Nerd und macht extreme Makro-Studioaufnahmen. Es gibt keine größere Perfektion!
2. @waldraeubers - Jasmin ist passionierte Biologin, Autorin und noch viel mehr. Auf ihrem 2.-Account gibt es Natur-Stuff und sie veröffentlicht regelmäßig einen empfehlenswerten Newsletter rund um Biodiversität.

3. @RoteListe_RLZ - das Team hinter der Öffentlichkeitsarbeit /
vom Rote Liste-Zentrum ist super engagiert und ich habe die Gesichter letztens auf einer Tagung auch mal kennengelernt. Die Leute

4. @HerbertNickel - Herbert ist führender Zikaden-Spezialist und hat mit die wichtigsten Grundlagen zu den heute viel besser bearbeitbaren /
Read 6 tweets
Jul 15
In der öffentlichen Wahrnehmung haben sich Blühflächen als besonders wirksam für den Schutz und die lokale Aufwertung von Insekten durchgesetzt. Sieht nett aus, ist aber überwiegend Kosmetik. Lokaler Diversität hilft sowas nicht wirklich. Die Studien dazu sind fast alle /
gleich konzipiert. Ich schaue mir die Fläche vorher an oder definiere eine Referenzfläche, ich schaue mir die Fläche nachher an oder definiere meine Blühfläche. Ich werte die Arten aus. Ergebnis: Blühflächen steigern die Diversität. Dass solche Fragen viel komplexer sind und /
dass die eigenen Fragestellungen auch Dinge ausschließen sollten, wie einen reinen Lockeffekt, Auswirkungen auf umliegende Flächen und im Idealfall auch Risiken prüfen, kommt dabei seltsamerweise meist nicht in den Sinn.
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