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Jul 26, 2022 18 tweets 6 min read Read on X
Alles, was ihr über den #Streckbetrieb in Atomkraftwerken wissen müsst. Alles beginnt hier, mit den Brennelementen im Reaktorkern. 193 Stück. Deckel drauf, Anfahren! 1/n Image
• In den Brennelementen werden bei der Kettenreaktion spaltbare Uran-235-Kerne gespalten. Das setzt dort gebundene Energie frei.
• Mit der Zeit (mit dem „Zyklus“ des Reaktors, der ca 1 Jahr dauert) nimmt die Zahl der spaltbaren Kerne ab. Das nennt man „Abbrand“. 2/n
Damit man trotz dieses Abbrandes bis zum Schluss 1 Jahr lang jeden Tag 100% Vollast fahren kann, werden die Brennelemente sozusagen mit einem Überschuss spaltbarer U-235-Kerne versehen. Aber was tun, damit die alle nicht schon vorzeitig zünden? 3/n Image
Neutronen werden bei der Kernspaltung frei & spalten ihrerseits neue Kerne („Kettenreaktion“). Damit der Überschuss an U-235-Kernen am Zyklusbeginn nicht angefasst wird, gibt man Materialien (Bor oder Gadolinium) in den Reaktor, die Neutronen wegfangen.
4/n
Außerdem stellt man am Zyklusbeginn einen großen Teil der Steuerstäbe, die ebenfalls Neutronen absorbieren, auf eine tiefere Sollstellung. Je mehr Abbrand im Lauf der Zeit, desto weniger spaltbare Urankerne, und desto mehr reduziert man als Ausgleich diese Neutronen-Absorber: 5/n Image
Der Borgehalt im Kühlmittel wird reduziert, die Steuerstabbank weniger eingefahren, und das in die Brennelemente integrierte Gadolinium brennt durch Neutronen-Aufnahme von alleine ab. Es stehen also nun mehr Neutronen fürs Spalten zur Verfügung, die Urankerne „finden“ können. 6/n Image
So bleibt die Reaktorleistung bis zum Zyklusende auf 100%. Wenn alle Neutronenabsorber aufgebraucht bzw. rausgezogen sind - bei einem Druckwasserreaktor: Borgehalt im Primärkreis wenige ppm, Stäbe unterm Deckel - ist das natürliche Zyklusende erreicht. In Isar-2: 31.12.2022 . 7/n
Und jetzt beginnt erst der „Streckbetrieb“, obwohl man vorher gar nichts einsparen musste, mit den übriggebliebenen U-235-Kernen, aber ohne Neutronenabsorber. Jetzt sorgt der Abbrand für ein langsames Sinken der Reaktorleistung. Das kann man aber hinauszögern:
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Man macht sich dabei 2 reaktorphysikalische Effekte zunutze.
1) die Kühlmitteltemperatur im Reaktor wird verringert, was bedeutet: das Wasser, das für die Abbremsung der Neutronen auf spaltfreudige Geschwindigkeiten sorgt („Moderator“), wird dichter & macht diesen Job besser. 9/n Image
Effekt: mehr Neutronen, die spalten können, dh höhere Wahrscheinlichkeit, dass die wegen des Abbrands nun dünner gesäten U-235-Atome gefunden & gespalten werden.
10/n Kernbild eines deutschen Dr...
2) Auch der Brennstoff wird mit der sinkenden Kühlmittel-Temperatur „kühler“, die Urankerne schwingen weniger stark hin & her & die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Neutron mit genau der benötigten Energie den Kern trifft & eine Kernspaltung auslöst. Das = Streckbetrieb! 11/n Image
So kann man nun bis zu 3 Monate mit sinkender Reaktorleistung weiterfahren, dann nochmal die Brennelemente umstellen, um mehr Leistung aus ihnen zu ernten (das hat mit der unterschiedlichen Intensität des Neutronenflusses in verschiedenen Zonen des Reaktors zu tun). 12/n Image
Streckbetrieb ist also *kein* Sparbetrieb durch Reduzierung der Leistung im Sommer, was das natürliche Zyklusende des Reaktors nach hinten verlagert. Es bedeutet *mehr* Energieausbeute *nach* Ende des natürlichen Zyklus. In Isar-2: ca. 5 Milliarden kWh zusätzlicher Strom. 13/n Image
Fazit: Streckbetrieb bedeutet nicht, dieselbe Menge Butter auf einer größeren Schnitte Brot zu verteilen, sondern neue Butter aus dem Kühlschrank zu holen & neue Brote zu schmieren.
Oder: Streckbetrieb verhält sich zu Sparbetrieb wie Einstein zu Schäuble.
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Lage in den einzelnen Anlagen: Isar2 hat laut eigener Aussage erst Ende Dezember Ende d natürlichen Zyklus (EOCnat) & könnte ab Januar Streckbetrieb machen, aus Emsland meldet mir das Gerücht, dass sie schon im November zu „gleiten“ beginnen, Neckarwestheim-2 schweigt.
15/n
Und hier noch ein paar Quellen: grs.de/de/glossar/str…; tech-for-future.de/gas-kernkraft/, der auch mit Lastdiagramm darstellt, wie das KKW Grafenrheinfeld 2015 von Januar bis Juni im Streckbetrieb lief.
16/16
Und hier für Liebhaber der Reaktorphysik noch ein Addendum:
Und hier noch eine fachliche Publikation von @KaiKosowski und Marcus Seidl, für alle, die nicht nur die Basics wissen wollen, sondern auch, wie man die Anlage im Streckbetrieb konkret fährt: kernd.de/kernd/Politik-…

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