Thread by @BentFreiwald

"Sachsen hat nach einer Erhebung weiterhin das beste Bildungssystem in Deutschland."

Das übernimmt so ungefähr jedes Medium heute von der @dpa. Dabei ist das nicht nur Quatsch, sondern zeigt auch ein grundlegend problematisches Verständnis von Bildung in Deutschland. THREAD

Warum titeln das gerade alle Medien? Weil mal wieder der Bildungsmonitor der @insm erschienen ist. Der erscheint jährlich und vergleich seit 2004 anhand von mittlerweile 93 Indikatoren die Schulsysteme der Bundesländer. Gewonnen hat zum 17ten Mal in Folge: Sachsen! Juchu!

Jetzt könnte man sagen: 93 Indikatoren, das sind ganz schön viele, das ist ziemlich aussagekräftig. Und das stimmt. Aber nur teilweise.

Denn: Die Autor:innen vergleichen die Bundesländer aus einer „explizit ökonomischen Perspektive“. Ökonomisch heißt: „Wie erfolgreich gestaltet jedes Bundesland sein Bildungssystem, sodass daraus optimale Wachstums- und Beschäftigungsimpulse entstehen?“

Dass sie das machen, ist nicht überraschend. Laut @lobbycontrol ist die @insm "eine marktliberale Lobby-Organisation[...]Sie will u.a. erreichen, dass der Arbeitsmarkt und das Bildungswesen stärker an den Bedürfnissen von Unternehmen ausgerichtet werden."
lobbypedia.de/wiki/Initiativ…

Also: Man kann das Bildungssystem natürlich aus einer explizit wirtschaftlichen Perspektive vergleichen. Nur was sollten Medien daraus nicht schließen? Genau: dass dieser Vergleich auch gleichzeitig zeigt, welches Bundesland das "beste" Bildungssystem hat.

In der @dpa-Meldung steht beides sogar im gleichen Absatz. Direkt im ersten. Dass das irgendwie merkwürdig ist, merkt aber niemand. Oder sie merken es, halten das aber für eine korrekte Schlussfolgerung.

Besser noch – sie schreiben es sogar in die Überschrift 🤡

Der Umgang mit dem Bildungsmonitor zeigt, wie sehr wir die Qualität unseres Bildungssystems nach wirtschaftlichen Faktoren bewerten. Deshalb geistern seit Beginn der Pandemie unfassbare Summen durch die Medien: Der Schulausfall in der Pandemie könnte 3,3 Billionen Euro kosten!!

Diese Ausrichtung hat in Deutschland Geschichte: Die Halbtagsschule wurde eingeführt, damit Kinder arbeiten konnten. Die Ganztagsschule später, damit Frauen arbeiten konnten. G8, damit die Jugend schneller auf den Arbeitsmarkt kommt. Und so weiter.

Ich weise übrigens seit Jahren darauf hin, dass Bundesländer, deren Bildungssystem "optimale Wachstums- und Beschäftigungsimpulse" liefern, nicht automatisch die besten sein müssen. Hier ein Artikel aus 2019: krautreporter.de/3029-warum-der…

(Meistens handelt es sich im Bericht übrigens um quantitative Aussagen. Nur: Wenn in einem Bundesland besonders viele Kinder ganztags betreut werden, heißt das noch lange nicht, dass die Betreuung auch gut ist. Solche Feinheiten gehen zwangsläufig unter.)

Dass die @insm ihren Bericht ihren Interessen nach framed, ist logisch. Dass Medien dabei munter mitmachen, kaum hinterfragen und und das seit Jahren, ist fahrlässig.

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* Mein Fehler: Es sind mittlerweile 98 Indikatoren.

Das Ganze gibt es jetzt auch nochmal ausführlicher bei @uebermedien: uebermedien.de/75491/wer-hat-…