Oft zu hören in letzter Zeit: Deutschland isoliere sich in der Corona-Bekämpfung, gehe einen "Sonderweg", die europäischen Nachbarn hätten längst alle "Beschränkungen aufgegeben", die Lage "normalisiert".
Das ist eine gelenkte und selektive Diskussion. Ein 🧵. 1/
Kristallisationspunkt war jüngst dieser Artikel aus der @zeitonline vom 29. August. Schlagzeile: Macron habe "die Pandemie für beendet erklärt". Alle Maßnahmen seien abgeschafft. 2/
Richtig ist, dass Macron den Gesundheitsnotstand in Frankreich beendet hat. Das allerdings bereits einen Monat früher, zum 1. August. Aber das war der @zeitonline wohl nicht mehr aktuell genug, also musste das Thema etwas aufgefüttert werden. 3/
Die Beendigung des Notstands in Frankreich bedeutet, dass der Präsident nicht mehr per Dekret Corona-Eindämmungsmaßnahmen beschließen darf. Sondern dass sie vom Parlament beschlossen werden müssen. 4/
In etwa ist also das passiert, was in Deutschland schon ein Dreivierteljahr vorher passierte. Bei uns hieß das "Ende der epidemischen Notlage nationaler Tragweite". Und bedeutete auch bei uns, dass ab da parlamentarisch um den weiteren Weg durch die Pandemie gerungen wurde. 5/
"Deutscher Sonderweg"...? Eher französische Nachzügler. 6/
Dass der Gesundheitsnotstand in Frankreich ausläuft, heißt auch nicht, dass es da keine Maßnahmen mehr geben wird. Das Bildungsministerium z. B. hat gerade einen Stufenplan für die französischen Schulen aufgestellt. 7/ education.gouv.fr/annee-scolaire…
Der sieht u. a. bei hohen Inzidenzen Digitalunterricht in höheren Klassen vor. Und antizipiert die Möglichkeit einer erneuten allgemeinen Maskenpflicht und sagt: das Gleiche soll dann auch in Schulen gelten. 8/
Auch über die Niederlande heißt es, dort seien alle Maßnahmen passé. Nun ja.
Seit Anfang August wird dort ein neues "Corona-Gesetz" beraten. Masken-, Test- und Quarantänepflicht sowie Abstandsgebot könnten demnach gesetzlich angeordnet werden. 9/
Ganz ähnlich also, wie das aktuell im Bundestag beratene "Covid 19-Schutzgesetz". Und wie in 🇩🇪, wogt auch in den Niederlanden die Diskussion hoch. Der niederländische Städte- und Gemeindebund z. B. kritisiert unklare Verantwortungszuweisungen. Fast wie bei uns, alles... 10/
Spanien hat im Mai weite Teile der Maskenpflicht ausgesetzt - sie aber in allen öffentlichen Verkehrsmitteln aufrechterhalten. Auch das klingt sehr nach unserer aktuellen Situation. 11/
In Großbritannien, wo man viel Erfahrung mit laxen Regeln und Durchseuchung hat, hat sich gerade das "Institute for Global Change" für eine allgemeine Maskenpflicht ab Herbst und eine Booster-Kampagne ausgesprochen. 12/
Bei näherem Hinsehen zeigt sich also: unsere europäischen Nachbarn ringen ganz genau wie wir um den besten Weg durch das aktuelle Stadium der Pandemie. Und auch die Fronten in der Diskussion verlaufen ähnlich (und scheinen ähnlich verhärtet). 13/
Man könnte in so einer Situation voneinander lernen. Wäre allemal besser, als mit der blanken Behauptung "Wir sind die letzten, die noch was machen, die anderen lachen schon alle" innenpolitisch eine gewisse Agenda zu verfolgen. 14/
Dafür ist die Lage zu ernst. Dafür sind 147.500 Tote zu viele, und über 100 tote Kinder. Dafür wissen wir immer noch zu wenig über #LongCovid. Und deshalb sollten wir weder unsere KRITIS noch die Gesundheit unserer Schulkinder mutwillig riskieren. 15/
#Modellregion Tübingen: kommt heute viel im Radio. Muss man sich zumindest mal anschauen, was dort versucht wird. Man setzt auf viel Testen und will im Gegenzug viel Normalität eröffnen - Kino, Theater, Café, auch bei Aufkommen von B.1.1.7.
Auf den 1.Blick ist Tübingen etwas besser durch die letzten 3 Mo gekommen als BW und der Bund. Lokale Inzidenz liegt niedriger als die regionale und die nationale. Allerdings bewegt sie sich ebenfalls wieder nach oben, d. h. auch in Tübingen macht sich 3. Welle bemerkbar.
Auslastung der Krankenhäuser liegt ziemlich genau auf BW-Landesniveau,12% der Intensivbetten sind derzeit frei, 13% sind es in BW. Deutlich besser Lage bei Covid-Patient*innen,die haben in Tübingen einen Anteil von knapp 5% an den Intensivbetten, in BW insgesamt sind es gut 12%.
Im Lagebericht des RKI sind ja oft die blau markierten Änderungen besonders informativ.
Das ist die Ausgabe vom 24.3. Dem Tag, an dem die Bundeskanzlerin sich entschuldigte für die Idee, den Deutschen einen Lockdown über ein um einen Tag verlängertes Wochenende zu verordnen.
Auch interessant im RKI-Lagebericht v.24.3.:erstmals Grafiken zu Ausbrüchen an Kitas und Schulen.Zu sehen ist,dass in der aktuellen Welle bislang vor allem die Kitas stark beteiligt sind,deutlich stärker als in der vorigen und z. Zt. auch (noch?) deutlich stärker als die Schulen.
An den Schulen wiederum sind im Moment die Grundschulkinder (6-10 Jahre) deutlich stärker vertreten als alle älteren Altersgruppen.
Beides korreliert recht augenfällig damit,dass Kitas eigentlich nie richtig zu waren und dass die Grundschulen Mitte Februar wieder geöffnet wurden.
Unsere Regierungen in Bund&Ländern haben, was die Bekämpfung der 3. Welle angeht, abgedankt. Der zaghafte Versuch, ihr mit einem langen Wochenende namens #Osterlockdown entgegenzutreten, ist unter Entschuldigungen abgesagt. 1/13
Er war wohl auch mit allzu heißer Nadel gestrickt, um wirklich umgesetzt zu werden). Das Land versinkt in Ratlosigkeit, die Pandemiebekämpfung zersplittert in Kleinstaaterei. Nun hoffen wir, wider alle Vernunft, wissenschaftliche Erkenntnis und bisherige Erfahrung, dass... 2/13
... die Gegenmaßnahmen der 2. Welle auch der dritten standhalten möchten. Diese Hoffnung geht zwar schon seit Januar vor aller Augen den Bach runter, aber sie stirbt nichtsdestotrotz bekanntlich zuletzt. 3/13
Tag 20 der Kontaktbeschränkungen: Quo vadis? Ein Thread. Wird etwas länger. (1/28)
Die Kurve scheint abgeflacht. Oder ist sie es nicht? Der Wert der Neuinfektionen erreicht heute einen neuen Höchststand mit 23.648. Den 7-Tages-Durchschnitt verändert das wenig, der bewegt sich nun seit dem 11.11.2020 in einem Seitwärtskorridor zwischen 18.300 und 18.500.(2/28)
Das Datum macht allerdings etwas hellhörig, denn am 11.11. wurde die Teststrategie in den Krisenmodus umgeschaltet. Wegen Überlastung der Labore und Gesundheitsämter. Seitdem gilt: mildere Symptome ohne nachgewiesenen Kontakt erfordern keinen Test mehr. (3/28)
Wie sicher sind Schulen? Wie viele Schüler*innen stecken sich in Schulen an? Die ehrliche Antwort ist: das wissen wir nur sehr vage (Thread - 1/14).
Es gibt aber immerhin Hinweise. Zum Beispiel hier (2/14).
Die Grafik zeigt, am Beispiel Hamburg, die Inzidenz in den verschiedenen Altersgruppen. Also die Häufigkeit von Infektionen, bezogen auf die Gruppengröße. Etwa von den Sommerferien bis Mitte November. Daten aus der RKI-Datenbank "SurvStat" (3/14).
Die Bilder aus Bergamo haben Sie aber schon noch im Kopf? Dass elf Menschen auf der Krebsstation des Hamburger Uniklinikums starben, manche über 70, eine 21? Dass Pathologen feststellten, die Toten der ersten Monate hätten im Schnitt noch zehn Jahre zu leben gehabt?
@Augstein Ja, die Abschirmung der Alten- und Pflegeheime war hart. Für Bewohner und Angehörige. Mit dem damaligen Wissen und der damaligen Risikoeinschätzung war sie aber richtig. Und bleibt es, nur dass wir inzwischen mehr Wege gefunden haben, Schutz und Kontakt zu verbinden.
@Augstein Im übrigen wurde da auch nicht "still hingenommen". Sondern breit, auch in den Medien, diskutiert. Im priv. Umfeld hatte ich ergreifende Schilderungen, wie Betroffene einander nur vom Balkon zum Parkplatz grüßen oder über Erlaubnisse zum Besuch verhandeln mussten.