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Sep 18 19 tweets 4 min read
Ich habe vorher schon viel negatives gehört, trotzdem wollte ich mich selbst überzeugen: Ich war gestern Abend in der #Krone in #Bautzen feiern. Lange habe ich abseits der Platte nicht mehr so viele Nazis auf einmal gesehen. Ein paar Erlebnisse eines (queeren) Partyabends. 🧵
Der Abend begann schon vor dem Einlass mit den ersten auffälligen Pullis & Haarschnitten. Grenzgänger, Ostdeutschland, Elbflorenz. War natürlich vorher klar, aber ich dachte, ich müsste zumindest ein bisschen suchen. Stattdessen sah es eher nach dem gängigen Dresscode aus.
Drinnen dann nach einem Getränk auf den Floor. Ich tanze vermutlich deutlich expressiver als die meisten, viel Hüfte, "femininer" vielleicht. Dass Leute schauen, ist normal. Dass sich ganze Gruppen minutenlang das Maul zerreißen: Einkalkuliert, eigentlich sogar richtig witzig.
In Köln, Leipzig, Dresden kommt das so krass nicht vor. Logisch, keine provinzielle Kleinstadt. Für meine (männliche, familiäre) Begleitung und mich also gute Unterhaltung. Solange, bis ich immer mehr leicht erkennbare Faschos um mich herum bemerke.
Kurzgeschorene Köpfe, auffällige Tattoos, Shirts von Thor Steinar, Isegrim, NDS. Wolfsangeln. Nicht Einzelne. Dutzende über den ganzen Abend. Ein Mann hat mich aus 5 m Abstand für mindestens 20 Minuten angestiert, so als ob er richtig wütend sei, dass ich hier meinen Spaß habe.
Nachdem es an der Bar hinter mir immer mehr dieser Typen wurden, habe ich mich ein bisschen in die Menge geflüchtet. Absolut krass, Gruppen von Leuten mit Neonazi-Merch direkt neben People of Colour und Queers stehen zu sehen. Einige haben beim tölpelhaften Stapfen nur gestarrt.
Habe mich im Laufe des Abends mit einigen unterhalten: Viele waren das erste Mal in der Krone, hatten schon viel gehört, aber waren schockiert, wie viele offensichtlich bekennende Faschos da tatsächlich rumlaufen. Definitiv letzter Besuch, solange sie noch in BZ bleiben (müssen).
Habe dann beim Tanzen jemanden kennengelernt, haben ein bisschen gequatscht, auf offensichtlicheres Flirten verzichtet man in dieser Gesellschaft logischerweise. Meine Begleitung war mittlerweile gegangen und ich hatte keinen Bock, noch verschnickt zu werden. Mulmig.
Als wir uns dann draußen länger unterhalten, kommt irgendwann ein Mann auf uns zu, der uns dann mit ausgestreckter Hand "Heil Hitler" entgegenruft, gefolgt von einer vom Suff unverständlichen Drohung. Er steigt in ein Auto mit der doppelten 88 im Kennzeichen.
Ich wurde dann, auch wenn ich nur 5 Minuten Laufweg habe, nach Hause gefahren. Es ist (mir!) zum Glück nichts Weiteres passiert. Vielleicht auch, weil ich auf Accessoires wie Make-Up, Glitzer und meinen Fächer bewusst verzichtet habe. Um nichts zu "provozieren".
Fazit: Ein paar patriotische "Ostdeutschland"-Brüllereien und einzelne Faschosichtungen gab es auf Parties in der Region immer, so viele glasklare Skinheads auf einem Haufen hab ich bisher nie gesehen. Schwarze Sonnen, NS-Runen, einige bekannte IBler und andere aktive Neonazis.
Rechtsextremismus findet in der Region nicht nur jeden Montag bei den Schwurbeldemos, sondern jeden Tag statt - nicht nur bei den alten Wirren, sondern auch bei einem nicht unsignifikanten Teil der Jugend. Und dass es auf solchen Events normal scheint, ist einfach nur krass.
Und ehrlich gesagt, es ist ein krasser Realitätscheck. Ich bin immer nur in den progressiven Kreisen unterwegs, treffe viele nice junge Leute. Man vergisst, dass auch viele junge Menschen in der Region Hass, Hetze und Nazipropaganda geil finden. Oder damit einfach okay sind.
Was tun? Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Viel Hoffnung in politische Bildung, in dauerhaften Widerspruch, in Abgrenzung? Was definitiv nötig ist, sind Safespaces für PoCs, für Queers, für Progressive. Zumindest ein bisschen Halt, solange sie noch nicht weggezogen sind.
Ich möchte nochmal betonen, dass ich das ganze aus einer wirklich privilegierten Situation berichte(n darf). Ich habe bisher wenig Hass, kaum Anfeindungen, keine Übergriffe erfahren. Weder für mein politisches Handeln, noch für meine Person, mein Auftreten, mein Aussehen.
Ich weiß, dass es vielen Menschen - egal ob hier in der Region oder überall in Deutschland - anders geht. Dass Engagierte oder einfach nur Nicht-In-Faschoköpfe-Passende Menschen psychische & physische Gewalt erfahren haben. Ihnen muss unsere volle Solidarität gelten.
Was ich nochmal betonen will: Das war kein Faschoevent (das aber gestern auch irgendwo hier stattgefunden hat), sondern eine normale Party. In der Stadthalle. 95 Prozent der Leute waren unauffällig gekleidet, haben einfach gefeiert. Man fühlt sich trotzdem nicht sicher.
Auch, wenn das Thema vielleicht dazu einlädt, der Thread soll nicht zu herablassenden Diffamierungen aller Bautzner*innen als doofe Nazis animieren. Was wir brauchen ist Solidarität, Support, tatsächliches Interesse an der Situation vor Ort. Keine wohlgefälligen Schenkelklopfer.

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