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Oct 13 36 tweets 25 min read
Ich moechte den gestrigen von @Alex_J_Thiele organisierten Abend an der @BSP_FakLaw fuer einen Erklaerthread nutzen, weil ich glaube, dass er eine innerlinke Debatte, die gerade um die #Gasrechnungsbremse laeuft, sehr gut erhellt: Soziale Versicherung versus Umverteilung.
Der Unterschied ist, glaube ich, vielen in der derzeitigen politischen und journalistischen Diskussion nicht klar, fuer OekonomInnen ist das so normal, dass wir vielleicht nicht immer praezise darueber kommunizieren. Schon alleine deswegen war der gestrige Abend so lehrreich.
Waehrend man bei der Geldpolitik und der Beurteilung der @ecb die Positionen der Teilnehmer leicht vorhersagen konnte - @StefanKooths super kritisch, meine lobend, lediglich den zu spaeten Zeitpunkt der Zinserhoehungen kritisierend, @pat_kaczmarczyk eher kritisch gegen
Zinserhoehungen, aber konzedierend, dass die @ecb etwas tun musste, und @DEhnts sehr kritisich ob der Zinserhoehungen (guys, correct me if I am being unfair or plain wrong) - gab es bei der Beurteilung der #Gasrechnungsbremse eine vielleicht unerwartete Koalition:
@BachmannRudi und @pat_kaczmarczyk versus @DEhnts und @StefanKooths , und zwar genau entlang der Frage soziale Versicherung versus Umverteilung. Ich loese unten auf, wer welches Camp war. 😉
Viele moderne MakrooekonomInnen betonen, basierend auf sogenannten Bewleymodellen, die sich heute in den HANK (heterogeneous-agend New Keynesian) Modellen wiederfinden, die positive Rolle von Stabilisierungspolitik als Versicherungspolitik.
Dabei geht es darum, dass man hauptsaechlich Transfers auszahlt (die nicht in den Preismechanismus eingreifen), damit den Leuten Unsicherheit nimmt und sie deshalb kein uebermaessiges Vorsichtssparen mehr betreiben muessen. Das wiederum stabilisiert die private Nachfrage.
Man mache sich klar, wie anders hier der theoretische Stabilisierungsmechanismus als im klassischen Keynesianischen Denken ist: da ging es hauptsaechlich darum, dass der Staat selbst Nachfrage erzeugt, in dem er public infrastructure Projekte ausfuehrt.
Natuerlich kennen wir soziale Versicherung primaer ex ante: also Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, etc. Also, man zahlt vorher einen Beitrag und bekommt etwas im Versicherungsfall ausbezahlt.
So weit, so voellig normal. Wir alle glauben, dass solche sozialen Versicherungen gut sind, trotz der Moral Hazard Probleme, die sie hier und da erzeugen moegen, also etwa Risikoverhalten beim Skifahren, Nichtabnehmenwollen, etc.
Solche Versicherungssysteme zahlen - in ihrer Reinform - nur bedingt auf den Versicherungsfall. Ganz klar ist das bei der Krankenversicherung: da wuerde niemand fordern (hoffe ich jedenfalls): ein Millionaer sollte seine Krebstherapie nicht bezahlt bekommen, weil er eh reich ist.
In der Arbeitslosen- und Sozialversicherung danach haben wir die Debatte immer wenn es ums Means-Testing geht, also die Frage: wieviel Vermoegen muss selbst aufgebraucht werden, etc. Aber auch da ist es oft ein gesellschaftlicher Wunsch, dass man zumindest am Anfang nicht gleich
alles verliert.

Nebenbemerkung: in der realen Welt haben unsere sozialen Versicherungssysteme natuerlich auch Umverteilungskomponenten (was vielleicht dafuer sorgt, dass Versicherung und Umverteilung in der politischen Diskussion oft durchmischt wird).
Jetzt kann es aber auch (grosse, nur dann ist das relevant) Risiken geben, die man einfach nicht absehen (und deshalb ex ante versichern) konnte - also ein Fall fundamentaler Unsicherheit. Wie zB ein russischer Ueberfall auf die UKR und die daraus resultierende Gasknappheit.
Klar, Olaf Scholz und Donald Trump wussten das vorher, aber... Spass beiseite...

Deshalb kann es manchmal POLITISCH die Notwendigkeit geben, dass man ex post versichern muss.

Genau DAS will der Vorschlag der #Gaspreiskommission
Es geht ihr darum, Gasbezieher ex post dagegen zu versichern, dass zumindest russisches Gas nun mehr kein sinnvoller Energietraeger ist. Und wenn man diesen Gedanken versteht, dann folgt daraus, dass man alle davon Betroffenen versichert, genau wie bei der Krankenversicherung.
Und damit folgt, dass man gerade NICHT auf das Einkommen oder Vermoegen der Betroffenen schaut.

Nebenbemerkung: es gibt auch faktische, administrative Gruende, warum das nicht wirklich geht, aber das ist nur ein Nebenpunkt.
Ich wuerde sagen, diese ex post Versicherung ist auch deshalb politisch gerechtfertigt, weil bis Februar 2022 Gas der politisch und gesellschaftlich erwuenschte Energietraeger war und man sich bei Entscheidung fuer Gas damals sicher nicht antisozial verhalten hat. Im Gegenteil!
Nun ist es aber so, dass in realen sozialen Versicherungen Umverteilung und Armutsbekaempfung meist eine Rolle spielt, weswegen es vielen so schwer faellt, jetzt zu akzeptieren, dass ein hoher Gasverbraucher - egal ob das die fuenfkoepfige Familie im zugigen Altbau oder der
Villenbesitzer mit Pool ist - auch viel Geld vom Staat bekommt.

Ich wuerde aber immer sagen: ein Ziel, ein Instrument.
Nicht jedes gesellschaftlich sinnvolle Instrument (hier ex post Versicherung) muss immer auch eine Umverteilungskomponente haben.

Wenn man insgesamt mehr Umverteilung in diesem Land will, dann gibt es dazu viel bessere Moeglichkeiten als die #Gasrechnungsbremse .
Eine progressivere Einkommensteuer, eine Erbschaftssteuer, eine Vermoegenssteuer (die ich nicht fuer gut befinde) oder - idealerweise in der heutigen Zeit: eine progressive Konsumsteuer (die allerdings die deutsche Verfassung so noch nicht vorsieht).
Was die #Gaspreiskommission letztlich approximativ versucht hat: Gaskunden genau so gut/schlecht zu stellen, wie Nutzer anderer Energietraeger, sie also ex post gegen einen besonderen Schock zu versichern.
Die Kommission wollte (und sollte wohl auch) keine Umverteilung leisten. Das kann aber die Politik ja noch zusaetzlich tun. Bzw.: ein umverteilendes Instrument ist ja schon drin, naemlich die Unterwerfung aller Zahlungen vom Staat unter die progressive Einkommensteuer.
Und nun zur Aufloesung des Quizzes von oben: @pat_kaczmarczyk und ich waren Team Versicherung (und das heisst bis weit in die Mittelschicht hinein, weil wir den politischen Sprengstoff betonen, der hier steckt). Umverteilung on top: kann man machen.
Nochmal: zum Versicherungskonzept gehoert fundamental auch, dass man bedarfs- aber nicht verbrauchsabhaengige Transfers zahlt und gerade NICHT Preise deckelt. Deswegen ist das auch kein Gaspreisdeckel- oder bremse!!! Und die Politik sollte hier klar sprechen.
Dagegen waren @DEhnts und @StefanKooths , ein sehr linker Postkeynesianer also und ein Hayekianer, Team Umverteilung bzw. in Herrn Kooths' Fall sollte man das Team eher Armutsbekaempfung nennen. Sie haben beide den Gieskannencharakter des Kommissionsvorschlages beklagt.
Wenn man den Vorschlag aber als ex post Versicherung versteht, dann ist der Gieskannenvorwurf absurd. Leider konzedieren den inzwischen auch einige Mitglieder der Kommission.
Und es passt ja: einer sehr linken Position geht es nicht um Versicherung (eine stark sozial-liberale Idee, sondern um Umverteilung). Und ein Hayekianer will den Minimalstaat, Versicherung soll privat geleistet werden (wie allerdings, fragt man sich, bei solchen Risiken ausser
durch massives privates Sparen), Armutsbekaempfung wird schweren ❤️ akzeptiert.

Die Position der Mitte (ich nenne das sozialliberal): Maerkte sind unvollstaendig, die Welt ist von fundamentaler Unsicherheit gekennzeichnet, der Staat muss - manchmal auch ex post - versichern.
Und wenn ich "der Staat" schreibe, dann meine ich natuerlich: wir versichern uns als Gesellschaft gegenseitig.

End Thread
Ich denke, diese Perspektive ist wichtig, um die aktuelle Debatte einzuordnen. Helft mir bitte beim RT:

@christianbaye13 @GrimmVeronika @LionHirth @makro_philip @kuhnmo @MSchularick @econ_stardust @IsabellaMWeber @Isabel_Schnabel @FuestClemens @schnellenbachj @ben_moll

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