Thread by @Sunnymica

Erinnert ihr euch noch an dieses Haus?

Es steht in #Saporischschja und wurde am 9.10.2022 von russischen Bomben zerstört.

Bei diesem Terroranschlag sind mindestens 15 Menschen um Leben gekommen, Dutzende liegen immer noch in Krankenhäusern.

Meine Kollegin @karpenkooo
1/

hat eine Geschichte gefunden, die einer der Hausbewohner erzählt, der diese Nacht durch puren Zufall überlebt hat.

Sie wurde bei Instagram veröffentlicht. Anastasiya hat sie aus dem Ukrainischen ins Englische übersetzt.

Hier für euch auf Deutsch:
"Vor ein paar Tagen hat

Vlad (@allcheeseintheworld) aus Saporischschja sein Zuhause verloren.

Die Besatzer haben eine Rakete durch sein Haus geschossen. Es steht im Bezirk Osypenkivskyi in der Zestafonska-Straße 8.

Glücklicherweise war er selbst in dieser schrecklichen

Nacht nicht zu Hause.

Wie durch ein Wunder überlebten auch seine Eltern und sein jüngerer Bruder. 15 Hausbewohner starben jedoch, Dutzende andere sind noch immer im KKH.

Vlad arbeitet seit vielen Jahren im öffentlichen Sektor. Jetzt hilft er Betroffenen. Wir haben uns mit

ihm getroffen und das hat er uns erzählt:

„Ich gehe immer spät ins Bett, deshalb höre ich regelmäßig gegen 2 Uhr morgens die Raketen kommen. Danach beende ich meine Arbeit und gehe schlafen. An diesem Tag verbrachte ich die Nacht nicht bei meinen Eltern, sondern im Bezirk

Kichkas (Bezirk der Stadt Saporischschja).

In der Nacht ging wie üblich der Luftalarm los, und in Telegram (hier beliebter Messenger) erschienen Nachrichten über Explosionen in meinem Wohngebiet.

Ich rief meinen Vater an und hörte Schreie und Panik am Telefon.

Vater sagte: "Eine Rakete hat unser Haus getroffen, der Eingang ist eingestürzt, es gibt Tote und Verstümmelte, überall brennt es. Ich kann dich nicht hören, ich glaube, ich bin taub, schreib mir lieber."

Ich habe noch nie so etwas gefühlt, wie da: Ich hatte Angst.

Als ich wenig später bei meinen Eltern in der Zestafonska-Straße ankam, sah ich unser zerstörtes Haus, brennende Autos, Leichen und viel Blut. Hier und da lagen abgetrennte Körperteile. Ich fand schließlich meine Familie.

Vater hatte eine Prellung und teilweisen Hörverlust, Mutter Schnittwunden durch Glas, das sie bei der Explosion getroffen hatte. Glücklicherweise war mein jüngerer Bruder unverletzt. Die Eltern sagten, sie alle hätten geschlafen, als die Bombe einschlug.

Beim Einschlag der ersten Rakete, waren alle aufgewacht und schnappten sich das Nötigste zum Anziehen.

Dann kam eine zweite Explosion und die Schockwelle riss Mama von den Füßen.

Papa wurde von einer herausgeschleuderten Tür getroffen und durch die Wohnung geworfen.

Mein kleiner Bruder Damir war zum Glück mit einer Decke zugedeckt - das rettete ihn.

Unser Papagei hat wie durch ein Wunder überlebt.

Am Morgen begannen die Retter, Leichen unter den Trümmern zu bergen. Ein Mädchen wurde lebend herausgezogen, sie sagte, wo noch andere

Menschen sein könnten.

Buchstäblich 10 Minuten danach stürzten jedoch der 8. und 9. Stock ein, während Bewohner und Helfer dort versuchen, Leben zu retten.

Die Mauern stürzten ein, das eben noch gelöschte Feuer brach erneut aus.

Es war schnell klar, dass nun keine lebenden Menschen mehr gefunden werden würden, sondern nur Leichen.

Es wurden Suchhunde geholt, die darauf trainiert sind, Leichen zu finden. Sie schnüffelten an einem abgetrennten Glied - und begannen mit der Arbeit.

Ca. drei Stunden später wurden Leichensäcke gebracht. Bis zu diesem Moment hatten die Helfer die Leichenteile, Arme und Beine, nur in Tüten von ATB (eine Supermarktkette, wie Lidl) gesammelt.

Unterdessen hatten Freiwillige des örtlichen Jugendzentrums und ich alles Notwendige für die Helfer zusammengetragen.

Wir bekamen Hilfe. Es kamen Busse mit Generatoren, Betten, Lebensmittel und Medikamenten.

Das war unser Glück, denn die Stadt hat nicht immer alle notwendigen Ressourcen zur Hand, wenn es unbedingt erforderlich ist.

Mit hat das sehr geholfen.

Ich persönlich habe mich immer schon als eine Person gesehen, die ihre Gefühle stark zurückhält.

Betrachte ich zum Beispiel ein Kunstwerk, kann ich es intellektuell zwar verstehen, darüber sprechen. Aber fühlen - nein.

Und so war es mein Glück, dass ich nach der Explosion nicht selbst explodiert bin, ich habe versucht, meinen Emotionen nicht nachzugeben. Jetzt fühle ich

mich schlecht.

Einerseits sollte ich froh sein, dass bei meinen Eltern alles in Ordnung ist. Sie sind nicht ernsthaft verletzt.

Und ich selbst war zum Zeitpunkt der Explosion sowieso nicht im Gebäude.

Aber heute weiß ich, dass ich kein Haus mehr habe.

Vieles, was mir wichtig war, ist für immer verloren. Es wurde weggerissen.

Nicht in einem Jahr, nicht in zwei, nicht in drei, werde ich in meine Heimatmauern zurückkehren. Sie sind nicht mehr da, das Gebäude ist eine Ruine, es macht keinen Sinn, es zu reparieren.

Und so ist es jetzt: Meine Eltern und ich sind jetzt obdachlos.

Die Behörden entschieden von einem Tag auf den anderen, dass das Gebäude nicht mehr bewohnt werden kann.

Sogar unsere Wohnadresse haben wir verloren. Klar, ich bin noch jung, ich werde schon noch eine Zukunft

haben.

Für meinen Vater war dieses Zuhause alles. Er hat hier seine Existenz aufgebaut, seine Seele und seine Kraft investiert.

Aber wir leben, das ist das Wichtigste!

Für meine Mutter ist es sehr schwierig, sie und mein jüngerer Bruder sind heute in die Regionen im Westen gefahren. Mein Vater und ich bleiben in Saporischschja.

In meiner Arbeit helfe ich Menschen, müsste ich jetzt woanders hin, könnte ich nicht effektiv helfen.

Im Moment warten wir darauf, dass die Sicherheitskräfte uns erlauben, das Haus zu betreten. Ich möchte zumindest einige meiner Sachen mitnehmen und meinen Nachbarn helfen. Unser und die benachbarten Eingänge sind die einzigen, die erhalten geblieben sind.

Der Terroranschlag hat vielen meiner Freunde und Nachbarn das Leben gekostet. Ich weiß nicht, was ich sagen und wie ich darauf reagieren soll. Ich denke, wir müssen weiter arbeiten, helfen und uns freiwillig engagieren, um die Folgen zu überwinden und den Sieg näher zu bringen."