Thread by @BHindrichs

Von ironisch verpackter Homo-und Transfeindlichkeit bis hin zu Profilen, die Rechtsterroristen als Heilige feiern: Es braucht nicht lange, um auf Tiktok rechtsextreme Inhalte zu finden

Der Grund: Die Architektur der Plattform passt perfekt in die Medien-Strategie der Rechten👇

@mmfa hat gezeigt: Wer neu auf TikTok ist und dort zwei Stunden verbringt, sieht etwa 400 Videos.

Davon enthielten in der Studie 103 Videos trans- oder homofeindliche Aussagen, 42 hatten einen frauenfeindlichen Inhalt, 29 enthielten Rassismus, 14 verherrlichten Gewalt.

In einem Video mit über 200.000 Views schoss jemand in einem Videospiel auf einer Pride-Feier um sich. Dazu schrieb er: "Kümmert euch nicht um mich. Ich verrichte gerade Gottes Werk". Andere Nutzer feuerten ihn an – und forderten ihn auf, das jetzt auch im realen Leben zu tun.

Das ist erschreckend. Aber nicht überraschend. Denn: eine der Lieblingsmethoden rechter Online-Kulturen zur Verbreitung ihrer Ideologie und Radikalisierung junger Menschen ist die Bewaffnung des Humors. Schon lange.

Rechtsextreme verharmlosen Gewalt, memefizieren ihren Hass und inszenieren ihn als provokante Infragestellung der Mainstream-Meinung.

Tiktok ist dafür die perfekte Plattform. Das liegt einerseits am Algorithmus, der Videos in tausende Feeds spült. Andererseits am Medium selbst.

Die Videos arbeiten mit Bild, Beschriftung, Gestik und Mimik, Musik und Ton. Und all diese Arten der Kommunikation bieten die Möglichkeit, absichtlich zweideutige Inhalte zu produzieren, die sich später leicht als Scherz oder bloße Provokation abtun lassen.

Ein Beispiel: Ein User lädt ein Video hoch, in dem mehrere Videoschnipsel von Pride-Feiern in Deutschland zu sehen sind. Dann kommt ein Schnitt – und ein Video von Schauspieler Christian Bale im Film American Psycho.

Klingt erst einmal harmlos.

Aber: Bale spielt darin den Serienmörder und Vergewaltiger Patrick Bateman.

Die Botschaft: Einer wie Serienmörder Bateman muss sich des “Problems” queerer Menschen annehmen, die im rechtsextremen Weltbild als Bedrohung für die heterosexuelle Volksgemeinschaft gelten.

Die Hashtags unter dem Video: #notpolitical, #csd, #humor. Andere Nutzer:innen drücken ihr Wohlwollen aus. “Based”, schreibt einer. Innerhalb der ersten 13 Stunden gefällt es mehr als 1000 Leuten.

Das Problem: Das Video enthält keinen expliziten Aufruf zu Gewalt,die Hashtags sind harmlos, der Algorithmus erkennt keinen Extremismus. Es fällt durchs Raster.

Die Botschaft versteckt sich hinter der vermeintlichen Ironie und der popkulturellen Referenz von American Psycho.

Das ist ein altes Muster: Rechtsextreme verbreiten "ironische" Inhalte, die als Türöffner zu ihrer Weltsicht dienen. Hinterher kann man sich immer darauf berufen, es ja nicht so zu meinen. War doch nur ein blöder Scherz.

Dafür gibt es auch einen Begriff: Plausible Deniability.

Das Prinzip wirkt auch jenseits der Videos weiter: Mithilfe von codifizierten Emojis und irreführenden oder ironischen Hashtags können Accounts die internen Kontroll-Filter von TikTok umgehen, um ihre Ideologie zu verbreiten und sich zu vernetzen.

Wer die Namen bekannter Rechtsterroristen mit leichten Rechtsschreibänderungen sucht, stößt schnell auf jede Menge Accounts, die Massenmörder wie die Attentäter aus Christchurch verherrlichen – die ihre Gewaltaufrufe per Shooter-Videos mit lustigen Songs untermalt verbreiten.

Das Resultat: ein virtuelles Ökosystem, das die Gamifizierung und Memefizierung extremer Inhalte normalisiert. Alles ist Spiel, alles ironisch, nichts ist ernst. Es ist die perfekte Taktik, um sich selbst als provokante Gegenkultur zu inszenieren und junge Menschen zu erreichen.

Gerade mit Positionen, die nicht zu extrem wirken, sollen junge Menschen so radikalisiert werden. Zum Beispiel mit witzig inszeniertem Hass auf queere Menschen. Später kommen dann die extremeren Versatzstücke der Ideologie – auf einer mittlerweile riesigen Plattform.

Zur kompletten Analyse: zeit.de/campus/2022-10…