"Pathos und Ironie schreiten Hand in Hand die Stiege herab." Klaus Nüchtern in seinem leicht durchlesbaren "Kontinent Doderer" (Beck 2016) über den #KlassikerDerWoche : Die Strudlhofstiege.Für mich ist es der größte Roman der dt.spr. Literatur (zugegeben: die Konkurrenz.../Thread
ist nicht groß). Die Strudlhofstiege ist nicht im gleichen Maße wie "Die Dämonen" ein Stadtroman. Es ist ein Erziehungsroman, im Zentrum steht, wenn man so will, die Entwicklung der Charaktere zum Zivilgebrauch ihrer -v.a. sensuellen- Genauigkeit und Seele, dies aber -und hierin/
ist Doderer seinem Konkurrenten Musil m.E. weit überlegen - nicht nur mit einer "im Essayismus erstickenden fadendünnen Handlung"(Ätz-O-Ton Doderer), sondern mit einer raffinierten, ja intrikaten Dramaturgie, deren weite Spannungsbögen einen aufmerksamen Leser ganz schön fordern.
Ich glaube ja, dass man Doderer nur mit Genuß liest, wenn man im Hintergrund immer den Homer mithört. Sein Projekt ist, eine sinnliche Sprache zu finden, die aus literarischen Metaphern mythologische Epitheta macht. Die Akteure werden in eine Leidenssphäre gestellt, der Mythos /
wird allerdings in keiner Gegenwelt angesiedelt, sondern die detailliert beschriebene Sphäre der materiellen Zivilisation samt ihren minutiösen Handlungsabläufen wird so hochgespannt abgebildet,dass die literarische Wiedergabe wie von selbst die Hohlräume,Abgründe und Unschärfen/
sichtbar macht, die den Lebenseinstellungen der Charaktere eine neue, tiefere Dimension verleihen.
keine mythologischen Gegenwelten

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Nov 4
Danke für viele gute Ideen! Ohne Euren Beitrag hätte ich nur gestammelt. Wie bin ich also die Aufgabenstellung angegangen? - Es gibt 2 Felder, in die kirchliche Personalentwicklung investieren muss: 1. Lernressourcen für den Ist-Stand Pfarramt 2. Vorbereitung auf künftige Krisen/
1. Lernressourcen. Ich glaube, das Kompetenzenmodell - mit all seinen Stärken - ist durch. Die praktische Ausbildungsphase muss gezielt Resilienzen und Skills entwickeln und auf Standardsituationen vorbereiten, so dass praktische Benchmarks zunehmend sicher erreicht werden.
Wofür muss ich resilient werden im Pfarramt?
- Stress: deswegen Persönlichkeitsentwicklung/ Coaching
- Chaos: deswegen Selbstorganisation
- Abgründe: deswegen Seelsorgliches Profil
- Auszehrung: deswegen theologisches Produktivitätstraining
Und, last but most fearsome .../
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Nov 2
Der "Naphtalin-Geruch in Astas verhangenemn Zimmer",der "grünliche Blätterschatten" auf dem Absatz der Stiege, das Singen der Trambahndrähte an der Wohnungsfassade in der Pozellangasse,die bleiche Haut des Oberschenkels am Ende des langen Strumpfes einer Prostituierten im 'Hotel/
City' (ein makabres Gegenbild zum blutigen "noch anhangenden, /abgetrennten Glied" - dem wohlgeformten Unterschenkel der Mary K., um dessen Verlorengehen im Zuge eines Trambahnunfalls es ganz im wesentlichen geht), das "körperhafte Hereindringen des Aushauchs zahlloser /
duftstarker Gewächse - es sind die sinnlichen Eindrücke (hier nur /eklektisch für einen Protagonisten, den heimlichen Helden Major Melzer, zusammengestellt, die eine Lektüre der "Strudlhofstiege" zu einem so ausgemachten Leservergnügen machen. Denn Doderer bietet niemals /
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Mar 21, 2021
"I know that my Redeemer liveth" – ein paar Gedanken zum #Predigttext Hiob 19, 19-27. In der christlichen Rezeption geht es hier einem zentralen Widerspruch des Glaubens: Gott sagt (ewiges) Leben zu, er hebt aber den Tod (noch) nicht auf. (1/12)
Das ist ursprünglich noch ganz innerweltlich gedacht: Wie gehen wir um mit einem Gott, der allwirksam im Zusammenhang von Leben und Tod, Werden und Vergehen bleibt? Hiob besteht mit schmerzhaftem Nachdruck darauf, die Lage realistisch wahrzunehmen: (2/12)
Es nützt nichts, vor der Anfechtung zu fliehen, sie zu überspielen oder zu relativieren. Mut zeigt sich aber nicht nur im Aushalten der Leidenserfahrung. Dazu gehört auch die „leidenschaftliche Weigerung, sie als endgültig anzuerkennen“ (O. Bayer). (3/12)
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Jan 18, 2021
Die „Reichsgründung“ am 18. Januar 1871, vor 150 Jahren, geschah in einem nüchternen Rahmen. Der Kontext war eine durch und durch preußisch-protestantische Gottesdiensthandlung, das hatte Wilhelm I. persönlich so bestimmt. Ein Thread zur Erinnerung.
Offiziell hatte Wilhelm das Ordensfest des hohenzollerschen Hausordens (Schwarzer Adler) angekündigt, den Krönungstag des ersten preußischen Königs Friedrichs I.: „Da ich den Kaisertitel einmal annehmen soll, so habe ich diesen Gedenktag der Preußischen Geschichte dafür gewählt.“
Relativ entspannt versammelten sich die (inzwischen eingeweihten) Bundesfürsten, Städtevertreter und Militärs im Versailler Spiegelsaal. Die Mittelnische war mit bescheidenen Mitteln – und typisch preußischer Prüderie – zum Altarplatz umgestaltet worden.
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Nov 1, 2020
Warum braucht jemand, der glaubt, gesunden Menschenverstand? Ein paar Basics am Sonntagmorgen. (1/12)
Common sense ist das Gegenteil von extrem und subjektiv. Lösungen auf Basis des Alltagsverstands begeistern nicht, sie transzendieren nicht die innerweltliche Perspektive. Auf den ersten Blick hat common sense also nicht viel mit Religion zu tun. (2/12)
Allerdings: Wenn es um Alltagsprobleme geht, finden Religionen oft überraschend pragmatische Regelungen. Wer Luthers Kleinen Katechismus kennt, weiß den Wert seiner trocken-menschenfreundlichen Ratschläge zu schätzen. (3/12)
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Oct 21, 2020
Zukunftskompetenz der Kirchen? Eine aktuelle Allensbach-Dokumentation zeigt, dass diese Idee in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt keine Rolle spielt. (1/7)
ifd-allensbach.de/fileadmin/kurz…
Die Corona-Krise hat einige Grundeinstellungen verändert: In der Krise vertrauen mehr Menschen als bisher Wissenschaftlern (2015: 30%; 2020: 43%) und v.a. Medizinern (55% / 66%). Geistliche schneiden dagegen schwächer ab (38% / 33%). (2/7)
Die Institutionen dagegen verlieren: „Universitäten“ gelten seltener als Orte von denen Zukunftsimpulse ausgehen (2017: 54%; 2020: 42%), noch weniger traut man den „Bürgerbewegungen“ zu (42% / 29%). Parteien und Politiker legen dagegen zu (25% / 31%). (3/7)
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