Wenn ich an den Winter 20/21 zurückdenke, gefriert mir noch immer das Blut in den Adern.

Damals kamen die Impfstoffe gerade erst auf den Markt, die Empfehlungen für Schwangere erst deutlich später.

Alle Schwangeren mit Covid19 kamen aus einem großen Einzugsgebiet zu uns.
Die Logistik war enorm. Wenn eine positiv getestete Frau sectioniert werden musste - egal wie reif das Kind war,
fand das in einem dafür
geblockten OP-Saal statt, recht weit entfernt von unserer KinderIntensiv.

Deshalb haben wir eine Extra-Neugeborenen-
Erstversorgungseinheit hergerichtet, mit allen evtl benötigten Utensilien bestückt, und mit einem Beatmungsgerät versehen.

Es gab einige Gebärende, die nur milde Symptome hatten und bei denen es auch bei den reifen Neugeborenen keine Probleme gab.
Und dann gab es da die Patientinnen, bei denen es so kritisch war, dass teilweise mehrfach am Tag eine kleine Konferenz abgehalten wurde. Zwischen Anästhesisten, Intensivmedizinern, Gynäkologen und Neonatologen musste besprochen werden, wie es den Frauen geht, welche Eskalations-
stufen in der Therapie der Mamas nötig werden würden und wann die Kinder geholt werden müssten - denn für Frühgeborene zählt bei guter intrauteriner Versorgung jede Stunde und jeder Tag.

Es wurden mehrfach -schweren Herzens- Kinder Wochen zu früh geholt, weil es bei den
Müttern rapide Verschlechterungen gab.
Sie wurden sectioniert, die Therapie meist komplett eskaliert, Bauchlage, ECMO etc - ohne dass die Mamas überhaupt wussten, dass ihr Baby inzwischen auf der Welt war.

Diese Zwerge kamen zu uns auf die Kinderintensiv.
Und dann gab es da die Papas.

Völlig in der Luft hängend. In Sorge um ihre Partnerin und ihre Babys.
So viel Hoffen, so viele Tränen, so viele Sorgen, so wenig Schlaf.

Sobald sie negativ getestet oder aus der Quarantäne entlassen waren, immer am Pendeln zwischen
Erwachsenenintensiv und Kinderintensiv, dankbar für aufmunternde Worte von uns, oder einfach mal einer tröstenden Hand auf der Schulter und kurzem, gemeinsamen Schweigen.

Wenn es irgendwie möglich war, versuchten wir mit den Mamas zumindest kurze Videotelefonie-Sequenzen via
Tablet in Zusammenarbeit mit den Kollegen der Erwachsenenintensiv zu führen, um ihnen zu zeigen, wo ihr Baby ist, wie das Zimmer aussieht, in welchem Bettchen sie lagen.

Wir haben Fotos von den Babys aufgenommen, ausgedruckt, Poster damit gebastelt, die winzigen Fußabdrücke
darauf gestempelt und Tücher, mit denen die Kinder gelagert waren, zu den Mama‘s gebracht.

Weil wir die Hoffnung hatten, dass sie den Geruch ihres Babys wahrnehmen würden, oder die Bilder sehen könnten, wenn sie wach würden.
Und dann gab es doch immer wieder die erschütternde Nachricht, dass es eine Mama trotz aller Bemühungen nicht geschafft hat.

Der Mann plötzlich trauernder Witwer und gleichzeitig (Frühchen)Papa - was für eine zentnerschwere Last.
Das Baby plötzlich Halbwaise, ohne die Mama je kennengelernt oder auch nur einmal mit ihr gekuschelt zu haben.

Da kann man als Team noch so professionell und erfahren sein, es geht an niemandem spurlos vorbei, wenn das Schicksal immer wieder so erbarmungslos zuschlägt.
Wir wissen nicht, was dieser Winter für uns alle bereit hält, deshalb: Lasst euch jetzt Auffrischimpfungen geben, nicht nur gegen Corona sondern auch Influenza, tragt FFP2-Masken & bleibt zuhause, wenn ihr krank seid! Bitte🥺!!

#CovidIsNotOver #WirWollenMaskenpflicht

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Nov 1
So, ich lass das jetzt.

Hab in der Küche angefangen, die ist nämlich winzig - ziemlich winzig und deshalb steht auch das Fensterbrett hinter der Spüle komplett voll.
Alles abgeräumt, gewischt, sortiert. Nachdem jedes Teil wieder sauber an seinem Platz in kleinen Weidetabletts
stand, ich die Spülmaschine ausgeräumt und den Teppich gesaugt hatte, dachte ich mir „Hey, der Wasserkocher (auf dem Fensterbrett positioniert) könnte noch eine Entkalkungsaktion vertragen“ also Wasser rein, einen Schwups Zitronensäure und weil das grad noch herumlag etwas
Natronpulver (viel hilft ja bekanntlich viel). Habe mir einen Kaffee gemacht und wollte, während ich den trinke die Einwirkzeit in Ruhe abwarten. Tja…Pustekuchen. Plötzlich höre ich aus dem Wohnzimmer wie es in der Küche zischt und brodelt.

Ich habe soeben ALLES nochmal
Read 5 tweets
Oct 22
Und ja, man darf zornig sein, wenn im Krankenhaus beim eigenen Kind ein Fehler unterläuft.

Man kann natürlich auf die Pflegekraft schimpfen. Aber was denkt ihr, was das Alles mit uns macht?

Wir arbeiten seit Jahren am Limit, machen Überstunden, haben regelmäßig
keine Pause, springen an unseren wenigen freien Tagen ein und versuchen mit letzten Kräften das kaputte System zu kompensieren um mit großer Mühe die Kinder wieder gesund zu machen.

Nicht selten haben wir deshalb sogar noch Streit mit unseren Partnern, Familien, Freunden, mit
denen wir eigentlich verabredet waren, als das Telefon mal wieder klingelte, ob wir einspringen können und sie müssen wiederholt zurückstecken.

Es wird seit Jahren mit argwöhnisch verschrenkten Armen und einem süffisanten Lächeln auf den Lippen dabei zugesehen, wie wir
Read 4 tweets
Oct 22
Pflegenotstand bedeutet nicht nur, dass es sein kann, dass ein Kind kein Bett bekommt und teilweise hunderte Kilometer weit entfernt verlegt werden muss. Es bedeutet auch nicht nur, dass die Pflegekräfte ein bisschen gestresst sind und nicht wie früher die Zeit haben für lange
Gespräche mit den Eltern. Es bedeutet, dass wir regelmäßig überbelegt sind bzw die vorgegebenen Personalgrenzen nicht einhalten können. Dass wir von Patient zu Patient eilen. So gut es geht priorisieren.
Monitoralarme einschätzen, entscheiden ob wir intervenieren müssen oder sie „nur“ wahrnehmen und dokumentieren. Nebenher das permanent klingelnde Telefon bedienen und
Untersuchungen koordinieren.

Zeitgleich stehen schon wieder die nächsten Medikamente
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