Ein #FallDerWoche zur Diskussion. #Medibubble meets #Jurabubble

An einem Werktag kommt gegen Nachmittag ein junger Mann von 24 Jahren in die Klinik für Notfallmedizin. Er ist auf dem Heimweg von der Arbeit (BG!) gestürzt und hat sich offensichtlich den Ellenbogen gebrochen.
Die Klinik ist eindeutig Druckschmerz über dem Olecranon, einer Schonhaltung und schmerzhaften Funktionseinschränkung und bereits deutlicher Gelenkschwellung. Die Dislokation ist auch im Röntgen offensichtlich (ca. 10mm), es ergibt sich eine eindeutige OP-Indikation.
Die diensthabende Chirurgin informiert bereits aus dem Röntgen die Anästhesie aufgrund des eindeutigen Befundes.
Der diensthabende Anästhesist macht sich also auf den Weg zum Patienten und findet ihn in einer Diskussion mit der Chirurgin. Der Patient verweigert die OP.
Grundsätzlich wäre er mit einer Operation einverstanden, als er hörte, dass Metall in den Körper eingebracht wird, lehnt er vehement ab. Nägel, Schrauben oder Platten würde er nicht in seinen Körper lassen. Man wisse nicht, ob sich von dem Metall etwa Späne ablösen.
Außerdem befürchte er energetisch negative Auswirkungen. Es folgen auf Nachfrage weitere esotherische Ausführungen warum er eine operative Versorgung ablehnt.
Der jetzt dazu kommende chirurgische Oberarzt ist sichtlich irritiert ob der ausschließlich esoterisch begründeten, ablehnenden Haltung des Patienten.
Die Fraktur wird bei konservativer Therapie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer vollständigen Versteifung des Ellenbogengelenks führen. Es handelt sich um die dominante Extremität des Patienten, der Erhalt der Arbeitsfähigkeit ist also akut gefährdet.
Der Patient ist zu allen Qualitäten voll orientiert, lehnt den Eingriff aber vehement ab. In der Folge wurde der Patient vom chirurgischen Oberarzt über die Konsequenzen seiner Ablehnung vollumfänglich informiert.
Man kann hier guten Gewissens von einer Aufklärung bis zum Eklat reden - der Oberarzt schrie ihn regelrecht an, dass er noch nie so eine bescheuerte Begründung gehört habe und flehte ihn an, sich operieren zu lassen.
Der Patient lehnte weiterhin ab, unterschrieb die Ablehnung, erhielt einen Gips und wurde nach Hause entlassen.
Ich würde gerne auch mit Kolleg*innen aus der #Jurabubble diskutieren, ob eine solche Aufklärung überhaupt zulässig ist.
Mir ist klar, grundsätzlich gibt es ein Recht auf Krankheit, sei es auch noch so unsinnig.
Dies setzt aber voraus, dass man sich der Tragweite einer unumkehrbaren Entscheidung bewusst ist und ich bezweifle, dass dies bei unserem Patienten der Fall war.
Was ist, wenn ein Patient durch eine Sekte/Telegram oder ähnliche Quellen so hirngewaschen ist, dass objektiv unsinnige Entscheidungen dabei heraus kommen?
Eine Eilbetreuung um den Patienten womöglich gegen seinen Willen operieren zu lassen wird wohl kein/e Richter*in dieser Welt genehmigen.
Welche alternativen Optionen habe ich da überhaupt als Mediziner*in?
Weitere Frage: in diesem Fall passierte der Unfall auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, eigentlich ein Fall für die Berufsgenossenschaft. Kann sich die BG in diesem Fall weigern, die entstehenden Kosten zu übernehmen?
Oder kann die BG uns womöglich verklagen, weil wir quasi sehenden Auges eine zu annähernd 100% vermeidbare dauerhafte Arbeitsunfähigkeit bei einem ansonsten gesunden, jungen Menschen akzeptiert haben?
Ich freue mich auf Eure Beiträge. Teilt gerne auch eigene konkrete Fallbeispiele rund um Aufklärungen oder Einwilligungen.

@D2Unroll please unroll

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Oct 19
Der nächste Fall der Woche kommt:

Ein Mann, 55 Jahre, sportlich, keine Vorerkankungen, ruft den Rettungsdienst wegen Atemnot und Brustschmerzen. Er hat diese Beschwerden schon seit 3 Tagen, hat sie herunter gespielt. Aber heute geht es einfach nicht mehr.
Das Notfallteam vor Ort gibt Sauerstoff bei schlechter SpO2, legt einen Venenzugang, schreibt ein EKG. Es wird nichts wegweisendes gesehen und der Patientin wird in der Notaufnahme angemeldet und vorgestellt.
Beim verlassen des RTW wird der Patient stark kaltschweißig und äußert
Übelkeit. Der Blutdruck bei Übergabe ist 75/45 mmHg, Puls 110/min, das EKG des Notarztes zeigt einen eindeutigen inferioren STEMI. Der Patient wird ad hoc in den Schockraum genommen. ASS und Heparin sind schnell aufgezogen, aber vor der Gabe wird ein kurzer Sono-Blick auf
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Oct 13
Ein neuer Fall der Woche: Was hinter einer Hypoglykämie stecken kann.

Notfalleinsatz: weiblich 82, Hypoglykämie, Bewusstlos

Die Leitstelle berichtet, dass gestern schon ein RTW vor Ort war, die Patientin nach ambulanter Versorgung (ein Glas Apfelsaft) zu Hause geblieben ist.
Der RTW ist vor uns da, hat einen 20G-Venenzugang gelegt. Die Patientin hat eine schnarchende Atmung, nach Esmarch frei, Wendel eingelegt. Atemfrequenz 20/min, Lunge frei, SpO2 normal. Puls 30/min, radial tastbar, RR 170/80. GCS 3, BZ 25 mg/dl. Haut blass, trocken, Temp. 34°C.
Die Patientin bekommt 12 g Glucose und eine Infusion (VEL). Sie wird wacher, sehr agitiert, ungezielte Bewegungen mit beiden Beinen und rechtem Arm, linker Arm plegisch. Puls jetzt 80/min

Die parallele Anamnese ergibt, dass sie seit einigen Tagen schwach ist, wenig trinkt, kaum
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Aug 28
Neuer Fall

1/ Ein 65-jähriger Patient stellte sich in einem KH mit plötzlich aufgetretenem Rückenschmerzen und schon länger bestehender Abgeschlagenheit vor.
6 Wochen zuvor hatte der Patient einen „fieberhaften Infekt“, der vom HA zunächst erfolgreich mit Moxi behandelt wurde.
2/ Im Aufnahmelabor fiel ein stark erhöhtes CRP mit 240 mg/dl und eine Leukozytose auf, klinisch war der Patient stabil.
Da der Patient einen einliegenden Aortenstent (TEVAR) hatte (platziert bei Aortenaneurysma vor wenigen Jahren), wurde ein TCT/ACT durchgeführt, welches eine
3/ periprothetische Flüssigkeitskollektion mit peripherer Kontrastmittelaufnahme zeigt,e sodass die Verdachtsdiagnose einer Protheseninfektion gestellt wurde.

Nach Abnahme einer (!!) Blutkultur wurde eine antibiotische Therapie mit Meropenem, Vancomycin und Rifampicin gestartet
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Jun 21
Liebe #medibubble diese Woche stellen wir einen weiteren Fall vor. Wir freuen uns über Kommentare, DM sind auch offen.
1/ Wir hatten eine Patientin mit genetischer Veranlagung für Krebserkrankungen. Führend war bei der 38 jährigen Patientin aus einfachem Bildungshintergrund ein Uterussarkom. Wir haben die Patientin das 2. mal gesehen, sie war zwischenzeitlich an der Uni gynäkologisch operiert,..
2/.. dort ist auch eine pulmonale Metastase letztes Jahr punktiert worden. Die Patientin hat es wohl nicht weiter verfolgt und die Behandlung für 1 Jahr verdrängt.
Wir sahen die Patientin über die Rettungsstelle, Knochenschmerzen. Wir sahen im konventionellen Röntgen multiple
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Jun 14
Übernahme eines 55jährigen Mannes per Reiserückholdienst aus Mexiko, wo er die Woche zuvor bei Ileus notfallmässig laparotomiert wurde und ein endständiges Colostoma erhielt. Patient ist wach, kreislaufstabil, keine bekannten Vorerkrankungen, keine Vormedikation. Das Stoma
fördert ist aber massiv entzündet. Nach Übersetzung der spanischsprachigen Verlegungsunterlagen zeigt sich, daß ein Coloncarcinom ursächlich für den Ileus war. Der histologische Befund zeigt, daß der Tumor im Resektionsrand liegt und nicht im Gesunden entfernt wurde. Vielmehr
wurde offenbar der Tumorrand in das Stoma mit einbezogen. Im Staging zeigen sich keine Fernmetatstasen. Es erfolgt eine Revision und Nachresektion im Gesunden sowie Neuanlage eines Stomas auf der anderen Seite. Der Patient ist hierüber enttäuscht, weil er trotz eindrücklicher und
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Jun 13
Dies ist ein Account, bei dem man einen Fall anonym vorstellen kann und dieser dann für eine Woche bestehen bleibt. Der Account wird für diese Zeit freigeschaltet, sodass Rückfragen möglich sind, ohne Rückschlüsse auf eine spezielle Person zuzulassen.
Der Account wird geführt von @Dana_Maresa_. (Ich versichere Euch absolute Verschwiegenheit!)

Sofern ihr also Fälle aus welchen Gründen auch immer nicht selbst twittern möchtet, seid ihr hier richtig.
Sofern ihr Fälle einreichen möchtet könnt ihr @Dana_Maresa_ eine DM schreiben.
Direkte Nachrichten an dieses Handle sollten wenn möglich nur den aktuellen Fall der Woche betreffen und keine neuen Fälle, da dann die Anonymität nicht zu 100% gewährleistet sein kann.

Ich hoffe auf ganz viel Erkenntnisgewinn und Freude mit dieser Möglichkeit des Austauschs! :)
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