Thread by @jalenz

Nicht nur bei Kinderkliniken und Kinderärzten ist die Lage dramatisch, es gibt auch eine #Kitakrise. Ein persönlicher 🧵

Unsere Berliner Kita hat (bis auf die Krippe) ab Mittwoch bis womöglich kurz vor Weihnachten geschlossen. Weil die meisten Erzieher:innen krank sind. (1/x)

Die Kinder werden den Advent wohl ohne ihre Kitafreunde erleben, es gibt eher keine Weihnachtsfeier, und wir Eltern müssen halt selbst zusehen, wie wir das lösen: Großeltern, Urlaub nehmen, Tablet. (2/x)

Das ist nicht das erste Mal. Den Herbst über haben wir die Kinder auf Anweisung/Bitten des Trägers immer wieder tageweise oder wochenweise zuhause gelassen. Weil sie in der Kita nicht ausreichend und schon gar nicht gut betreut werden konnten. (3/x)

Aus vielen anderen Kitas hören wir ähnliche Geschichten. Ich weiß, dass niemand die Erzieher:innen gesund machen kann, und ich weiß aus beruflichen Gründen, wie kompliziert Politik und Verwaltung ist. ABER: (4/x)

1. Dass die Kinderkrank-Regelegung (Krankenkasse zahlt ca. 70-90 Prozent des Gehalts) nur gilt wenn die Kitaschließung direkt wegen Corona nötig ist, ist falsch. Selbst @Karl_Lauterbach sagt, dass die vielen Krankheiten jetzt auch an Corona liegen. (5/x)

2. Dass auch chronisch kranke Erzieher:innen gezählt werden als wenn sie voll einsatzfähig wären, führt zur chronischen Unterbesetzung der Kitas. (6/x)

3. Dass die Sätze für die Kitabetreuung in Berlin so knapp kalkuliert sind, dass Eltern sogar Taschentücher spenden müssen (!) und Erzieher:innen und Leitungen ständig wechseln auf der Suche nach besseren Bedingungen: das sind politisch gemachte Bedingungen. (7/x)

4. Die schlechte Bezahlung, die überbordende Bürokratie, die mangelnden Karriereaussichten, das ganze, seit Jahren hundertfach von Expert:innen und Betroffenen beschriebene Drama der #Kitakrise: das ist politisch gemacht. (8/x)

Im September warnten 100 Kindheitspädagogen: "Das Kita-System steht vor dem Kollaps" evhn.de/hochschule/akt…

Eine große öffentliche/politische Reaktion darauf gab es nicht.

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5. Wenn die (staatlich zugesicherte!) Kinderbetreuung nicht funktioniert, leiden vor allem Kinder. Aber auch Eltern, Arbeitgeber und Krankenkassen zahlen dafür einen Preis. Der Arbeitsmarkt verlässt sich längst darauf, dass für die Kinder gesorgt ist. (10/x)

6. Die #Kitakrise ist deshalb keine Gedöns-Krise. Wenn sie nicht gelöst wird, nutzen auch die schönsten Anwerbeinitiativen nichts, #greatplacetowork nutzt nichts, die netten Kicker und die Yogakurse im Office sowieso nicht. (11/x)

Wir haben deshalb als Kita-Eltern am Mittwochabend einen Brief an die Lokalpolitik dazu geschickt. Die Rückmeldungen sind interessant. (12/x)

Ein Staatssekretär hat noch am Abend gemailt (wow), Verständnis gezeigt, und in der Sache gesagt, dass das Land bei der "kinderkrank"-Regelung nichts tun könne + besserer Personalschlüssel nichts nutze wenn das Personal fehle. Außerdem hat er sich nach dem Träger erkundigt (13/x)

Als nächstes meldete sich die Kitaufsicht und wollte auch gan viel zu unserem Träger wissen und zu den Gründen für die Schließung, und hat uns auf mögliche Zahlungsansprüche gegen den Träger hingewiesen. (14/x)

Dann rief eine Frau von den Grünen an. Sie erzählte, dass gerade in "sozial benachteiligten" Viertel die Eltern solche Einschränkungen einfach schlucken und man nix von mitbekommt. Und dass sie nun rausfinden will, wie oft Berliner Kitas 2022 geschlossen haben. (15/x)

Zuletzt meldete sich eine Linke aus der Bezirksversammlung vor Ort. Auch sie wollte vor allem wissen, wie der Träger die Schließung begründet hat. (16/x)

Ich finde die Rückmeldungen bezeichnend. Eine systemische Krise wird beantwortet, indem Verfehlungen bei einzelnen Rädchen im Getriebe (hier: Träger) gesucht werden. Das ist einerseits verständlich, auch (ehrenamtliche) Politiker und Kitaufsicht können nicht zaubern. (17/x)

Aber es ändert nichts an den eigentlichen Problemen. Ich glaube, dass viele Eltern gern bereit sind, alle Politiker:innen und alle Verwaltungen etc. zu unterstützen/begleiten, die die größe der Krise offen benennen und sich ihr stellen. Wir sind Verbündete, nicht Gegner. (18/x)

Der "funktionierende Staat" ist ein großes Thema gerade. Bei der #Kitakrise, ebenso wie bei Kinderkliniken etc., muss man selbst erfahren, was damit gemeint ist. Sehr viel in Deutschland funktioniert noch immer vorbildlich. Aber einiges eben nicht (mehr). (19/x)

Ich hoffe, dass wir alle das als Herausforderung annehmen – natürlich insbesondere die in Verwaltung und Politik, deren Job das ist. Dass wir noch (Kita-)Briefe schreiben zeigt ja, dass wir ihnen (und uns) eigentlich noch was zutrauen. (20/x)

Danke für die Aufmerksamkeit. Und vielleicht hat ja wer Lust, ähnliche Erlebnisse/Erfahrungen zu teilen? Vielleicht unter #Kitakrise?
(21/21)

Nachtrag: Meine Kollegin @jo_schoener begleitet die #Kitakrise intensiv und mit tollen Artikeln:
Hier hat sie Stimmen von Betroffenen und Experten gesammelt: zeit.de/2022/47/kita-n…
Hier Ihr Kommentar zum eigentlich nicht mehr haltbaren Rechtsanspruch: zeit.de/2022/38/kitas-…