Die Urteilsgründe des AG Flensburg zu Klimakrise als rechtfertigender Notstand sind da. Ganz unabhängig davon, wie man zum Ergebnis steht - es ist ein faszinierendes Dokument, das zeigt, wie sehr die Klimakrise an das Fundament des Rechts geht. Hier nur ein paar Ausschnitte. 1/11
Um ein Hotel zu bauen, sollte ein Wald gerodet werden. Aus Protest besetzte der Angeklagte einen Baum auf dem zwischenzeitlich umzäunten Grundstück und erfüllte damit den Tatbestand des Hausfriedensbruchs. 2/11
Aber: Der Angeklagte handelte nicht rechtswidrig. Denn er handelte, "um eine gegenwärtige Gefahr von einem notstandsfähigen Rechtsgut abzuwenden und verwendete dafür auch das im konkreten Fall mildeste geeignete Mittel." 3/11
"Das notstandsfähige Rechtsgut ist hier der Klimaschutz als ein anderes Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB. Er findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 20a GG." Zweite Grundlage neben der Staatszielbestimmung: Grundrechte. 4/11
Bei der Auslegung von § 34 StGB sei die "doppelte konstitutionelle Rechtsgrundlage des Klimaschutzes im GG" (Staatszielbestimmung + Grundrechte) zu berücksichtigen. 5/11
An der Gegenwärtigkeit der Gefahr bestehe kein Zweifel. Das Gericht nennt Hitzewellen, Überschwemmungen und Wirbelstürme als Beispiel. 6/11
Auf dem Baum zu verweilen sei zur Abwendung der Gefahr auch ein geeignetes Mittel. Bäume haben zur Verhinderung des Klimawandels eine "zentrale Bedeutung". 7/11
Am interessantesten: Das Tatbestandsmerk-
mal der "Erforderlichkeit" sei im Lichte des grundgesetzlichen Klimaschutzes auszulegen. Dem Angeklagten sei ein "gewisser begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung der gleichen Eignung einzuräumen" 8/11
Der Angeklagte versuchte mit der Rodung eine "unumkehrbare Maßnahme" zu verhindern (hier bestehe i.Ü. ein Unterschied zu Verkehrsblockaden). Einfach neue Bäume zu pflanzen habe zudem "nicht die gleichen Effekte im Hinblick auf die Bindung von Treibhausgasen". 9/11
Die Einschätzung des Angeklagten, "dass staatliche Klimaschutzmaßnahmen aktuell für sich genommen keine gleich geeignete Handlungsalternative zur Gefahrenabwehr darstellen" sei auch bei gebotener objektiver ex post-Betrachtung vertretbar. 10/11
Das nur als ein paar erste Leseeindrücke. Den Volltext der Entscheidung gibt es hier: anwalthoffmann.de/wp-content/upl…
Und Augen offen halten für eine hoffentlich baldige Besprechung der Entscheidung auf dem @Verfassungsblog. 11/11
Weil der Thread zum Urteil des AG Flensburg hier viel Aufmerksamkeit bekommt: Wer ein wenig mehr zu den juristischen Hintergründen lesen will, auf dem @Verfassungsblog gab es kurz nach dem Freispruch einen feinen Text dazu (damals noch ohne Urteilsgründe). verfassungsblog.de/klimaschutz-al…
Kein hinreichender Tatverdacht wegen Nötigung: Der Beschluss des Landgerichts Berlin zu einer Blockade durch die #LetzteGeneration nimmt mit der Versammlungsfreiheit ein Kerngrundrecht des Grundgesetzes ernst. Das war überfällig. Wie kam das Gericht dazu? Kurzer Thread. (1/11)
Was ist passiert? Im Juni letzten Jahres setzte sich eine Gruppe von Aktivist:innen auf eine Straße und klebte sich fest. Es kam zum Stau. Das Ganze war aber auch schnell wieder vorbei: Nach 35 Minuten wurden die Spuren wieder freigegeben. (2/11)
Nach der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH wird in Hinblick auf die zweite und nachfolgende Reihen von Autofahrer:innen zwar "Gewalt" ausgeübt. Die Tat war aber nicht rechtswidrig, so das Landgericht Berlin. Es fehle an der "Verwerflichkeit" gem § 240 II StGB. (3/11)