Nochmal ein 🧵zu #GWUPGate, denn ich möchte sicher gehen, dass die Skeptiker, die die Artikel über ABA unterstützen, weil WiSsEnScHaFtLiCh wirklich verstehen, was sie unterstützen.
Es geht nicht nur um die "Behandlungsmethode" ABA.
ABA als Behandlungsmethode ergibt nur dann Sinn, wenn man in das komplette Denksystem des Behaviorismus einkauft.
z.B:
* Der Mensch ist ein weißes Blatt, das man beliebig oft beschreiben und löschen kann. (Aka, ihr habt keine Persönlichkeit, die wir nicht (besser) konstruieren könnten)
Ich gehe davon aus, die meisten würden diese Sichtweise von sich weisen und sich in ihrer Würde verletzt sehen.
Und:
* ABA ist eine Naturwissenschaft, denn die Beobachtungen von Verhalten ist ebenso exakt wie Mathematik. (Bitte googelt "ABA" + "Natural Science" wenn ihr mir nicht glaubt.)
Warum dann eine Ausnahme für Autisten machen?
Denn:
ABA als Behandlungsmethode für Autismus gibt nur dann Sinn, wenn man folgende Glaubenssätze unterstützt:
* Autismus ist fehlerlerntes Verhalten
* Es ist irrelevant durch was das Verhalten ausgelöst wird. Wenn es als "Fehlverhalten" identifiziert wird, wird es modifiziert.
* Autisten können nicht lernen
* Autisten brauchen kein freies Spiel, weil sie nicht auf die richtige Weise spielen
* Autisten haben keine Persönlichkeit
* Verschwindet autistisches Verhalten ist der Autismus geheilt.
Man muss, um ABA voll unterstützen zu können, nahezu die komplette moderne Autismusforschung, alle Ergebnisse der letzten 20 Jahre ignorieren.
Die ABA-Lobby tut das, auch wenn sie es nicht so offen sagt.
Denn für sie ist ABA die exakte Wissenschaft, eine Naturwissenschaft eben, und alle anderen Bereiche der Psychologie/Psychiatrie sind halt so wischi-waschi feely-feely.
Und ja, die psychologische Forschung hat ihre Tücken und Probleme, ohne Frage.
Um ABA unterstützen zu können, muss man überzeugt sein, das Autisten deswegen Behandlung brauchen, weil die Möglichkeit kein Autist mehr zu sein, also die vollständige Heilung (wir würden sagen "Normalisierung") möglich ist.
Die ABA-Lobby behauptet, das ginge. Das Ziel der Behandlung ist daher, alle autistischen Verhaltensweisen zum Verschwinden zu bringen, u.a. auch Spezialinteressen.
Inzwischen wird hier in der Öffentlichkeit gerne die Rolle rückwärts gemacht und behauptet, man habe das nie gewollt. Ich würde empfehlen sich hier in Studiendesigns oder Forschungsvorhaben großer Autismusorganisationen wie Autism Speaks einzulesen.
Dort wird das sehr deutlich formuliert, was man in der öffentlichen Kommunikation jetzt gerne unterschlägt, weil es eben doch ein bisschen dehumanisierend wirkt.
Auch z.B. das Unterbinden von Stimming (repetetive Bewegungen) würde man gaar nicht mehr machen.
Lest Behandlungspläne von ABA-anwendenden Einrichtungen. Dort steht das fast immer noch drin. @tessarakt, vielleicht willst Du zu diesem Punkt etwas sagen (wenn nicht, vollkommen okay).
So. Und selbst wenn das so funktionieren würde, wie die ABA-Lobby behauptet — und wer nur mal die Studienqualität von ABA-Studien genauer unter die Lupe nimmt, wird sehen welch große Distanz zwischen Behauptung und Realität klafft — kämen wir zu einem anderen Problem.
Therapien müssen nicht nur wirksam sein, sondern auch effektiv, angemessen und dem Besten des PATIENTEN dienen. Nicht dem Besten der Eltern, nicht dem Besten der Gesellschaft, nicht dem Besten von irgendjemandem sonst.
Und nun kommen wir in das schlammige Gewässer, das man bei der GWUP anscheinend am Liebsten ganz ignorieren würde, weil es nicht mehr rein mit WiSsEnScHaFt zu tun hat.
Es geht um Kultur, um (individuelle) Bedürfnisse und um Menschenrechte.
Soweit ich das sehe, vertreten Bördelein (wissenschaftlicher Beirat der GWUP) und Vyse die Auffassung, dass wenn man etwas behandeln kann, man es auch behandeln muss. Denn das Beste für eine Person mit Behinderung, ist die Behinderung so gut wie möglich zu beseitigen.
Ich bin mir in diesem Punkt recht sicher, weil ich auf Bördeleins (früherem) Blog (habe es auf die Schnelle nicht wiedergefunden) einen Artikel fand, der sehr deutlich sagte, dass man Gehörlose mit einem Cochlear Implantat versorgen müsse.
Um ihnen die beste Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft zu bieten.
Ich denke, ich befinde mich auf relativ sicherer Seite, wenn ich behaupte, dass Bördelein und Vyse das "medizinische Modell von Behinderung" vertreten. Weil wissenschaftlich.
Um kurz zwei Haupt-Konzepte von Behinderung zu definieren.
Das medizinische Modell von Behinderung sagt quasi: Du kommst hier nicht rein, weil Du die Treppen nicht hochlaufen kannst.
Der direkte Gegenentwurf, das soziale Modell von Behinderung sagt quasi: Du kommst hier nicht rein, weil das Haus Stufen hat.
Das medizinische Modell versucht den behinderten Menschen der Norm anzupassen.
Das soziale Modell versucht die Umwelt an die Existenz von Menschen mit Behinderungen anzupassen.
Es gibt noch mehr Modelle, auch feinkörnigere oder solche, die versuchen das medizinische und das soziale Modell zu integrieren.
Aber für unsere Zwecke hier, reicht diese grobe Unterscheidung.
So, nun gibt es die UN Behindertenrechtskonvention, in der die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgehalten sind.
Wer sich diese aufmerksam durchliest (und bitte nicht die originale deutsche Übersetzung) wird feststellen, dass die UN BRK in weiten Teilen dem sozialen Modell von Behinderung entspricht.
Okay, aber was ist mit dem Recht von Menschen mit Behinderungen die bestmögliche Behandlung zu erhalten und sich so gut wie möglich der Norm anzupassen.
Okay, und jetzt liebe Skeptiker, müsst ihr ganz stark sein.
Die UN BRK enthält, was sie erhält, weil Menschen mit Behinderungen DAFÜR gekämpft haben und GEGEN das medizinische Modell.
Warum?
Weil es nicht funktioniert.
Das Cochlea Implantat ist ein recht gutes Beispiel und ich nutze es kurz, weil es von Bördelein anscheinend für das beste seit geschnitten Brot gehalten wird.
Das CI ist ohne Frage für viele Gehörlose nützlich und hilfreich. Vor allem für Spätertaubte.
Es ist aber nicht mit normalem Hören gleichzusetzen. Die Normalisierung und damit der komplette Anschluß an die Mehrheitsbevölkerung wird behauptet, ist aber keine unbedingte Realität.
Es bedarf invasiver Prozeduren die ca. alle 20 Jahre wiederholt werden müssen. Mit den entsprechenden Risiken einer OP.
Es kann Nebenwirkungen haben, wie ständige Kopfschmerzen.
Bei gehörlos geborenen* Menschen wird zeitaufwendiges(!) Hörtraining nötig.
*die nicht kurz nach der Geburt mit CI versorgt werden, aber ich bin mir nicht sicher, ob dann wirklich kein Training nötig ist.
Und, jetzt kommt das Argument, das von Vertretern des medizinisches Modell als Nicht-Argument gewertet wird:
Es zerstört die Gehörlosenkultur und die Gebärdensprache als lebendige Sprache.
Hier befinden wir uns in eindeutig ethisch-dornigen Gewässer.
Auf der einen Seite Gehörlose, die ihre Kultur bewahren wollen.
Auf der anderen Seite Mediziner, die sagen "Kultur Schmultur, keine Hilfe zu brauchen um in der Gesellschaft navigieren zu können ist viel wichtiger."
Immer, wenn Nichtbehinderte definieren wollen, was richtig für Behinderte ist, wird es problematisch.
Ja, auch dann, wenn z.B. Gebärdensprachdolmetscher zu stellen, finanziell von der Gesellschaft getragen werden muss.
Wir reden hier von der im Grundgesetz zugesicherten freien Entfaltung. Kulturell, sozial, individuell und körperlich.
Aber es gibt ja nicht nur Gehörlose und Autisten. Warum wollen alle anderen MmB auch nicht "ihr Bestes"?
Wie gesagt: Weil es nicht funktioniert.
Im medizinischen Modell befinden sich Menschen mit Behinderungen über Jahre und Jahrzehnte in einer Behandlungstretmühle. Prozedur um Prozedur für minimale Verbesserung. Oft nicht mal das.
Oft erkauft durch Schmerzen, Krankenhausaufenthalte und sehr sehr viel verpasstes normales Leben.
Das medizinische Modell verspricht ein normales Leben. Dazu müssen aber Jahre oder gar Jahrzehnte geopfert werden, in denen dann kaum echtes Leben möglich ist.
Das soziale Modell der Behinderung dagegen, sorgt dafür, dass man am Leben teilnehmen kann, selbst wenn der Körper oder der Kopf nicht normgerecht funktionieren. Man ist gleich dabei. Nicht vielleicht irgendwann mal. Wenn die Versprechungen zutreffen.
Zu oft treffen sie nicht ein, aber sie werden Eltern gerne unter dem Banner des "man muss doch alles versuchen" verkauft.
Woher genau kommt uns dieser Spruch eigentlich noch bekannt vor?
Genau. Aus der Pseudomedizin. Denn die schwimmt sehr vergnügt im Fahrwasser des medizinischen Modells. Das "man muss doch alles versuchen, es könnte ja wirken" ist ein ganz super Werbetrick für wirklich ALLES.
Während das soziale Modell von Behinderung auch von Schlangenölverkäufern emanzipiert. Weil "Heilung" nicht mehr allem anderen übergeordnet wird.
Was ganz oben steht ist: Leben.
Freie selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit.
Auch und gerade für Menschen mit Behinderungen.
Und an dieser Stelle, liebe Skeptiker, könnt ihr euch entscheiden und ich weiß, dass in den skeptischen und humanistischen Communities ein ganz großes Unverständnis über die Tatsache besteht, dass man tatsächlich eine Behinderung nicht überwinden wollen könnte.
Daher wird der Reflex sein, zu sagen: "Das medizinische Modell ist aber wissenschaftlich. Das andere ist wischi-waschi feely-feely und Kulturschmultur. Irgendwas mit Woke auch noch."
Wenn ihr diesem Reflex nachgebt, solltet ihr euch klar machen, dass ihr euch nicht nur gegen Autisten stellt, sondern auch gegen die Mehrheit der Menschen mit Behinderungen. Die für die UN BRK gekämpft haben SO WIE SIE IST.
Die auch mehrfach schwerstbehindert sind und nicht nur "privilegiert" oder "leicht betroffen", wie es z.B. die ABA-Lobby behauptet um weiterhin die Definitionshoheit zu behalten.
Wenn ihr diesem Reflex nachgebt, seid ihr gegen Menschen mit Behinderungen, gegen ihren erklärten Willen, gegen ihre Erfahrung aus unzähligen fürchterlichen Biografien, ...
... verpassten Möglichkeiten und nicht gelebten Leben, weil "Behandlung", "Heilung" und "Normalisierung" wichtiger sein sollten.
Ihr könnt Euch für diesen Weg, diese Sicht- und Deutungsweise von Behinderung entscheiden. Aber dann seid ehrlich und sagt offen: Ja, ich bin behindertenfeindlich.
Ich bin gegen die Selbstbestimmung behinderter Menschen und ich finde, ihre Erfahrungen, ihre Lebensqualität ist nicht wichtig. Weil WiSsEnScHaFt.
Over and Out.
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Erneut 🧵
Es kam das erwartbare Argument, dass die die Gesellschaft für das soziale Modell zahlen müsse. Quasi, dass wir als MmB unseren Egotrip auf dem Rücken aller anderen ausleben.
Das ignoriert, dass die Gesellschaft auch für das medizinische Modell zahlt. Und zwar doppelt.
Das medizinische Modell wird nahezu vollständig über die Sozialsysteme, also Kranken- und Rentenkassen, finanziert. Ein Teil möglicherweise auch über die Agentur für Arbeit, wenn es z.B. um Berufsbildungswerke geht.
Damit werden zum einen Therapien und medizinische Eingriffe bezahlt, die nur der Person nutzen, die sie erhält. Das bedeutet: wir haben z.B. 10 Gehbehinderte.
Erst die eingefrorene Schaltung, dann verfängt sich mein Hosenbein in der Pedale und ich kippe @NicoleHesse8 quasi vor die Füße (Hat tip nochmal für die Hilfe) und dann fuchtele ich an der Tanke eine halbe Ewigkeit mit Enteiser und WD-40 rum, ...
bekomme die Schaltung aber immer noch nicht gelöst.
Immerhin bin ich Past-Mela dankbar, dass ich das Abendessen gekocht habe, bevor ich zur Uni gefahren bin. *Schlürft Kartoffel-Lauch-Suppe*
Nahezu alles an der Unterhaltung mit @nikilmukerji gestern war unangenehm, ließ Respekt vermissen oder war voreingenommen, bei gleichzeitigem Überzeugtsein der eigenen "Neutralität".
Etwas ging mir aber besonders nach. Das:
Erstens apart, dass er das nicht gegenüber uns erklärt, sondern einer unbeteiligten Dritten. Da ist es wieder, das "über unseren Kopf reden". Aber das ist gar nicht mal der Punkt.
@nikilmukerji bringt als Begründung, warum man MmB, in diesem Fall Autisten, nicht in die Diskussion einbindet, vor, dass man gar nicht wissen könne, ob die dann etwas Repräsentatives sagen.
Der Vorstand der GWUP findet, wenn man 2022 Menschen mit Behinderungen aus der Diskussion ausschließt und über ihre Köpfe hinweg diskutiert, wäre das Problem "verletzte Gefühle" und nicht etwa grundlegend unanständiges Verhalten und strukturelle Behindertenfeindlichkeit.
Nachdem derzeit hitzig über die Isolationspflicht diskutiert wird, möchte ich mal noch einen Aspekt ansprechen, der fast nie diskutiert wird, wenn wir über Pflichten reden.
Der Punkt nämlich, an dem Pflichten Rechte werden und leider fast nie so kommuniziert werden.
Schon zu Beginn der Pandemie war der Lockdown vor allem für die Menschen von Bedeutung, die sozial schlechter gestellt sind.
z.B.
- in körpernahen aber nicht systemwichtigen Berufen
- in Berufen mit häufigem Kundenkontakt
- mit Erziehungs- oder Pflegeaufgaben
Eine freiwillige Regelung hätte (davon abgesehen, dass sie nicht funktioniert) vor allem ohnehin bessergestellten Menschen genutzt, die ihre Arbeit aus dem Homeoffice erledigen können.
Die Pflicht sicherte zuerst die Lohnfortzahlung und dann auch zumindest Kurzarbeitergeld.
Dude 1: "Warum kostet ein Meister 15.000€, ein Master aber 0€?"
Me: *hat actually 1 1/2 Jahre auf einer Schule mit Meisterschule verbracht und im Raum neben Meistern gelernt* "Bullshit." *postet Screenshot der Schulwebseite mit dem Hinweis "KEIN SCHULGELD!"*
Dude 2: *postet Corporate-Content-Artikel mit Behauptungen wie viel ein Meister kostet. Darunter werden 9000 Euro Schulgeld aufgeführt.*
Dude 3: "Meine Schule hat aber drölfzichtausend Euro gekostet UND ich konnte solange nicht arbeiten!!"
Augen auf bei der Schulwahl?
Ja, es gibt staatliche Meisterschulen und es gibt private/teilstaatliche. Und auf der Privatuni kostet der Master auch nicht 0 Euro. Das kostet er auch auf der staatlichen Uni nicht.
Und dann haben wir noch nicht mal über Meisterbafög gesprochen.