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Dec 21 23 tweets 5 min read
Veränderungen durch das #Bürgergeld #9
- Die Rückkehr der Angst vor Sanktionen

Aktuell gilt das Sanktionsmoratorium
-Sanktionen sind nur bei wiederholten Meldeversäumnissen und bis maximal 10% möglich.
Ab 1.1.23 kehren Sanktionen mit dem Namen "Leistungsminderung" zurück.

1/22
Ursprünglich sollte das Sanktionsmoratorium bis zum 1.Juli 2023 gelten, nun aber haben @cdu und @csu im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt, dass die Angst vor Kürzungen schon am 1. Januar 2023 wieder in das Leben von Leistungsberechtigten zurückkehrt.

2/22
Das Sanktionsmoratorium (§84 SGB II) sollte Sanktionen nach §31 SGB II ursprünlich bis zum 1.7.23 komplett aussetzen. Nur noch für wiederholt nicht wahrgenommene Termine (Meldeversäumnisse) gab es eine Sanktion von maximal insgesamt 10% des Regelbedarfs des Betroffenen.

3/22
Die Gründe für Sanktionen / Leistungsminderungen sind in §31 SGB II bzw. für nicht wahrgenommene Termine in §32 SGB II geregelt.

An den Voraussetzungen für eine Kürzung ändert sich im Verhältnis zum Arbeitslosengeld vor der Einführung des Sanktionsmoratoriums nichts.

4/22
Geändert werden lediglich die rechtlichen Folgen.
Es gibt im Bürgergeld 3 Stufen der Leistungsminderung:
1. Stufe: 10% Minderung für 1 Monat
2. Stufe: 20% Minderung für 2 Monate
3. Stufe: 30% Minderung für 3 Monate
(Kombination von §31a Abs1 mit §31b Abs2 SGB II)

5/22 §31a Abs1 S1-3 SGB II (ab 1.1.23) Screenshot aus der konsol§31b Abs2 S1 SGB II (ab 1.1.23) Screenshot aus der konsolid
Leistungminderung der Stufe 1 gibt es für eine erste Pflichtverletzung, Stufe 2 bei einer weiteren Pflichverletzung und Stufe 3 bei jederen weiteren Pflichtverletzung.

6/22
Aber wann handelt es sich um eine "weitere Pflichtverletzung"?
1. Der Beginn der letzten Minderund ist höchstens 1 Jahr her.
§31a Abs1 S5 SGB II
2. Die Leistungsminderung für die vorherige Pflichtverletzung wurde bereits festgestellt.
§31a Abs1 S4 SGB II

7/22
Das Urteil des BSG vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R konkretisiert das :
Die Sanktion muss bekanntgegeben sein.

Bevor die vorherige Sanktion mitgeteilt wurde, kann es keine höhere Sanktionsstufe geben. Der Betroffene muss auf die erste Sanktion zu reagieren können.

8/22
Um eine Sanktion bekanntzugeben ist zunächst eine Anhörung erforderlich, die nach §31a Abs2 SGB II auf Antrag sogar persönlich erfolgen soll.

Es kommt ein Anhörungsschreiben, mit Reaktionsfrist. Erst wenn diese abgelaufen ist, darf ein Sanktionsbescheid erlassen werden.

9/22
Dieser Sanktionsbescheid muss erst den Sanktionierten erreichen (bekanntgegeben sein), dies wird 3 Tage nach Versand (Postlaufzeit) als gegeben angenommen.
Erst für Pflichtverletzungen/versäumte Termine nach diesem Zeitpunkt ist eine Sanktion der nächsten Stufe möglich.

10/22
Beispiel:
Paul arbeitet Teilzeit in einem Imbiss und verdient netto 1100€ Netto. Die Wohnung kostet 448€.
Er erhält ergänzend 250€ vom Jobcenter.

Er hat ein Stellenangebot zugeschickt bekommen und sollte sich bewerben. Das hat er nicht getan.

11/22
Eine Woche später läuft die Frist ab, bis zu der er sich bei einer Maßnahme anmelden sollte.

Das Jobcenter darf, wenn es vor Fristablauf noch keine Sanktion bekanntgegeben hat (unmöglich wg. Anhörung), trotz zweier Sanktionsgründe nur Stufe 1 anwenden.

ABER: Lies weiter!

12/22
Es gibt aber noch einige weitere Regelungen zu den Sanktionen:
1. Wenn der Sanktionierte seine Pflicht nachholt, dann wird die Sanktion (egal welche Stufe) zu diesem Zeitpunkt aber frühstens nach 1 Monat aufgehoben. Das ist wichtig für Stufe 2+3.

13/22
2. Wenn der Sanktionierte "ernsthaft und nachhaltig" erklärt, seinen Pflichten ab jetzt nachzukommen, wird die Sanktion (frühstens nach 1 Monat) aufgehoben.

Wie "nachhaltig" zum Zeitpunkt der Erklärung eingeschätzt werden soll, bleibt völlig unklar.
§31a Abs1 S6 SGB II

14/22
3. Vor Erlass einer Sanktion muss der Betroffenen angehört werden.

Auf Verlangen soll die Anhörung persönlich stattfinden.
Soll = Abweichung nur mit Begründung

Bei Sanktionen der Stufe 2 und 3 soll die Anhörung auch ohne Wunsch persönlich stattfinden.
§31a Abs2 SGB II

15/22
4. Härtefallregelung:
Es wird nicht sanktioniert, wenn durch die Sanktion eine besondere Härte eintreten würde.
Beispiele:
- Ratenzahlung aufgrund von Stromnachzahlung
- Wohnkosten müssen wg. Unangemessenheit zum Teil vom Regelbedarf gezahlt werden
§31a Abs4 SGB II

16/22
5. Eine verspätete Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit wird beim Jobcenter wie ein Meldeversäumnis mit 10% für einen Monat bestraft.
§31a Abs1 S7 SGB II

17/22
6. Die Leistungen werden maximal um 30% des Regelbedarfs der einzelnen Person gesenkt.
§31a Abs4 S1 SGB II

18/22
7. Es darf nicht in die Kosten der Unterkunft hinein sanktioniert werden.
Wer als Aufstocker weniger vom Jobcenter erhält als seine Wohnkosten, für den gibt es keine Leistungsminderungen.

Über diese wichtige Regelung wird es einen eigenen Thread geben.
§31a Abs4 S2 SGB II

19/22
Für Paul aus dem Beispiel bedeutet das:
Er erhält nur 250€ vom Jobcenter, seine Wohnkosten betragen 450€. Folglich erhält er nur noch Kosten der Unterkunft vom Jobcenter.
Dies schließt eine Sanktion durch das Jobcenter komplett aus.
Er muss sich keine Sorgen machen.

20/22
Anmerkung zur Sprache:
Ich habe die Begriffe "Sanktion" und "Leistungsminderung" bewusst als Synonyme verwendet.

Die Kürzungen sollen zur Einhaltung von Normen zu zwingen. Damit sind die "Leistungsminderungen" eindeutig weiterhin Sanktionen.

Die Umbennung ändert nichts.

21/22 Screenshot aus dem Politiklexikon der Bundeszentrale für po
Rechtsgrundlagen:
§31 SGB II (ab 1.1.) - Sanktionsgründe
§31a SGB II (ab 1.1.) - Folgen einer Pflichtverletzung
§31b SGB II (ab 1.1.) - Beginn+Dauer der Sanktion
§32 SGB II (ab 1.1.) - Meldeversäumnis

Den Gesetzestext ab 1.1.:
tacheles-sozialhilfe.de/files/Aktuelle…

22/22
Sammlung weiterer Threads der "Veränderungen Bürgergeld" Reihe:


23/22

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More from @sozi_simon

Dec 15
Veränderungen durch das #Bürgergeld #8
- Bagatellgrenze bei Rückforderungen

Bislang musste das Jobcenter jede noch so kleine überzahlte Summe zurückfordern. So kam es auch zu unsinnigen Forderungen, die unter dem Wert der Briefmarke(n) lagen, mit der sie verschickt wurden.

1/16
Die kleinste Forderung, die ich in der Hand hatte, lag bei gerade einmal 0,34€ - 34cent. Frankiert mit damals 0,80€... und für eine Rückforderung sind sogar mehrere Schreiben erforderlich:
- Anhörung
- Änderung des Bescheids
- Aufrechnungsbescheid

2/16
Die Rückforderung von Kleinbeträgen ist völlig unwirtschaftlich und belastet auch die Verwaltung massiv.

Es war höchste Zeit für eine diesbezügliche Veränderung!

3/16
Read 17 tweets
Dec 15
Veränderungen durch das Bürgergeld #7
- Beschränkte Minderjährigenhaftung

Schon heute ist es so, dass mit dem 18.Geburtstag alle Schulden des Kindes, die zB beim Jobcenter entstanden sind, weg sind. Aber das Kind muss mit seinem Vermögen haften - es startet also mit 0€.

1/16
Bisher gilt §1629a BGB "so wie er ist" auch im SGB II - das Kind muss also mit seinem vollen Vermögen für Überzahlungen, Rückforderungen und ähnliches haften, die von den Eltern verursacht wurden.

2/16
§1629a BGB
"Die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern (...) mit Wirkung für das Kind begründet haben(...) beschränkt sich auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes... "

3/16
Read 17 tweets
Dec 11
Veränderungen durch das Bürgergeld
- der Vermögensfreibetrag

Durch das Bürgergeld sinkt und steigt die Höhe des Vermögens.
Es ist eine Frage der Perspektive, was die Ausgangssituation ist, die aktuelle Corona-Sonderregelung oder die Regelung die vor März 2020 galt...

1/23
Die "normale" Vermögensregelung, die bis zur Corona, Sonderregelung galt, stellt nach §12 SGB II Vermögen in Höhe von 150€/Lebensjahr, aber mindestens 3100€ je Person frei. Diese Beträge sind personengebunden und in der Familie nicht übertragbar (§12 Abs2 Nr1+1a SGB II)

2/23
Hinzu kommen 750€ Freibetrag je Person in der BG für notwendige Anschaffungen, Riester Guthaben und ein Freibetrag für die Altersvorsorge von Selbstständigen nach §12 Abs2 Nr2-4 SGB II.

3/23
Read 24 tweets
Dec 9
Eine miese Masche des Jobcenters
- die "Verzichtserklärung"

Sehr häufig werden Menschen "Verzichtserklärungen" vorgelegt, mit der Aufforderung diese zu unterschreiben.
Ihnen werden damit häufig Leistungen vorenthalten, auf die sie eigentlich Anspruch haben.

1/9
Eine Verzichtserklärung ist eine schriftliche Erklärung mit der ein Leistungsberechtigter ausdrücklich auf Sozialleistungen verzichtet.
Dies ist nach §46 Abs1 SGB I möglich.

2/9
Typische Situation:
Ein Leistungsberechtigter teilt mit eine Arbeitsstelle gefunden zu haben. Nettolohn liegt 150€ über dem Leistungsbezug.
Sachbearbeiter: "Sie haben ja dann mehr als jetzt von uns, dann brauchen Sie ja kein Geld vom Jobcenter mehr. Sie haben es geschafft.

3/9
Read 10 tweets
Dec 2
Veränderungen durch das Bürgergeld #3
- Freibetrag Erwerbseinkommen

"Arbeit soll sich lohnen" - dafür sorgt im SGB II der Erwerbstätigenfreibetrag. Dieser wurde seit 2011 nicht verändert und hat daher durch die Inflation massiv an Anreiz verloren - nun wird er erhöht.

1/11
Bis 12/2022 im Arbeitslosengeld2 gelten folgende Regeln:
Die ersten 100€ sind als Grundfreibetrag anrechnungsfrei, darüber gibt es den Erwerbstätigenfreibetrag.
Nach diesem sind 20% des Bruttos von 100-1000€, sowie 10% des Bruttos von 1000-1200€ (mit Kind 1500€) frei.

2/11
Der maximale Freibetrag beträgt mit
100€ Grundfreibetrag
180€ 20% von 900€ (100-1000€)
20€ 10% von 200€ (1000-1200€)
30€ 10% von 300€ (1200-1500€) - nur mit Kind
-------
300€ / 330€ mit Kind

3/11
Read 12 tweets
Dec 1
Überblick über die Veränderungen Bürgergeld-Reihe

Ich erstelle nach und nach Threads über sozialrechtliche Veränderungen, die das Bürgegeld mitbringt.
Hier wird eine Sammlung dieser Threads entstehen.

1/x
Die Anrechnung von Einmaleinkommen verbessert sich im Bürgergeld deutlich, es wird nicht mehr jedes hohe Einmaleinkommen auf 6 Monate verteilt angerechnet:


2/x
Die Anrechnung von Azubi-Einkommen verbessert sich in 2 Schritten massiv.
Die Benachteiligung von Azubis aus #IchbinArmutsbetroffen|en Familien unter 25 Jahren verringert sich damit massiv:


3/x
Read 4 tweets

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