Thread by @EvaKonzett

War die #Donau-Bar in der Karl-Schweighofergasse in 1070 wirklich einmal eine Synagoge?

Das ist eine meiner Alltime-Lieblings-Recherchen 👇 Oder warum englische Studenten in einem Wiener Technoclub das Kaddisch sprachen. (Archivtext, 2014). (1/23)

Der Saal. Von Säulen durchzogen. Mehrere Meter hoch. Geschwungen. Die Wände nackt. Ob die Leute, die gerade jetzt ein Bier hier trinken, die Legende kennen? (2/21)

Diese Geschichte, die Dich ungläubig auf den Davidsstern starren lässt, der über der Zapfanlage thront? Die Geschichte, dass das Donau einst eine Synagoge war? (3/21)

Peter Fehringer, der das Donau gegründet hat, zündet sich eine Zigarette an. Einst war hier das Lager eines Elektrohändlers, so erzählt er. Vollgeräumt. Vollgemüllt. (4/21)

Er habe den Raum vor 30 Jahren gemietet. Das erste Kind bahnte sich an, Geld musste her. Den Mietvertrag in der Tasche habe er sich daran gemacht, den Raum von allen Verbauungen zu entkleiden, auszuhöhlen, die Zwischendecke abzunehmen. (5/21)

Er selbst hat auf dem Gerüst stehend, den Rigips von den Säulen geschlagen. Eine monotone Arbeit, bis Fehringer im oberen Drittel der Säule arbeitete. (6/21)

„Es war ein unglaublicher Moment, als ich beim Abklopfen bemerkt habe, dass das was zum Vorschein kam“, erinnert er sich. Geld war nicht viel da. Das wenige steckte Fehringer in die Freilegung der Säulen. Den Davidsstern habe er noch für reine Ornamentik gehalten, sagt er. (7/21)

„Aber als ich die Weintrauben entdeckte, habe ich mir schon gedacht, dass das irgendetwas Jüdisches ist!" Auf den Säulen, jüdische Ornamentik. Nur warum? Nachfragen, nachforschen, das tut Fehringer nicht. (8/21)

In Wien wird die Legende auch so unter den Clubgängern weitergegeben. Sie passt zu gut zu dieser Bar, die nicht einmal ein Türschild trägt. Im Dunkeln bleibt. Einmal, erzählt Fehringer, steht sogar eine Gruppe englischer Gäste am Abend an der Theke. (9/21)

Sie stimmen mitten in der Techno-Mucke ein jüdisches Trauerlied an, um den sakralen Ort zu verabschieden. Fehringer lässt die Musik leise drehen. Die anderen Gäste halten inne. (10/21)

Nur, was sagen die Archive? Juden, die noch vor dem zweiten Weltkrieg in der nahen Neubaugasse gewohnt haben, wissen nichts von einer Synagoge oder einem Bethaus mit der Adresse Karl Schweighofer Gasse 10, der heutigen Adresse des Donaus. (11/21)

Die einzige Synagoge im siebten Bezirk befand sich vor dem zweiten Weltkrieg in der Schottenfeldgasse. Von einer jüdischen sakralen Stätte im Grätzl hinter dem heutigen Museumsquartier steht in den Archiven nirgendwo geschrieben. (12/21)

Was hat die Liegenschaft dann beherbergt? Eine Spur führt zum Namensgeber der Gasse. Sie trägt den Namen des Klavierfabrikanten Carl Schweighofer, der die Klavierfabrik „J.M. Schweighofers Söhne“ um die Jahrhundertwende führte. (13/21)

Schweighoferklaviere spielen in der damaligen Zeit neben Bösendorfer in der ersten Klasse. Eine kleine, feine Klavierfabrik und die älteste in Wien überhaupt. (14/21)

In einer herausgeputzten Säulenhalle soll der Fabrikant seine Instrumente Privatkunden feilgeboten haben. Der Lehman, das historische Wiener Adressenverzeichnis, erhellt die Angelegenheit: Für das Jahr 1904 gibt Schweighofer einen „Claviersalon“ in der Breite Gasse 10 an. (15/21)

Breite Gasse, so hieß die Karl Schweighofer Gasse früher. Es ist die Adresse der heutigen Donau-Bar. Wurden hier also einfach Klaviere in repräsentativem Ambiente ausgestellt? (16/21)

Nach dem Tode Carls verkauft dessen Neffe Johann kurz vor dem ersten Weltkrieg die Klavierfabrik am Margaretenplatz im fünften Bezirk, nicht aber die Liegenschaft in der Breite Gasse, an Friedrich Karbach aus der jüdischen Klavierhändlerfamilie Bernhard Kohn. (17/21)

Gustav Mahler bezog seine Flügel von dort. Der Klavierhandel sowie die Schweighofer-Klavierfabrik wurden 1938 arisiert. Karbach selbst wurde in Theresienstadt 1942 ermordet. (18/21)

Und das Donau? Drinnen bewegt sich die Masse zwischen Bar und Tanzfläche vor und zurück. Im Rücken der Bar tastet ein Scheinwerfer die Säulen ab. Für kurze Zeit sind die Weintrauben und der sechszackige Stern frontal beleuchtet. (19/21)

Reine Verzierung? Professoren der Fakultät für Judaistik Wien vermuten beim Anblick der Symbole „einen jüdischen Hintergrund“. Eine Expertin von der Universität Heidelberg sieht „den Davidstern in einer vergleichsweise modernen Form als Wanddekoration recht deutlich“. (20/21)

Und wir? Wir können uns nur an die Bar setzen und drauf schauen. Und die Legende dem Unbekannten neben uns weitererzählen. (21/21)

Bildcredit: Martin Gruber/ Erschienen im NU/ 2014: nunu.at/artikel/davids…