Nach über zehn Jahren als Journalist wechsele ich zur #LetztenGeneration.

Es fühlt sich verrückt, aufregend und richtig an. Meine Gedanken dazu gibt's jetzt im Übermedien-Podcast und hier im Thread: 1/ 🧵

uebermedien.de/80541/warum-sc…
Ihr kennt die Zahlen: Bis 2030 müssen wir unsere CO2-Emissionen halbiert haben, um die Überschreitung von Kipppunkten und den Zusammenbruch der globalen Lebensgrundlagen zu vermeiden.
Was das bedeutet – Zusammenbruch der Lebensgrundlagen – habe ich auf meinen Recherchen in Kapstadt, Mosambik und Marokko erlebt. Ich kann mir seitdem vorstellen, was es heißt, wenn das Wasser versiegt.
Meine Mutter wohnt in der Nähe von Erftstadt-Blessem. Auch das mit den tödlichen Überschwemmungen habe ich da noch mal anders verstanden, und das Ganze hat meinen Blick auf unsere Branche verändert.
So wie sie gerade arbeitet, halte ich sie eher für einen Teil des Problems, als für einen Teil der Lösung.

Ich glaube, dafür gibt es viele Gründe, aber drei stechen heraus.
Journalist:innen kommunizieren die Krise nicht angemessen. Viele Leser:innen wissen bis heute nicht, was Kipppunkte und was Feedback-Loops sind. Viele wissen nicht, dass wir pro Jahr unsere Emissionen um sieben Prozent sinken müssen.
Viele wissen nicht, dass Westeuropa und der Mittelmeerraum die am stärksten betroffenen Regionen der Welt sind.
Dabei ist das doch die zentrale Aufgabe des Journalismus: Den Bürger:innen alles zur Verfügung zu stellen, damit sie informierte Entscheidungen treffen können.
Und die Bürgerräte Klima in Frankreich und Deutschland haben gezeigt, wie einheitlich Bürger:innen radikalen Klimaschutz fordern, wenn sie umfassend informiert werden. Das findet aber nicht statt.
Warum?

Hajo Friedrichs hat ja mal seinen berühmten Satz gesagt, dass sich ein guter Journalist mit keiner Sache gemein macht, auch mit keiner guten. Unabhängig davon, dass das aus dem Zusammenhang gerissen ist, gilt es immer noch als Leitspruch – und wird tausendfach gebrochen.
Berichterstattung in Deutschland funktioniert ja oft nach dem Prinzip, das Bernd Ulrich in der Klimakrise mal „begleitenden Journalismus“ genannt hat: Politiker würden Agenda-Setting betreiben, und Journalisten krittelten zwar ein bisschen, schrieben aber vor allem daran entlang.
Es gibt Kolleg:innen, die das anders machen, teils seit Jahrzehnten. Aber die Branche als ganzes versagt in der Klimakrise bei ihrer zweiten Hauptaufgabe: Exekutive, Legislative und Judikative zu kontrollieren.
Dabei hat Klimaschutz seit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom April 2021 sogar Verfassungsrang. Es ist kein "grünes" Thema mehr.
Und doch wird es weiter als solches behandelt. Warum? So wie Tabakkonzerne über Jahrzehnte erfolgreich die Medien manipuliert haben, um von den tödlichen Folgen des Rauchens abzulenken, fahren auch fossile Konzerne Kampagnen, um die eigene Schuld zu vertuschen.
Auch ich habe lange Zeit die Klimakrise ignoriert, weil ich dachte: Es scheint da ja große Zweifel zu geben, ob das wirklich so schlimm ist. Diese Zweifel wurzeln in gefälschten Studien, gekauften Wissenschaftler:innen und erfolgreicher PR durch die Öl- und Kohlelobby.
Wie das funktioniert, lässt sich im Buch "Die Klimaschmutzlobby" nachlesen, und dass es funktioniert, zeigt sich an sowas: Christian Schmidt, geschäftsführender Redakteur der ARD, sagte noch im März 2021, Klimaschutz sei Thema einer "parteiischen Interessengruppe"
Eine der Konsequenzen daraus: Wer als Journalist angemessenen Klimaschutz einfordert, bekommt schnell den Vorwurf, Aktivist zu sein.
@jdoeschner, der vom @WDR kalt gestellt wurde, ist nur der bekannteste Fall. Doch ich habe immer wieder Kolleg:innen aus so gut wie allen Redaktionen getroffen, die sagen: Ich würde gerne mehr zum Klima machen, bekomme aber Druck von meinem Chef.
Ich war Teil der Jury des Johann-Philipp-Palm-Preis, bis ich rausgeschmissen wurden. Der Grund: Ich sei ja jetzt "Umweltaktivist". Die @SZ stellte mir in einem Interview mal die Frage, ob ich Aktivist sei oder Journalist.
Auch aus den Redaktionen, für die ich gearbeitet habe, kam das oftmals, wobei das weniger eine Frage, als ein Vorwurf war.
Ich habe in den vergangenen zehn Jahren über Revolutionen, Menschen auf der Flucht, die Neue Rechte berichtet. Aber deshalb kam nie die Frage: Bist du Flüchtlingsaktivist? Bist du Demokratieaktivist?
Auch um das zu Problematisieren habe ich mit einigen Kolleg:innen das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland gegründet, und das mit einigem Erfolg: Wir haben vernetzt, Kritik geübt, eine Charta für guten Klimajournalismus veröffentlicht.
Und es bewegt sich etwas, aber es geht nicht schnell genug. Um die 1,5 Grad-Grenze zu halten, müssen wir unsere Emissionen jedes Jahr um 7 % senken. Gelingt das nicht, droht das Überschreiten der Kipppunkte, eine Heißzeit.
Und das Ahrtal, Ostafrika, Pakistan zeigen schon heute, was das bedeutet: Hunger, Zerstörung, Kriege – und das in ungekanntem Ausmaß.
Aus drei Gründen halte ich die Letzte Generation deshalb für den richtigen Ort für meine Arbeit:
1) In der Charta für guten Klimajournalismus war unsere Hauptforderung: Die Klimakrise nicht als Thema behandeln, sondern als Dimension jeden Themas, analog zu Demokratie und Menschenrechten. Kurz gesagt: Wir müssen Klima immer und überall mitdenken.
Der einzige gesellschaftliche Akteur, der das in Deutschland derzeit konsequent tut, ist die Klimabewegung.
2) Anders als die meisten Redaktionen schafft die Letzte Generation, das Thema konsequent im Fokus der Öffentlichkeit zu halten und damit den Raum zu schaffen, es zu bearbeiten
3) Niemand, den ich kenne, der sich mit der Klimakrise auskennt, sagt, dass schrittweiser Wandel ausreichen wird, um sie zu bewältigen. „It’s either change by disruption or change by disaster“, sagte mir @KaiBergmann1 schon vor Jahren in einem Interview.
„Eine Begrenzung der globalen Erderwärmung auf 1,5 Grad würde schnelle, tiefgreifende und in der Geschichte bisher einmalige Veränderungen in allen Aspekten der Gesellschaft erfordern“, sagt der IPCC.
Ich sehe nicht, dass die Journalismusbranche – aus den oben genannten Gründen – dazu beiträgt.
Im Gegenteil: Die meisten haben verstanden, dass es ein riesiges Problem gibt, aber sie machen so weiter wie bisher. Mich erinnert das zunehmend an den Coyoten, der schon über die Klippe gerannt ist, noch weiterläuft, bevor wir dann alle zusammen abschmieren.
Die Letzte Generation hingegen setzt konsequent auf Disruption. Ich habe mich deshalb in den vergangenen Wochen mit verschiedenen Leuten aus der Gruppe getroffen, mir ihre Ideen und ihren Plan angehört und mir scheint das alles sehr vernünftig.
Der Schritt fällt mir trotzdem nicht leicht. Zehn Jahre Erfahrung mit einer Arbeit, die ich liebe, wegschmeißen, dazu die Aussicht im Gefängnis zu sitzen.
Und trotzdem habe ich Bock. Einfach, weil es sich endlich wieder so anfühlt, als würde ich etwas tun, das angemessen ist angesichts der Klimakrise.
Letztlich ist es so: Das Klima hat Kipppunkte, und um sie zu vermeiden, müssen wir vorher gesellschaftliche Kipppunkte erreichen. Diese Entscheidung ist mein ganz persönlicher Kipppunkt.
Falls dich interessiert, wie es in den nächsten Wochen bei mir weitergeht, gerne hier abonnieren:

raphaelthelen.substack.com

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Jan 1
Ok, Doomer. Du gehst mir auf den Sack.
Es ist so einfach, vom Zusammenbruch zu faseln. Nimm dir ein paar Klimaprognosen, lies sie in einem Moment, in dem es nicht gut geht, klaub ein paar Horrornachrichten zusammen, und dazu ein bisschen Netflix: Da hast du deine Apokalypse. 1/
Ich hab das auch gemacht, mein erster Klima-Essay war genau das. Die Fridays haben ihn damals retweetet, bis heute höre ich von Leuten, die er wachgerüttelt hat, die sich jetzt wegen dieses Texts engagieren.
Aber eigentlich ist es nur stinkfaul, sowas in die Welt zu setzen. Man nimmt, was man schon um sich rum wahrnimmt und extrapoliert es in die Zukunft.
Read 23 tweets
Nov 30, 2022
Wow, ich habe noch nie so viele faktische Fehler in einem @derspiegel-Artikel gesehen, wie in diesem hier über die #letztegeneration. Ein Thread 🧵
Falsch. Fridays for Future und Extinction Rebellion entstanden fast zeitgleich in Schweden respektive Großbritannien. XR ging NICHT aus FFF hervor.
Falsch. "How to Blow Up A Pipeline" erklärt, warum eine radikale Flanke, die unter anderem Sabotageakte ausführt, einer sozialen Bewegung zum Erfolg verhelfen kann. Das Buch erklärt NICHT wie man eine Pipeline in die Luft jagt.
Read 10 tweets
Nov 30, 2022
Donnerstags nehme ich immer früh einen Zug, fahre in den Wald; rauskommen, zu mir kommen, wollte dieses Mal darüber nachdenken, dass ich bald 37 werde, weil es sich anfühlt wie eine Lebensmitte, und ich mich fragen wollte, wie ich mich zukünftig in die Welt einbringen will. 1/
Im Wald finde ich Ruhe.

Durch den Wald schallte Lärm – eine Säge oder eine Schleifmaschine.

Ich ging meine normale Runde, der Himmel reflektierte auf der dunklen Wasseroberfläche des Sees in der Mitte des Waldes, und der Lärm kickte mich immer wieder aus meinen Gedanken.
Warum ist unsere Zivilisation so fucking laut?
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Oct 26, 2022
Es sind Momente wie dieser:

Als Teil der diesjährigen documenta steht an einem Teich ein nackter, bleicher Baumstamm. Daran hängt eine laminierte A4-Seite mit einer kurzen Geschichte.

1/ Image
„Im Jahr 1896 hat ein kleines Mädchen, meine Urgroßmutter Maria, diese Fichte im Sauerland gepflanzt. Daher trägt der Baum den Namen Maria. Er ist leider letztes Jahr als Folge des Klimawandels verdurstet. Der Baum Maria wurde 125 Jahre alt.“
Ein Mann steht davor, liest den Text, ruft seiner kleinen Tochter zu:
„Guck mal, der Baum heißt auch Maria, wie du!“
Das Mädchen, zwei Zöpfe, kommt angelaufen, guckt ihren Papa an, guckt den Baum stumm hoch, dann dreht ihr Papa sich um und sagt:

„Komm, wir gehen zum Auto.“
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Jan 2, 2022
Die Reichen der Welt zerstören das Klima. Wie sie das machen, und was wir dagegen tun können – ein Thread 1/
Das reichste Prozent der Weltbevölkerung produziert 15 Prozent der globalen CO2-Emissionen
Allein die Yacht von Roman Abramowitsch produziert 22.000 Tonnen CO2 jährlich
Read 20 tweets
Nov 12, 2021
Konzerne wie @RWE_AG zerstören das Klima, um Profite zu machen. Doch wir JournalistInnen benennen diese Schuldigen viel zu selten.

Warum das so ist, weshalb das ein Problem ist, und wie es besser ginge, habe ich aufgeschrieben als Essay für @zeitonline und hier als Thread 1/
Schaut man sich die Berichterstattung rund um die #COP26 an, entdeckt man allzu oft Sätze wie:

- Der Planet kollabiert (@derspiegel)
- Die Temperatur verändert sich (@zeitonline)
- Die Erde erwärmt sich (@tagesschau)

Das ist nicht falsch. Aber es ist auch nicht ganz richtig.
Denn all diese Prozesse passieren nicht von sich aus. Sie werden verursacht, allen voran von einer handvoll fossiler Konzerne.
Read 21 tweets

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